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Brasiliens Staatspräsident Temer vor dem Aus

Nachdem in der vergangenen Woche der brasilianische Nachrichtensender Globo Tonbandaufnahmen enthüllte, auf denen der brasilianische Staatspräsident die Zahlung von Schweigegeldern an seinen inhaftierten Parteigenossen Eduardo Cunha anordnet und Justizermittlungen behindert, steht Michel Temer vor dem beruflichen Aus.

Michel Temer © Foreign and Commonwealth Office

Zwar weist der unpopuläre Staatspräsident vehement alle Anschuldigungen von sich und fordert die sofortige Aufhebung des gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens, doch gelingt ihm dadurch allemal nur ein zeitlicher Aufschub. Die Polizei überprüft zurzeit die Rechtsgültigkeit des am 7. März im Regierungspalast zwischen Temer und Josley Batista, Besitzer des Fleischkonzerns JBS, aufgezeichneten Gesprächs. Erweisen sich die Tonbandbeweise als authentisch, wird dem Obersten Gerichtshof Brasiliens nichts anderes übrigbleiben, als die juristischen Ermittlungen gegen Temer voranzutreiben. Mehrere Abgeordnete sowie der brasilianische Anwaltsverband OAB, der 2016 das Amtserhebungserfahren gegen Dilma Rousseff einleitete, haben die Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens beantragt.

Nach Bekanntgabe des Skandals haben sich mit der PPS (Partido Popular Socialista) und der PSB (Partido Socialista Brasileiro) die ersten Parteien vom Regierungsbündnis abgewandt. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis ihnen die großen Parteien wie PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira) und DEMOCRATAS, welche mit Rodrigo Maio als Präsidenten des Unterhauses den möglichen Interimsnachfolger stellen, folgen. Der Medienkonzern Globo, welcher über viele Monate die Politik des Staatspräsidenten stützte, hat von einem auf den anderen Tag seine Position geändert und fährt in seinen Nachrichtenblöcken schwere Geschütze gegenüber Temer auf. Was in den nächsten Tagen und Wochen passieren wird, ist höchst ungewiss. Vom Amtsenthebungsverfahren bis zur Strafverfolgung und Amtsenthebung durch das Oberste Bundesgericht ist alles möglich.

Fora Temer – Weg mit Temer : Aufruf zur Demo am 21. Mai in Belo Horizonte / Brasilien auf dem Platz der Freiheit

Für den Fall, dass Staatspräsident Temer einlenkt und zurücktritt, hat sein Interimsnachfolger Rodrigo Maio die Aufgabe, innerhalb von 30 Tagen indirekte Wahlen auszurufen, in denen die Abgeordneten des Unterhauses die Nachfolge Temers bestimmen. Ein Albtraum aus Sicht von Schwester Roselei Bertoldo vom Netzwerk GRITO PELA VIDA in Manaus: „Sollte es indirekte Wahlen geben, so ist mit einem heftigen Widerstand der Sozialbewegungen auf Brasiliens Straßen zu rechnen“, erklärt sie. Die Abgeordneten in den Parlamenten haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Gegen mehr als die Hälfte der Abgeordneten bestehen Korruptionsanschuldigungen. Darunter Spitzenpolitiker der Parteien PMDB, PSDB, PT und DEMOCRATAS. Schwester Roselei hofft indes auf Neuwahlen: „Alles andere wäre nach der Amtsenthebung von Dilma Rousseff ein weiterer Angriff auf unsere Demokratie“. Isaias Bezerra de Araujo von der Sozialpastoral der Erzdiözese Rio de Janeiro glaubt hingegen nicht an einen freiwilligen Rücktritt des Staatspräsidenten: „Temer will um jeden Preis das Risiko einer unmittelbaren Verhaftung vermeiden und Zeit gewinnen.“ Nach seiner Einschätzung wird das Oberste Bundesgericht die Strafverfolgung gegen Temer aufnehmen, allerdings werden drei bis vier Monate vergehen, bevor auf juristischem Wege dem Präsidenten die Macht entrissen werden kann. Auch in diesem Fall wären indirekte Wahlen die Folge. Um Direktwahlen auszurufen – wie es Parteien der Opposition und Sozialbewegungen fordern – müssen Veränderungen in der Verfassung herbeigeführt werden. Dazu wären ein Einlenken und eine Zusammenarbeit zwischen den zerstrittenen Abgeordnetenflügeln im Unterhaus und Senat nötig, welches ohne Druck aus der Zivilbevölkerung unwahrscheinlich erscheint. Direktwahlen würden nicht nur unter der Bevölkerung, sondern auch im Ausland am ehesten das ramponierte Bild der brasilianischen Regierung in ein besseres Licht rücken.

© https://twitter.com/joaquimboficial

Der in Brasilien von allen politischen Lagern respektierte ehemalige oberste Richter Joaquim Barbosa gehört zu denjenigen, die das brasilianische Volk dazu aufrufen, um ihre Rechte zu kämpfen. In seinem jüngsten Tweet schreibt er„ Es gibt keinen anderen Ausweg, die Brasilianer müssen sich mobilisieren, auf die Straße gehen und den sofortigen Rücktritt von Michel Temer fordern“. Und es wirkt: Am Wochenende gingen in zwölf Großstädten tausende von Brasilianern mit der Forderung nach Direktwahlen auf die Straßen.

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Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia/Brasilien.

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