Zum 26. März hatte das Auswärtige Amt Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft eigentlich zur Vorstellung des ersten Zwischenberichts des Monitorings im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechten eingeladen.
Der Zwischenbericht beschreibt vor allem die Methodik, mit der im Herbst 2019 und in der ersten Jahreshälfte 2020 jeweils repräsentativ die menschenrechtliche Sorgfalt deutscher Unternehmen überprüft werden soll. Präsentiert wurde aber nicht der Zwischenbericht selbst, sondern eine dürre PowerPoint-Präsentation. Grund war ein handfester Krach, der wenige Tage zuvor den zuständigen Interministeriellen Ausschuss (IMA) entzweit hatte.
Der Grund: Das Bundeskanzleramt, das im IMA eigentlich nur Beobachterstatus ohne Stimmrecht besitzt, hatte im Schlepptau des BMWi auf Verwässerungen bestanden, die das methodisch ohnehin schon sehr problematische Monitoring völlig ab adsurdum führen würden. BMZ, BMAS, BMJV, BMUB und AA lehnten die Forderungen des Kanzleramts dem Vernehmen nach geschlossen ab. Bei der Präsentation am 26. März verloren AA und Ernst & Young (EY), Führer des mit dem Monitoring beauftragten Konsortiums, kein Wort über den Dissens. Dabei hatte EY laut Spiegel online aus Sorge um den eigenen Ruf sogar mit Niederlegung des Mandats gedroht, falls das Kanzleramt auf seinen Forderungen beharre. Ob und inwieweit sich das Kanzleramt dennoch durchsetzt, wird sich vermutlich erst nächste Woche entscheiden. In zwei interministeriellen Krisensitzungen am 3. und 9.April konnte bisher noch keine Einigung erzielt werden.
Folgende Änderungen fordern Kanzleramt und BMWi konkret:
- Ausgleich zwischen Elementen: Frühere Entwürfe des Zwischenberichts hatten klargestellt, dass ein Unternehmen jedes Element (z.B. Grundsatzerklärung) der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht und jedes qualitative Merkmal innerhalb eines Elements (z.B. Inhalt der Grundsatzerklärung) erfüllen muss, um als Erfüller gewertet zu werden. Geht es nach dem Kanzleramt, soll stattdessen ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Elementen und Merkmalen möglich sein. Wenn ein Unternehmen ein Element „übererfüllt“, könnte man demnach bei einem anderen Element dafür auch mal Fünfe gerade sein lassen.
- Einführung einer neuen Kategorie von „Grenzfällen“: Die neue Kategorie soll wörtlich der „Flexibilisierung des Umgangs mit Fast-Erfüllern“ dienen. Unternehmen, die den Anforderungsrahmen nur knapp nicht erfüllen, sollen demnach einer erneuten „Gesamtwürdigung“ unterzogen werden und danach gegebenenfalls doch noch als Erfüller gewertet werden können.
- Nicht-Wertung von unvollständig beantworteter Fragebögen: EY wollte eigentlich Unternehmen, die den Fragebogen trotz vorheriger Hinweise nicht vollständig ausfüllen, als Nicht-Erfüller werten. Geht es nach dem Kanzleramt, sollen diese nun als non-responders gewertet werden. Damit würden die Anzahl und der Anteil der Nicht-Erfüller sinken und die im NAP genannte Mindestquote von 50 Prozent leichter erreicht.
- Einspruch gegen Kontrollgruppenansatz: CorA, Forum Menschenrechte und VENRO hatten diesen Ansatz vorgeschlagen, der einen repräsentativen Vergleich zwischen den responders und non-responders vorsah: Auf Grundlage öffentlich verfügbarer Dokumente der Unternehmen – etwa zur Grundsatzerklärung oder zum Beschwerdemechanismus – sollte dadurch festgestellt werden, ob die responders die Sorgfaltspflichten tendenziell besser erfüllen als die non-responders. Eine solche positive Verzerrung der Realität müsste dann bei der Auswertung und den Schlussfolgerungen zum Monitoring berücksichtigt werden. Dies lehnen Kanzleramt und BMWi jedoch ab, so dass nun ein Expertentreffen alternative Ansätze prüfen soll.
Gemeinsam mit CorA, VENRO, Forum Menschenrechte und DGB hatte MISEREOR schon zwei frühere Entwürfe des Zwischenberichts ausführlich analysiert und die Transparenz, Wissenschaftlichkeit, Tiefe, Unabhängigkeit sowie Repräsentativität der Untersuchung kritisiert. Mit den zusätzlichen Verwässerungen durch Kanzleramt und BMWi würde das Monitoring nun endgültig zur Farce.
Aus der eigentlichen Absicht hatte das BMWi schon zuvor keinen Hehl gemacht. Am Vortag (25.3.) der Präsentation des Zwischenberichts hatte das Handelsblatt berichtet, dass das BMWi „alles daran setzen werde, eine gesetzliche Regelung zu verhindern“. Diesem Zweck dient ganz offensichtlich auch die Intervention von Kanzleramt und BMWi: Die Hürden für ein Bestehen der Unternehmen sollen so weit abgesenkt werden, dass Unternehmen auch dann als Erfüller gewertet werden können, wenn sie ihre menschenrechtliche Sorgfalt nach den UN-Leitprinzipien und dem NAP eigentlich nicht angemessen umsetzen. So hofft das Kanzleramt offenbar, dass die 50-Prozent-Marke leichter erreicht wird, die im NAP als Zwischenziel für 2020 genannt wird. Laut NAP soll nämlich nur dann ein Gesetz erwogen werden, wenn diese Quote verfehlt wird. Im Koalitionsvertrag wird die umstrittene Quote hingegen nicht erwähnt.
Bemerkenswert ist, dass sich Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer (BDA) just in der Woche lautstark zu Wort meldet, in der die Bundesregierung den interministeriellen Streit zu schlichten versucht. Gegenüber der Rheinischen Post wettert er gegen eine gesetzliche Regelung hofft, dass die Bundesregierung „von diesem Unsinn bald wieder absieht“. Statt sich auf eine Sachdebatte einzulassen, polemisiert Kramer lieber gegen ein selbst gezeichnetes Zerrbild eines Gesetzes: Unternehmen „sollen persönlich für etwas haften, dass sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“. Eine gezielte Desinformation: Zwar würde ein Gesetz die Unternehmen verpflichten, ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten wahrzunehmen. Haften würden sie aber nur für solche Schäden, die für sie vorhersehbar und mit angemessenen Maßnahmen vermeidbar gewesen wären.
Einerseits haben der Leak des Gesetzentwurfs und der Streit um das Monitoring aus dem BMZ den offenen Widerstand aus BDA und BMWi auf den Plan gerufen. Auf der anderen Seite wächst aber auch die Unterstützung. So bekräftigte Hubertus Heil ebenfalls gegenüber der Rheinischen Post, dass die Bundesregierung gesetzlich tätig werde, falls die Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten nicht freiwillig umsetzen. „Das ist ein wichtiges Anliegen des Bundesaußenministers, des Entwicklungsministers und der Justizministerin“, erklärte er weiter. Gegenüber der Frankfurter Rundschau war die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, eine Woche zuvor noch deutlicher geworden: „Das Zeitalter der Freiwilligkeit hat ein Ende. Wenn 100 Prozent der deutschen Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht gerecht würden, dann bräuchten wir kein Gesetz. Ansonsten besteht eine Schutzlücke, die wir schließen müssen“.
Immer mehr deutsche Unternehmen sehen dies offenbar ähnlich. So befürworten KiK, Tchibo und Daimler inzwischen öffentlich ein Lieferkettengesetz und widersprechen damit deutlich dem Arbeitsgeberpräsident Kramer.