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„Sri Lanka steckt in der Schuldenfalle“

Auch zehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs kommt Sri Lanka nicht zur Ruhe. Seit Staatspräsident Sirisena Ende Oktober 2018 Premierminister Wickremasinghe abgesetzt und Ex-Präsident Rajapaksa als neuen Premier vereidigt hatte, steckt das Land in heftigen politischen Turbulenzen.

 Jehan Perera, Direktor des „Nationalen Friedensrates“ in Sri Lanka (National Peace Council, NPC)
Jehan Perera, Direktor des „Nationalen Friedensrates“ in Sri Lanka (National Peace Council, NPC)

Zwar hat Rajapaksa mittlerweile seinen Rücktritt erklärt, doch die Krise ist damit nicht vorbei. MISEREOR-Projektpartner befürchten, dass der ohnehin schon schleppende Friedensprozess weiter verzögert werden könnte, zudem kämpft Sri Lanka mit einem großen Haushaltsdefizit, einem schwachen Verwaltungsapparat und hohen Schuldendienstzahlungen. Von der Situation profitiert vor allem China. Das Reich der Mitte vergibt mittlerweile mehr Kredite an arme Länder als die Weltbank.

Ein Interview mit Jehan Perera, Direktor des „Nationalen Friedensrates“ in Sri Lanka (National Peace Council, NPC).

Wie geht es den Menschen in Sri Lanka?

Jehan Perera: Seit der Abwahl von Präsident Mahinda Rajapaksa 2015 hat sich die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung nicht wirklich verbessert. Einer der Hauptvorwürfe an die gegenwärtige Regierung (unter Staatspräsident Sirisena) ist, dass sie ihre Versprechen nicht erfüllt hat. Die Kluft zwischen Arm und Reich bleibt bestehen. Die Mehrheit der Bevölkerung leidet unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Es gibt keine Anzeichen, dass die Regierung Maßnahmen unternimmt, um dem zu begegnen.Wie würden Sie die Verschuldungssituation Ihres Landes
beschreiben?

Wie würden Sie die Verschuldungssituation Ihres Landes
beschreiben?

Perera: Die Tragödie von Sri Lanka ist, dass es gezwungen ist, China um weitere Kredite zu bitten, obwohl es bereits hochverschuldet ist. Die Schuldenquote war im August 2018 auf ein alarmierendes Niveau von 87 Prozent gestiegen. Zudem gibt es Bedenken wegen chinesischer Projekte in Sri Lanka. Vergangenes Jahr wurde der Hafen von Hambantota, der strategisch günstig liegt, für 99 Jahre an die Chinesen verpachtet. Grund dafür ist, dass Sri Lanka das Darlehen für das 1,4-Milliarden-USD-Projekt nicht zurückzahlen konnte. Obwohl die Menschen auf Sri Lanka den chinesischen Absichten skeptisch gegenüberstehen, sagen sie gleichzeitig, dass China auch wichtig ist, um die Wirtschaft über Wasser zu halten.

Warum ist das so?

Perera: Weil Sri Lanka in einer Schuldenfalle steckt. Diese ist auf eine lange Geschichte der Aufnahme von Krediten verschiedener Kreditgeber zurückzuführen – dazu gehören auch ausländische Regierungen und gewerbliche Kreditgeber. China hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, diese Krise zu verschärfen, indem es unwirtschaftliche Investitionen begünstigt hat, die von korrupten Regierungsvertretern (aus Sri Lanka) vorgeschlagen wurden – unter anderem, aber nicht ausschließlich – von Rajapaksa.

Wie wirkt sich die Schuldenfalle aus, in der Sri Lanka steckt?

Perera: Es stehen weniger öffentliche Ressourcen zur Verfügung, um die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken. Die Regierung hat große Anstrengungen unternommen, um die Gelder für die Bildungs- und Gesundheitsdienste nicht zu kürzen, aber hier fließt weniger Geld als in viele andere Ministerien.

Sri Lanka hat bei Deutschland noch 243 Millionen Euro Schulden aus der Entwicklungszusammenarbeit. Sollte sich die Zivilgesellschaft in Deutschland für eine Streichung oder Umwandlung dieser Schulden einsetzen?

Perera: Sri Lanka steckt in einer Schuldenkrise. Was immer die deutsche Zivilgesellschaft tun kann, um die Schuldenlast der Regierung zu verringern, wäre für die Bevölkerung von Vorteil. Es würde helfen, Gelder freizusetzen, mit denen die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Menschen gemildert werden können. Die Anstrengung wäre jedoch vergeudet, wenn die Regierungschefs nicht gleichzeitig international dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wie sie das Geld ausgeben, das durch die Schuldentilgung freigesetzt wird. Die deutsche Zivilgesellschaft muss sicherstellen, dass Regierungsführer, die Geld für korrupte und verschwenderische Zwecke verwenden, international zur Rechenschaft gezogen werden – ebenso wie diejenigen, die Kriegsverbrechen begehen

Wie hängt beides zusammen: Gewaltsame Konflikte und Armut?

Perera: In einem gewaltsamen Konflikt herrschen Unsicherheit und Angst. Unternehme investieren deshalb nicht, und die Wirtschaft wächst nicht. Ressourcen, die für die Menschen verwendet werden könnten, werden für den Krieg eingesetzt.

Der National Peace Council (NPC), dessen Direktor Sie sind, setzt sich für den Friedensprozess in Sri Lanka ein. Wie gestaltet sich die Arbeit der Organisation?

Perera: Wir haben eine führende Rolle bei der Schaffung und Aufrechterhaltung von Foren zur Friedenskonsolidierung von unten gespielt, um den Herausforderungender Gegenwart zu begegnen. Wir haben Ausschüsse auf Divisions- und Distriktebene eingerichtet. Ihre Mitgliedschaft ist entweder multiethnisch oder multireligiös. Das Grundprinzip, das diesen Ausschüssen zugrunde liegt, ist, dass sie den Moderaten in allen Gruppen Räume bieten, in denen sie sich für ein gemeinsames Ziel einsetzen können, nämlich für Frieden und Versöhnung. Es ist wichtig, dass die zivilgesellschaftlichen Strukturen von den staatlichen Strukturen getrennt sind. Nur so können wir die Unabhängigkeit von politischen Veränderungen bewahren.


Jehan Perera

… ist Direktor des „Nationalen Friedensrates“ in Sri Lanka (National Peace Council, NPC). Der MISEREOR-Partner ist schon lange in der Friedensbildung aktiv. NPC fühlt sich den Werten von Pluralismus und Inklusion verpflichtet und setzt sich dafür ein, im Rahmen einer Übergangsjustiz eine politische Lösung für den langewährenden ethnischen Konflikt in Sri Lanka zu finden.

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Nina Brodbeck ist Referentin für Kommunikation bei Misereor.

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