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Ausverkauf des brasilianischen Regenwaldes

Die Regierung Temer macht aus dem Amazonas eine Ware: Ende August überraschte Staatspräsident Michel Temer ein weiteres Mal das brasilianische Volk. Über Nacht kündigte er ein neues Gesetz an, durch das mitten im Amazonas knapp vier Millionen Hektar Regenwald – eine Fläche in der Größe Dänemarks – internationalen Bergbaukonzernen aufs Tablett serviert werden. Obwohl das nördlich des Amazonas-Stroms betroffene Gebiet mit den Namen RENCA (Reserva Nacional do Cobre e Associados) zu 70 Prozent aus Naturschutzgebieten und indigenen Territorien besteht, die ebenfalls unter besonderem Schutz stehen.

Der amazonische Regenwald © Instituto Socioambiental (ISA)

Mit platten Argumenten wie, „die Region sei bereits seit Jahren von illegalen Goldgräbern infiltriert und kein Paradies mehr“, oder „durch die Vergabe von Abbaukonzessionen wolle man den Bergbau in der Region kontrollieren und den Regenwald schützen“, versuchen Regierungsmitglieder den gravierenden Eingriff herunterzuspielen. Dabei geht es längst nicht nur darum, internationale Bergbaukonzerne in das Gebiet zu führen.

„Die Temer-Regierung macht aus unserem Amazonas ein Stück Ware“ warnt Bruder Rodrigo Peret auf einem von MISEREOR im September durchgeführten Seminar zum Thema Menschenrechtsverletzungen im Bergbau. „Kommt erst einmal der Bergbau, dann dringt auch die Holzmafia, der Sojaanbau und die Viehzucht in die RENCA ein“, ergänzt der für das kirchliche Netzwerk „Igreja e Mineração“ tätige Franziskaner. Die Erfahrungen aus anderen Bergbaugebieten wie „Carajas“, „Juriti“ oder „Ourilandia do Norte“ geben Rodrigo Peret Recht.  

Bruder Rodrigo Peret (Mitte) während eines Seminars zum Thema „Menschenrechtsverletzungen im Bergbau“ © Christina Weise

Auf die Erschließung der Region durch das Agribusiness spekulieren auch die aus verschiedensten Parteien zusammengewürfelten 220 Abgeordneten des politischen Flügels der „Ruralisten“.  Die einflussreiche Gruppe hatte im Juli dem tief in Korruptionsskandalen verwickelten Staatspräsidenten Temer bei einer Misstrauensabstimmung das Amt gerettet. Dafür fordern sie inzwischen eine Reihe an Gegenleistungen ein, unter anderem die RENCA.

 Heftige Proteste bremsen den Vormarsch des Bergbaus im Regenwald

Im sozialen Netz löste Temers Ankündigung einen wahren Sturm an Protesten aus. Umweltschutzorganisationen mobilisierten in wenigen Tagen mehr als 600.000 Stimmen gegen die Invasion. Wissenschaftler, Schauspieler und andere Prominente machten öffentlich ihrem Unmut über die Situation Luft. Das Supermodel Gisele Bündchen twitterte „eine Schande, sie verhökern unseren Amazonas, wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Schutzgebiete für private Interessen zerstört werden“. Die Brasilianische Bischofskonferenz und das pan-amazonische Netzwerk REPAM (Rede Eclesial Pan-Amazonica) übten scharfe Kritik und Parlamentarier von sieben Parteien, allen voran die Umweltpartei REDE, kündigten ihren Widerstand an. Ihr Sprecher, der Abgeordnete Alessandro Molon, sprach von einer beispiellosen Attacke auf den Amazonas. Die massiven Proteste aus der Bevölkerung bremsten vorerst die Pläne der Regierung. Am 30.08. erklärte der Bundesrichter Rolando Spanholo das Dekret für verfassungswidrig und nur einen Tag später zog die Regierung das Dekret vorübergehend zurück.

Parlamentarier protestieren im Abgeordnetenhaus gegen RENCA-Dekret © Stefan Kramer/MISEREOR

Seit dem Regierungswechsel im Mai 2016 erlebt Brasilien einen beispiellosen Angriff auf seine Naturreserven. Fast wöchentlich bringen Abgeordnete der Agrarlobby und des Bergbaus Vorschläge für Gesetzesänderungen ein. Ziel ist es, die fest verankerten Umweltgesetze des Landes zu durchlöchern, um an Brasiliens Naturreserven heranzukommen, allen voran die des Amazonas.  

Dabei ist die RENCA längst nicht die einzige Zielscheibe. Durch 12 Gesetzeserweiterungen sollen tausend Kilometer weiter südöstlich des RENCA-Gebietes dem Nationalpark „Prana Jamanxim“ bis zu eine Million Hektar Regenwald entrissen werden. Und es zirkulieren bereits Gerüchte über die Einnahme weiterer Schutzgebiete, die auf der Liste der „Ruralisten“ stehen.

Amnestie für Landraub

Wenig in der internationalen Öffentlichkeit diskutiert, deswegen aber nicht weniger brisant, ist auch die von Michel Temer im Juli unterzeichnete einstweilige Anordnung 759 /13.465. Die Anordnung bewilligt die (Massen-)Privatisierung öffentlicher Ländereien, Wälder und Gewässer. Von der geplanten Landtitelvergabe profitieren weniger die einfachen Bauernfamilien, als vielmehr die Großgrundbesitzer. Unter ihnen jene, die durch die Anwendung von Gewalt, Dokumentenfälschung und Landraub zu ihrem Besitz kamen.

Der im Portugiesischen unter den Namen „Grilagem“ bekannte Landraub ist in Brasilien nach wie vor weit verbreitet. Er kostete im vergangenen Jahr mehr als 60 Menschenrechtlern das Leben und unzähligen armen Menschen ihr Land. Nur selten bis nie werden die Täter und Hintermänner solcher Gewaltakte zur Rechenschaft gezogen. Und das nicht ohne Grund: denn Großgrundbesitzer, internationale Agrarkonzerne und den brasilianischen Staat verbinden in der Landfrage gemeinsame Interessen.

Der beunruhigenden Nachrichten nicht genug, kommt noch hinzu, dass die Temer-Regierung durch eine weitere Gesetzesänderung jetzt auch ausländische Unternehmen und Spekulanten dazu einladen will, brasilianische Güter und Ländereien zu erwerben. Ein wahres Horror-Szenarium bahnt sich an, dessen zerstörerischen Auswirkungen nicht allein die Urbevölkerung des Amazonas, sondern die ganze Welt zu spüren bekommen wird.

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Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia/Brasilien.

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