Was würden Menschen wohl auf die Frage antworten, was den „Zauber Afrikas“ ausmacht? Vielleicht würden einige sagen, es sei die wilde und größtenteils unberührte Natur. Die bunten afrikanischen Stoffe, käme es möglicherweise von anderen. Vielleicht auch die traditionellen Tänze und die Musik. Was auch immer es genau ist, für mich persönlich offenbarte sich ein Teil dieses besonderen Zaubers am Morgen des Ostersonntags in einer kleinen evangelischen Gemeinde.
Afrikanische Trommelrhythmen, umwoben von lautem, fröhlichem Gesang tönen uns entgegen, als Mama Bora und ich den schmalen Trampelpfad in Ruzasa, einem kleinen Dorf unweit von Gisenyi, entlang auf das halbfertige Gebäude zugehen. Die kleine evangelische Kirche, die inmitten von Häusern und kleinen Bananenplantagen liegt, ist kaum mehr als eine Baustelle: die Wände bestehen aus aufeinander gebauten, unverputzten Steinen, und die Decke ist offen. Große hölzerne Balken, die sich in Form eines Daches vereinen, warten darauf, mit Ziegeln oder Wellblech gedeckt zu werden.
Damit die Gemeinde der prallen Sonne nicht schutzlos ausgeliefert ist, bieten kleinere, zeltähnliche Überdachungskonstruktionen innerhalb des Gemäuers Schatten. Am Ende des „Raumes“ wurde als Altar ein Tisch aufgestellt, den eine Decke mit Kreuzaufdruck ziert und der geschmückt ist mit bunten Blumensträußen. Zu drei Seiten des Altars sind Bankreihen aufgebaut, links sitzen der Kinder- und der Frauenchor.
Mama Bora (wie in Afrika typisch benannt nach dem ersten Kind) ist so, wie man sich eine typische afrikanische Frau vorstellt: etwas korpulenter, gesetzteren Alters, in bunten traditionellen Stoff gekleidet und überaus herzlich. „Willkommen in meiner Gemeinde!“, sagt sie lächelnd, bevor sie mich in das Kirchgebäude schiebt.
Mama Bora ist der Grund, warum ich mich nach acht Monaten endlich mal aufgerafft und einen Gottesdienst meiner Konfession besucht habe. Sie ist nämlich Leiterin des Kinderheims „Centre Abadahogora“, das nicht weit von unserer Arbeitsstelle liegt und in das Charlotte und ich seit einiger Zeit jede Woche zum Spielen und Englischlernen mit den Kindern gehen.
Nun ist es so, dass in Ruanda der Großteil der Bevölkerung entweder muslimisch oder eben christlich ist – da aber katholisch. Nie zuvor habe ich eine evangelische Kirche gesehen, geschweige denn einen Protestanten kennengelernt. So kam es, dass ich bisher immer nur in die katholischen Messen der in Gisenyi bekannten „Stella-Maria-Kirche“ gegangen bin. Das war immer ein bisschen komisch für mich, da Charlotte, die selbst katholisch ist, mir viel erklären musste und ich bei den meisten Ritualen einfach nicht mitmachen konnte.
Eines Samstages jedoch, als ich gerade Englisch mit den Kleinen gelernt hatte, stellten Mama Bora und ich im Gespräch miteinander fest, dass wir beide evangelisch sind. Sie freute sich riesig darüber und lud mich sofort ein, sie einmal in ihre Gemeinde zu begleiten.
Halb freute ich mich, halb wusste ich nicht, was da auf mich zukam. Wie groß würde die Gemeinde sein? Wie liefe der evangelische Gottesdienst in Ruanda ab? Und wie würden die Menschen auf den Besuch einer Weißen reagieren?
Dennoch stand ich am Morgen des Ostersonntages pünktlich um zwanzig vor neun an der Straße, um mir ein Mototaxi zu suchen, das mich an den Ort bringen würde, den Mama Bora mir gesagt hatte. Weil ich nicht wusste, wo wir hinfahren würden, war ich ziemlich überrascht, als es dann in Richtung Land ging. Am Zielort, dem Dorf Ruzasa, angekommen, erwartete Mama Bora mich schon. Sie war schick gekleidet und voller Freude, mich gleich mit in den Gottesdienst zu nehmen.
So aufgeregt ich auch zuvor gewesen war, umso ruhiger wurde ich, nachdem wir in das Gebäude getreten waren. Nichts sah zunächst danach aus, dass das, was sich im Inneren des halbfertigen Gebäudes abspielte, ein Gottesdienst war. Auf der freien, mit Matten ausgelegten Fläche vor dem Altar war eine Gruppe Frauen und Männer gerade am Singen und Tanzen. „Jesus hat gewonnen, Jesus, unser Freund, hat den Tod besiegt“, sangen sie.
Nur wenige Menschen standen noch in den Reihen. Mama Bora und ich stellten uns zu ihnen und begannen, im Takt mit zu klatschen. Es dauerte aber nicht lange, bis sie eine kleine Pfeife aus ihrer Tasche zog und sich laut hineinblasend in die feiernde Meute gesellte.
Als das Lied geendet hatte, wurde ich sogleich willkommen geheißen. Meine Bedenken, fehl am Platz zu sein, lösten sich sofort im Nichts auf, denn jeder, wirklich jeder, freute sich, dass ich zum Gottesdienst gekommen war.
Und dann begannen drei wundervolle Stunden des Lobpreises und Feierns für mich. Die Leute predigten nämlich nicht bloß die Auferstehung von Jesus Christus, sie jubelten und freuten sich richtig. Nichts an diesem Gottesdienst war in irgendeiner Weise förmlich oder an Regeln gebunden, vielmehr lebte jeder seinen Glauben einfach aus, ohne dass es irgendjemanden störte. Nie zuvor habe ich einen Gottesdienst wie diesen erlebt, an dem einfach jeder, sowohl groß als auch klein, jung als alt, Männer sowie Frauen die gleiche Freude hatten. Niemanden störte es, dass kleine Kinder bei den Liedern jauchzend vorm Altar herumhüpften, oder das hin und wieder Gemeindemitglieder laute Jubelrufe einwarfen oder spontan zu einem Gebet aufriefen. Die Leidenschaft für den Lobpreis an Jesus Christus, der vom Tod auferstanden war, verband alle miteinander.
Im Anschluss an den Lobpreis hielt die Frau des Pastors die Predigt. „Hallelujah!“, rief sie mit laut, und „Amena!“, schallte es zurück. Eine kleine Taschenbibel in der Hand, begann sie, die Ostergeschichte mit vor Freude bebender Stimme vorzulesen und dabei den Herren zu loben. Zwischendurch klatschte die Gemeinde begeistert, von überallher erklangen jubelnde Ausrufe.
Und danach wurde weiter gesungen. Sowohl der Frauen- als auch der Kinderchor ließen die Kirche in traditionell ruandischen Liedern erklingen, die begleitet wurden vom Schlag der großen Trommel, die an der Seite stand. Jedes Mal, sobald ein neues Lied anklang, fand man alle am Klatschen und Mitsingen. Der Chor umrahmte seine Lieder durch Bewegungen und Schritte, und einige Frauen und Männer sprangen auf die leere Fläche vorm Altar und begannen in traditionell ruandischer Art und Weise zu tanzen; die Arme zu den Seiten ausgebreitet, mit den Füßen auf dem Boden springend und stampfend.
Es dauerte auch nicht lange, bis ich zwei kleine Kinder auf dem Schoß sitzen hatte und wir gemeinsam fröhlich zu den afrikanischen Lobpreisklängen wippten und klatschten. Wo ich auch hinsah, überall schenkte man mir ein Lächeln und gab mir so das Gefühl, mich wirklich komplett auf den Lobpreis einlassen zu können.
Der evangelische Gottesdienst war wirklich komplett anders als der katholische. Zwar war es auch dort so, dass der Gesang von Klatschen begleitet wurde, dennoch war die Messe wesentlich mehr von Ritualen und Regeln bestimmt als bei den Protestanten. Und obwohl der Gottesdienst doppelt so lang andauerte wie bei den Katholiken und das Ganze auf Kinyarwanda und nicht auf Französisch ablief, ging die Zeit richtig schnell rum und ich hätte gut noch eine Stunde länger klatschen und den Menschen beim Jubeln zusehen können.
So habe ich am Ostersonntag einen ruandischen Gottesdienst auf die Art und Weise erlebt, wie man ihn sich vielleicht manchmal in Deutschland vorstellt: laut, jubelnd, freudig und voller Leben. Ich bin unglaublich dankbar für diese Erfahrung und kann gar nicht beschreiben, was für ein Gefühl das war. Diese kleine Gemeinde, die mich am Ende des Gottesdienstes noch herzlich einlud, wiederzukommen, hat mir innerhalb weniger Minuten das Gefühl gegeben, hier in Ruanda ein Stück „Heimat meines Glaubens“ gefunden zu haben.
In dem Sinne: Pasika nziza! Frohe Ostern!
Liebe Uta,
ja, der Gottesdienst war wirklich sagenhaft schön. Und das nicht falsch verstehen, das war der Katholische auch – nur für mich natürlich etwas unbekannter, weshalb ich froh war, mal einen Gottesdienst zu haben, bei dem ich den Ablauf in etwa kenne. Aber generell ist es auch so, dass ich die Freiheit des Tanzens, Feierns und in Bezug auf Religion Lobpreisens schon arg vermissen werde in Deutschland… Das ist eben auch ein Teil des ganz besonderen „Zaubers“, der Afrika, in diesem Fall insbesondere Ruanda, so einzigartig macht. Was feiern und jubeln angeht, können wir Deutschen vielleicht in mancherlei Hinsicht so einiges von den Afrikanern lernen…! 🙂
LG nach Aachen, Yasmin
Liebe Yasmin,
ein weiterer toller Eintrag von dir. Danke für die Möglichkeit, uns an deiner Erfahrung teilhaben zu lassen. Ich wäre wirklich seeeehr gerne dabei gewesen und hätte diese Möglichkeit genossen. Leider sind unsere Gottesdienste (Ich bin katholisch.) wirklich oft sehr steif. In der Osternacht ist die Messe in meiner Gemeinde immer sehr feierlich, aber man kann leider nicht sagen, dass wirkliche FREUDE aufkäme. Geschweige denn Lobgesang. Ne, das wirklich nicht. Schade. Das würde sicherlich mehr Menschen motivieren, noch einmal eine Kirche zu betreten.
LG, Uta