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Kulturwandel statt Klimawandel

Die Enzyklika „Laudato si’“ ermutigt dazu, die Herausforderung Klimawandel entschlossen anzugehen.

Philippinen: Zerstörung nach Taifun Hayan/Yolanda © Noé /MISEREOR

Philippinen: Zerstörung nach Taifun Hayan/Yolanda © Noé /MISEREOR

Ein Teil der Menschheit hat es geschafft, das Klimasystem aus dem Takt zu bringen – der andere, wesentlich größere Teil leidet besonders unter den zerstörerischen Folgen. Der Kurs für eine zugleich ökologisch nachhaltige und sozial gerechte globale Entwicklung muss daher neu bestimmt werden. Technologische Lösungen sind wichtig, werden aber alleine die Erderwärmung nicht aufhalten. Unsere Wirtschafts- und Lebensweisen sind erst dann zukunftsfähig, wenn wir sie an den Prinzipien der Gerechtigkeit und der Solidarität ausrichten. In diesem Sinne ist Laudato si’ (LS) mit dem Untertitel „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ eine Enzyklika über Fragen der Gerechtigkeit, die sich aus weltweiter Armut und Umweltzerstörung ergeben. Sie ermutigt, anstehende Herausforderungen entschlossen anzugehen.

Wichtige Elemente des Klimasystems der Erde erwärmen sich: die Atmosphäre, Ozeane sowie die Eisschilde und Gletscher. Das zeigt der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur an der Oberfläche der Erdmassen und der Ozeane um fast ein Grad gegenüber vorindustriellem Niveau. Die Erwärmung der Atmosphäre und der Ozeane trägt neben dem Abschmelzen der Landeismassen zu einem anhaltenden Meeresspiegelanstieg bei. Temperaturextreme, Wirbelstürme wie Irma oder das El Niño-Phänomen treten verstärkt und in kürzeren Zyklen auf. Die polaren Eismassen und die Gebirgsgletscher ziehen sich drastisch zurück. In Armut lebende Menschen trifft der Klimawandel im Besonderen: Regen- und Trockenzeiten verschieben sich und Ernten fallen aus. Hurrikane erreichen unbekannte Intensität und Zerstörungskraft, Starkniederschläge nehmen zu und reißen gerade die Hütten der Ärmsten mit. Der steigende Meeresspiegel überflutet erste bewohnte Inseln im Pazifik. Erdrutsche werden häufiger, Gletscher – wichtige Trinkwasserreserven – schmelzen unwiederbringlich ab.

 Der Monsun bringt in Pakistan immer häufiger Flutkatastrophen und Erdrutsche. © Rupp / MISEREOR


Der Monsun bringt in Pakistan immer häufiger Flutkatastrophen und Erdrutsche. © Rupp / MISEREOR

In diese Situation hinein richtet sich Papst Franziskus „an alle Menschen, die auf der Erde leben“ mit seiner Enzyklika Laudato si’. Die Überwindung der Armut in all ihren Formen und der Schutz der Mitwelt sind untrennbar verbunden. Es ist Aufgabe der gesamten Menschheit, gerade der Kirchen, Armut und Umweltzerstörung als Zusammenhang zu denken und die Ursachen entschieden anzugehen. Dabei sind es vor allem wir, die Menschen in den frühindustrialisierten Ländern und die Wohlhabenden dieser Welt, die weit über dem Niveau leben, das die Erde aushält. Auch wenn heute ein Großteil der Emissionen in sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern entsteht, so bleiben die Pro Kopf-Emissione in Entwicklungsländern weiter niedrig, während sie in den „alten“ Industrieländern auf viel zu hohem Niveau verharren. So behält das bereits 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro beschlossene Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ als handlungsleitendes Motiv globaler Umweltpolitik an Bedeutung.

Unsere Art zu leben ist nicht zukunftsfähig

Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen und das Pariser Klimaabkommen skizzieren wesentliche Schritte der internationalen Staatengemeinschaft, um den aktuellen Bedrohungen des Lebens und Zusammenlebens auf der Erde noch rechtzeitig zu begegnen. Im Juni 2015, kurz vor den Beschlüssen der Vereinten Nationen, hat Papst Franziskus das Lehrschreiben Laudato si’ veröffentlicht. Es wurde zur weit beachteten Antwort der katholischen Kirche auf die weltweiten Herausforderungen. Die Analyse dahinter: Das vorherrschende kohlenstoff- und rohstoffintensive Produktions- und Lebensmodell ist nicht zukunftsfähig.

Fortschritt muss neu definiert werden

Die Industrienationen haben die Atmosphäre bereits übermäßig mit Treibhausgasen überladen und anderen Staaten dadurch den Wachstumspfad auf Grundlage der Verbrennung fossiler Rohstoffe verbaut. Gleichzeitig verfügen sie – nicht zuletzt durch die Verbrennung von Kohle und Öl – über enorme finanzielle und technische Möglichkeiten. Doch technologische Lösungen allein halten die Erderwärmung nicht auf. „Die Menschheit ist aufgerufen, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um diese Erwärmung oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und verschärfen, zu bekämpfen“ (LS 23). Auch die Kirchen in Deutschland sind aufgerufen, in ihren eigenen Reihen die Impulse des Papstes zu diskutieren und Konsequenzen zu ziehen. Die Palette ist breit, sie schließt energieeffizientes Gebäudemanagement, ökosoziales Beschaffungswesen und Mobilitätsverhalten ein. Obwohl Bischöfe und Kirchenverwaltungen in diese Richtung aufbrechen, gibt es vor Ort auch zahlreiche Widerstände. Das Neue muss sich beharrlich gegen althergebrachte Gewohnheiten behaupten. Konsequenterweise schlägt der Papst vor, Fortschritt neu zu definieren (LS 194). Mit kleinen gesellschaftlichen Veränderungen hier und da ist es nicht mehr getan.

Dabei will der Papst keine letzten Wahrheiten zur Ökologie verkündigen, sondern ruft aus Sorge um die Hungernden und die Mitwelt die Menschen zum Umdenken und Mittun auf. Auch wenn Papst Franziskus uns durchaus betroffen machen möchte angesichts der gravierenden aktuellen Probleme, so wählt er vor allem ermutigende Worte, die zur ökologischen Umkehr motivieren. „Während die Menschheit des postindustriellen Zeitalters vielleicht als eine der verantwortungslosesten der Geschichte in der Erinnerung bleiben wird, ist zu hoffen, dass die Menschheit vom Anfang des 21. Jahrhunderts in die Erinnerung eingehen kann, weil sie großherzig ihre schwerwiegende Verantwortung auf sich genommen hat“ (LS 165). Es brauche „ein Gespräch über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten“ (LS 14). Nicht mehr eine Religion, ein Staat oder eine internationale Organisation können die Probleme der Welt lösen. Es geht nur in der Kooperation aller.

Mit Blick auf die internationalen Klimaverhandlungen und die dringend notwendige Minderung von Treibhausgasemissionen verlangt der Papst „Ehrlichkeit, Mut und Verantwortlichkeit vor allem der Länder, die am mächtigsten sind und am stärksten die Umwelt verschmutzen“ (LS 169). Aber er ruft auch die gesamte Menschheit auf, „sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um [die Klimaerwärmung] oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und verschärfen, zu bekämpfen“ (LS 23). Das Klima als Gemeingut zu verstehen, bedeutet also zu erkennen: Mein Sein und Handeln ist in die Mitwelt und in die gesamte Menschheitsfamilie eingebunden.

Misereor fördert Partnerorganisationen in Afrika, Asien, Ozeanien und Lateinamerika, auch im Kampf gegen die Folgen eines zerstörerischen Energiesystems. So unterstützen wir etwa mehrere Partnerorganisation bei ihrem Widerstand gegen einen Kohle-Bergbau in Südafrika, der Böden, Wasser und Luft verschmutzt. Angesichts der immer häufiger auftretenden schweren Naturkatastrophen hält Misereor intensiven Kontakt mit seinen Projektpartnern in den betroffenen Regionen, um bei Bedarf schnell reagieren und die Partner bei der Nothilfe mit einer langfristigen Perspektive unterstützen zu können.

Den Mächtigen ins Gewissen reden

„Den Mächtigen ins Gewissen reden“ ist Teil des Gründungsauftrages von Misereor. Durch Advocacy- und Lobbyarbeit im Bereich Klimaschutz will Misereor Veränderungen von strukturellen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorantreiben. Wir stehen auch damit an der Seite der Armgemachten, denn die Auswirkungen unserer Lebens- und Wirtschaftsweise auf das Leben dieser Menschen stehen dabei im Mittelpunkt. Neben der Projektarbeit mit Partnern im „Globalen Süden“ ist diese Arbeit ein wichtiger Beitrag, um Entwicklungschancen zu sichern. Daher setzt sich Misereor dafür ein, dass Deutschland ambitionierte Klimaziele verfolgt und umsetzt und ausreichend finanzielle Mittel für Klimaschutz und Anpassung einsetzt. Die Bedürfnisse und Rechte der ärmeren Bevölkerungsgruppen müssen in der Klimakooperation Beachtung finden.

Zielgruppen dieser Arbeit im Bereich Klimaschutz sind vor allem Politiker, Wirtschaftslenker und gesellschaftspolitisch einflussreiche Akteurinnen und Akteure. Aber auch die breitere Öffentlichkeit soll durch Kampagnen-Arbeit, wie etwa unser Engagement in den Klimaverhandlungen bei der internationalen Klimakonferenz im November in Bonn, informiert werden. Misereor arbeitet dabei in Bündnissen mit anderen kirchlichen und außerkirchlichen Akteuren der deutschen und internationalen Zivilgesellschaft wie etwa der Klima- Allianz Deutschland, dem Verband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen (VENRO) oder dem internationalen Netzwerk katholischer Hilfsorganisationen (CIDSE).

Für Misereor ist die Enzyklika Bestätigung und Motivation, auf der Basis einer schöpferischen Spiritualität, auf der Basis von Menschenwürde und Achtung der Schöpfung, sich weiterhin weltweit für Gerechtigkeit einzusetzen. Deswegen öffnet es Räume, damit die Stimmen der Armen gehört und die Wunden der Erde wahrgenommen werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Sonderbeilage „Paulinus & der Pilger“ am 29.10.2017


Mehr zum Thema Klimawandel…

in unserem Dossier „Was der Klimawandel mit Gerechtigkeit zu tun hat“

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Pirmin Spiegel war Hauptgeschäftsführer bei Misereor.

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