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Nepal: Frauen sichern das Überleben

Nepal ist vor allem für Treckingtouren und seine kulturellen Schätze bekannt. Seit dem Erdbeben von 2015 befindet sich das kleine Land im Himalaya auf dem mühsamen Rückweg in den Tourismus und zur wirtschaftlichen Stabilität. Carolin Reiber besuchte die Bewohner der kleinen Siedlung Techo am Rande des Kathmandu-Tals und hat sich über den Stand der Dinge informiert: beim Wiederaufbau und im fairen Handel.

Arbeiterinnen, aufgenommen am 22. März 2017, beim Aufräumen ihrer durch das Erdbeben von 2015 beschädigten Häuser in Thecho, Kathmandu Valley. Carolin Reiber besuchte im Rahmen einer Reise nach Nepal Projekte des katholischen Hilfswerks Misereor. © Ursula Dornberger-Düren)

Arbeiterinnen, aufgenommen am 22. März 2017, beim Aufräumen ihrer durch das Erdbeben von 2015 beschädigten Häuser in Thecho, Kathmandu Valley. Carolin Reiber besuchte im Rahmen einer Reise nach Nepal Projekte des katholischen Hilfswerks Misereor. © Ursula Dornberger-Düren)

In diesen Tagen weht der Wind kalt über die grünen Hügel von Nepal. Nachts sinken die Temperaturen unter zehn Grad im Kathmandu-Tal. Am Rand der Stadt ist die Luft wohl frischer als im Kessel der Drei-Millionen-Metropole, die unter einer Glocke von Abgasen und Staub versinkt. Aber in den Verschlägen aus dünnen Bambusmatten und Wellblech macht den Menschen vor allem die Kälte zu schaffen. Die Fernsehmoderatorin Carolin Reiber besucht die Bewohner der kleinen Siedlung  Techo am Rande des Kathamandu-Tals. Zwei Jahre nach dem Erdbeben, das ihre Häuser zum Einsturz gebracht hat, leben die meisten Menschen hier noch immer in Notunterkünften, die sie zwischen den eingestürzten Häusern oder auf ihren Feldern nach der Katastrophe errichtet haben. „Es ist für uns unvorstellbar, wie die Menschen in Teilen von Nepal auch zwei Jahren nach dem Erdbeben leben müssen. Im Winter ist es in den Hütten eiskalt und im Sommer unerträglich heiß. Erst jetzt haben die Menschen das Geld und Material, um ihre Häuser selber wieder aufzubauen“, berichtet Carolin Reiber auf einer der Baustellen der Organisation LUMATI.

Wiederaufbau durch Blockade verzögert

Die Öffentlichkeit erfuhr am 12. Mai 2015 von den Folgen, die das bislang stärkste Erdbeben in Nepal angerichtet hatte. Über 9.000 Tote waren zu beklagen, 600.000 Häuser ganz oder teilweise zerstört. Bei dem Erdbeben wurden auch bedeutende Kulturgüter in Mitleidenschaft gezogen: An den von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuften Durbar-Plätzen von Kathmandu, Bhaktapur und Lalitpur wurden viele der mehr als 50 Pagoden, Tempel und Paläste beschädigt oder zerstört. Nach den schnell anlaufenden Hilfsmaßnahmen kam jedoch der Wiederaufbau bald ins Stocken. Wegen einer über 100 Tage andauernden Grenzblockade durch Indienkonnten keine Hilfslieferungen ins Land.

Die Misereor-Botschafterin und Moderatorin Carolin Reiber, aufgenommen mit Bauernfrauen in Thecho.

Die MISEREOR-Botschafterin und Moderatorin Carolin Reiber, aufgenommen mit Bauernfrauen in Thecho.© Ursula Dornberger-Düren

Für Carolin Reiber ist klar, wer das Überleben der Familien in dieser harten Zeit gesichert hat. „Wenn man sieht, wie die Frauen schwere Steine zu den Baustellen schleppen oder die Senfpflanzen die steilen Wege von den Feldern auf dem Rücken herauftragen, immer munter und gut gelaunt, dann kann man das gar nicht genug bewundern.“ Gemeinsam mit den Frauen organisiert LUMANTI, von MISEREOR unterstützt, auch den Wiederaufbau von mehr als 1.000 Häusern im Kathmandu-Tal: In Techo alleine profitieren 150 Familien. Auch der steile Weg hinab zu den Feldern wurde mittlerweile mit einer Treppe zu befestigt, eine Maßnahme, die allen Bewohnern gleichermaßen zugutekommt. Technische Hilfe leistet eine Gruppe junger Architektinnen und Bauingenieuren, die zu LUMANTI gehören. Alle Projekte werden aber durch das lokale Frauen-Kommittee beschlossen und verantwortet. „Hier wird entschieden, welche Familie die Hilfe am nötigsten hat. Das geht nur so gut, weil die Frauen schon vor dem Erdbeben in Spargruppen organisiert waren“, sagt Reiber. Die  Fernsehmoderatorin hat als Botschafterin von MISEREOR schon viele Frauenprojekte besucht. Ob in Peru, Argentinien, Kambodscha, Äthiopien, Indien oder Vietnam, seit vielen Jahren macht sie sich selbst ein Bild von den Projekten vor Ort.

Aus Handwerk einen Verdienst machen

Wie groß das Potential der nepalesischen Frauen ist, zeigt auch der Besuch von Carolin Rieber bei der Fair-Handels-Organisation Association for Craft Producers (ACP) an einem der folgenden Tage. In dem mehrgeschossigen Gebäude in einer der staubigen Seitenstraßen der Hauptstadt Kathmandu empfängt Meera Bhattarai den Gast aus Deutschland mit großer Herzlichkeit. ACP wurde 1984 von der resoluten Psychologin gegründet. Gut bezahlte Arbeitsplätze für Frauen zu schaffen und sie in ihrer Selbstständigkeit zu stärken, war ihr Ziel. Frauen sollten nicht nur arbeiten können, sondern auch über ihr eigenes Einkommen verfügen dürfen. „Bis heute ist es so, dass Frauen in Nepal nicht die gleichen Rechte haben wie Männer. Ihr gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Einfluss ist nur gering“, erklärt Bhattarai. „Deswegen ist es so wichtig, dass sie bei ACP die Möglichkeit bekommen, aus ihren handwerklichen Fähigkeiten einen Verdienst zu machen. Wir zeigen den Frauen, dass, was auch immer sie bislang nebenher gemacht haben, weben, schneidern, filzen, töpfern, als Beruf ausgeübt werden kann und eine Chance auf dem Markt hat.“

ACP-Gründerin Meera Bhattarai präsentiert eines ihrer Töpferprodukte. © Ursula Dornberger-Düren

ACP-Gründerin Meera Bhattarai präsentiert eines ihrer Töpferprodukte. © Ursula Dornberger-Düren

Über 1.200 Beschäftigte, davon 90 Prozent Frauen, aus dem ganzen Land, bietet ACP mittlerweile die Möglichkeit, Kunstgewerbeprodukte fair zu produzieren. Die Organisation exportiert in 18 Länder. Damit bietet ACP Frauen in ländlichen Gebieten eine Einkommensmöglichkeit, die sie sonst nicht hätten.  Ihre Ausbildung erhalten die Frauen im ACP-Zentrum in Kathmandu. Danach arbeiten sie meist zu Hause in kleinen Werkstätten, kommen aber zur Weiterbildung immer wieder zurück ins ACP-Zentrum. Dort werden auch die Designs und Muster hergestellt, die den Handwerkerinnen in den einzelnen Werkstätten als Vorlage dienen. Das ACP-Team entwickelt neue Produkte, beschafft die entsprechenden Materialien und verkauft sie im In- und Ausland, unter anderem über das Fairhandelshaus GEPA nach Deutschland. Mittlerweile trägt sich die Organisation selbst und macht Profit, der in die Entwicklung von neuen Produkten und in Qualitätsverbesserung reinvestiert wird. „ Wir vergessen dabei aber nie unsere soziale Verantwortung, die das Prinzip von ACP ist. An sozialen Maßstäben orientierter Fairer Handel, das ist es, was wir machen“, erläutert Bhattarai.

Qualität und Umweltschutz

Wie effektiv die Organisation arbeitet, davon kann sich Carolin Reiber bei einem Rundgang überzeugen. Bei der Frauengruppe, die gerade Mützen stricken, lässt sie sich in die nepalesische Art der Maschenkunst einweihen, beim Filzen legt sie mit Hand an, die neuesten Designs für bedruckte Stoffe lernt sie in der Färberei und Wäscherei kennen. „Es ist beeindruckend, wie hochwertig und professionell die unterschiedlichsten Handwerksprodukte hier gestaltet und hergestellt werden. Dass dabei auch noch durch eine Solaranlage, Regenauffangbehälter und Kläranlagen auf die Umwelt geachtet wird, hätte ich in Nepal nicht erwartet, staunt die Moderatorin. „Gleichzeitig merkt man schnell, mit welchen Qualitätsansprüchen aber auch sozialer Kompetenz dieses Unternehmen geführt wird.  Diese hochwertigen Produkte verdienen auf jeden Fall einen fairen Preis auf dem internationalen Markt.“

Als Carolin Reiber einige Tage später den Rückflug in ihre Heimatstadt München antritt, hat sie einiges im Gepäck: Die Erinnerung an ein Land, dessen Bewohner trotz schwieriger Lebensumstände nie den Mut und die Herzlichkeit gegenüber ihren Gästen verlieren; den Willen in ihrer Heimat den Gedanken des fairen Handels voranzutreiben und Politiker dazu in die Pflicht zu nehmen; und eine Handvoll Fingerpuppen für die Enkelkinder, Seidenschals für einige gute Freundinnen, Filzkissen für das Hilfszentrum „`s Münchner Herz“ und eine Klangschale für den Münchener Oberbürgermeister.

Dieser Artikel erschien zuerst im „Straubinger Tagblatt“ am 30. Juni 2017

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Michael Mondry ist Referent für Kommunikation bei Misereor.

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