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Buchrezension: „Systemwandel. Alternativen zum globalen Kapitalismus“

„Systemwandel. Alternativen zum globalen Kapitalismus“ ist die deutschsprachige Übersetzung eines Sammelbandes, der 2016 unter dem Titel „Alternativas Sistémicas“ von Pablo Solón in La Paz herausgegeben wurde. Solón, der von 2006 bis 2011 der bolivianischen Regierung unter Evo Morales angehörte und anschließend von 2012 bis 2015 als Direktor zur NRO „Focus on the Global South“ (Hauptsitz: Bangkok) wechselte, ist heute wieder in Bolivien und dort unter anderem als Direktor der Fundación Solón tätig. Der vorliegende Sammelband geht nicht nur auf seine Initiative zurück; auch die meisten Beiträge stammen aus seiner Feder. Sie werden ergänzt durch Kapitel von Geneviève Azam (Frankreich), Christophe Aguiton (Frankreich) und Elisabeth Peredo Beltrán (Bolivien).

Pablo Solón ist Umwelt-Aktivist, Vordenker und ehemalige UN-Botschafter Boliviens. Die deutsche Überstezung seines Buches „Systemwandel. Alternativen zum globalen Kapitalismus“ ist gerade erschienen.

Der deutschsprachige Titel stellt sofort klar, worum es geht: um Auswege aus der globalen multiplen Systemkrise des Kapitalismus. Deren zahlreiche gesellschaftliche, politische, ökonomische und ökologische Symptome kulminieren in der dramatischen Möglichkeit einer von Menschen gemachten Zerstörung wesentlicher ökologischer Rahmenbedingungen der aktuellen erdgeschichtlichen Phase des Holozän. Damit stehen die natürlichen Grundlagen nicht nur der zunehmend beschleunigten zivilisatorischen Humanentwicklung seit dem Ende der Mittelsteinzeit, sondern auch einer Vielzahl der derzeit lebenden tierischen und pflanzlichen Arten zur Disposition.

Antwortversuche auf die globale Systemkrise

Neben dem „unaufhörlichen Profitstreben des kapitalistischen Systems auf Kosten des Planeten und der Menschheit“ (S. 19) analysieren Solón und seine Mitautorinnen und Mitautoren weitere ursächliche Faktoren der Systemkrise: Produktivismus, Extraktivismus, Patriarchat, Plutokratie und Anthropozentrismus. Auch wenn diese Faktoren nicht einfach als Elemente des Kapitalismus angesehen werden können, werden sie doch zumindest von diesem verstärkt und in Dienst genommen. Eine zentrale These des Sammelbandes lautet deshalb, dass Antwortversuche auf die globale Systemkrise all diese Faktoren berücksichtigen müssen.

In den einzelnen Kapiteln werden die meisten der einflussreicheren Antwortversuche historisch und systematisch in ihrer jeweiligen Bandbreite vorgestellt: Buen Vivir, Degrowth/Postwachstum, Commons, Ökofeminismus, Rechte der Mutter Erde und Deglobalisierung. Neben der Darstellung der Konzepte geht es den Autorinnen dabei immer auch um die Frage, wie diese zu einem umfassenden Wandel beitragen können, der von der dominierenden kapitalistischen Ausbeutungslogik und den sie stützenden plutokratischen, patriarchalen und anthropozentrischen Herrschaftsverhältnissen zu globalen Gesellschaften führt, die sich an einem „guten Leben für alle“ im Einklang mit der Natur orientieren. Der kritischen Distanz, die dabei – nicht nur im Kapitel zu den Commons – sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber privatwirtschaftlich organisierten Märkten eingenommen wird, entspricht die zentrale Rolle, die soziale Bewegungen als Akteurinnen eines solchen Wandels in dem Buch einnehmen.

Lädt zum Dialog ein

Doch der Sammelband will mehr als eine bloße Sammlung sein. Er stellt sich der Aufgabe, die unterschiedlichen Antwortversuche auf die systemische Krise in Beziehung zueinander zu setzen. Das geschieht erfreulicherweise nicht durch den Versuch, die verschiedenen Konzepte in eine umfassende Systemalternative mit universellem Geltungsanspruch zu integrieren, sondern durch das Postulat der Komplementarität: Aufgrund der unterschiedlichen Kontexte und der Aufgabe, die verschiedenen Faktoren der Krise zu berücksichtigen, bleiben die Antwortversuche aufeinander angewiesen. Diese wechselseitige Bezugnahme durchzieht nicht nur die Kapitel, welche die einzelnen Konzepte und Bewegungen behandeln. Pablo Solón widmet ihr am Schluss ein eigenes Kapitel. Damit leistet das Buch über eine komprimierte und gut lesbare Zusammenfassung zentraler Positionen zur Debatte eines umfassenden Systemwandels für deutschsprachige Leserinnen hinaus den genuinen Beitrag einer Zusammenschau, die zu weiterem Dialog und Kooperation einlädt. Ein wichtiger Beitrag, denn für intellektuelle Eitelkeiten oder Selbstgespräche ist die Ausgangslage zu ernst.

Die Texte sind insgesamt sehr gut übersetzt und redigiert, was der Verständlichkeit dient, wenn es einmal komplexer wird. Ergänzende Literaturangaben und ein Überblick über die Akteure und Diskussionsstand zu einzelnen Aspekten eines kapitalismuskritischen Systemwandels im deutschsprachigen Raum erhöhen den Nutzwert für die angezielte Leserschaft. Pablo Solón und alle Beteiligten haben das Ihre getan, damit das Buch seinen Zweck erfüllt: „dass es neue Debatten auslöst und zu immer tiefer gehenden Annäherungen führt, die uns helfen, der aktuellen systemischen Krise die Stirn zu bieten.“ (S. 23)


Weitere Informationen

Pablo SOLÓN u.a.: Systemwandel. Alternativen zum globalen Kapitalismus, Wien/Berlin: Mandelbaum Verlag 2018

Kostenfreie Leseprobe als pdf-Datei


 

Pablo Solón: „Wir müssen unseren gesamten Lebensstil ändern!“

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