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Brasilien: Angriff auf den Amazonas

Einen Monat nachdem Großgrundbesitzer und Viehzüchter den 10. August 2019 als „Tag des Feuers“ deklarierten, steht der brasilianische Regenwald weiterhin in Flammen. 25.000 Quadratkilometer Regenwald wurden im Monat August zerstört, ein Gebiet größer als Hessen. Bis zu Beginn der Regenzeit im Oktober dürften tausende an Quadratkilometern hinzukommen. Allein in den ersten Septembertagen entdeckte die brasilianische Raumfahrtbehörde INPE tausende neue Brände.

Heftige Brände im indigenen Schutzgebiet des Volkes Karahô Kanela in Tocantins. © CIMI

Die Ankündigungen des brasilianischen Präsidenten, den Brandstiftern mit harten Strafen zu begegnen, nehmen die Hintermänner der kriminellen Delikte im Amazonas nicht wirklich ernst. Warum auch? War es doch Bolsonaro selbst, der im brasilianischen Fernsehen wiederholt verkündigte, Umweltvergehen im Amazonas nicht bestrafen zu wollen. Seit dem ersten Regierungstag arbeitet der Bolsonaro-Clan systematisch an der Demontage jener staatlichen Organe, die theoretisch den Schutz der Wälder und der darin lebenden traditionellen Völker garantieren sollen.

„Bolsonaro hat durch seine Propagandareden die Mächtigen in unserer Region dazu angestiftet, den Wald anzuzünden“, erklärt Pfarrer Guilherme Souza aus Santarém. „Er wird keinen Finger krümmen um Viehzüchter und illegale Siedler bei ihrem Vormarsch auf unseren Regenwald aufzuhalten“.

Illegaler Holztransport in der Nähe des indigenen Schutzgebietes Rio Manicoré © CIMI-Amazonas

Die Region um die Stadt São Felix de Xingu ist von den Bränden besonders betroffen. Mit Hilfe von Satellitenaufnahmen entdeckte die brasilianische Raumfahrtbehörde INPE dort die höchste Konzentration an Bränden (1200), und die zweithöchste an Abholzungen (220 km²). Holzhändler und Viehzüchter arbeiten am Xingu-Fluss bereits seit vielen Jahren Hand in Hand. Als erstes dringen illegale Holzfäller in den Regenwald ein und entnehmen dem Wald wertvolle Edelhölzer. Monate später, noch vor der Regenzeit, zünden dann die Viehtreiber der Großgrundbesitzer das verbliebene Trockenholz an, um kurz darauf auf die veraschte Fläche Weidesaat zu streuen. Die Dokumentenfälschungen und anderen Papierkram erledigt man später, häufig durch Unterstützung lokaler Politiker und zuständiger Behörden.

Noch vor zwanzig Jahren war São Felix ein verschlafenes Nest. Bis man sein Potential für die externe Weidewirtschaft entdeckte. Heute verzeichnet die Region mit mehr als 2,3 Millionen Rindern den höchsten Viehbesatz in Brasilien. Die große Anzahl an Brandherden lässt für die Zukunft nichts Gutes ahnen. Ohne Einschreiten durch den Staat werden die Viehzüchter am Xingu-Strom in nur wenigen Jahren ihre Rinderweiden verdoppeln.

Rinderweide in der Region São Felix do Xingu © CPT Tucuma

Der unter dem Namen „Grilagem“ bekannte Landraub ist in Brasilien eine seit Jahrzehnten von Großgrundbesitzern und korrupten Politikern erfolgreich angewandte Methode, um sich illegal Land zu beschaffen. Indigene, Kleinbauern und Menschenrechtsverteidiger, die sich diesem entgegenstellen, müssen nicht selten mit ihrem Leben bezahlen. Leittragende sind die im Einklang mit der Natur lebenden traditionellen Völker. Am Xingu-Strom sind es unter anderem die Völker Apyterewa und Kayapó, denen auf diese Weise Stück für Stück ihr Land entrissen wird. Aber sie sind längst nicht die einzig Betroffenen. Seit dem Regierungswechsel registriert der Indigenen Missionsrat CIMI eine starke Zunahme sowohl der Angriffe auf Brasiliens Urbevölkerung, als auch an Bränden in ihren Gebieten. Nach jüngsten Berichten wurden zwischen Januar und August 2019 mehr als 9000 Brände auf 274 indigenen Territorien entdeckt, etwa die Hälfte davon im Amazonas. Das Gebiet der Krahô Kanela in Tocantins wurde zu 95 % von der Feuerfront verwüstet. Große Sorgen machen sich Menschrechts- und Hilfsorganisationen insbesondere um die im Wald lebenden, nicht kontaktieren Völker. Im Amazonasgebiet gibt es heute noch etwa 130 indigene Gruppen, die in Abgeschiedenheit leben. Ihnen bleibt nur noch die Möglichkeit sich weiter in den Wald zurückzuziehen. Doch wohin fliehen, wenn es keinen Wald mehr gibt?

In den Bundesstaaten Mato Grosso und Rondonia sowie im südlichen Teil des Bundesstaats Amazonas verläuft der Vormarsch der Agrarfront ähnlich aggressiv wie in Pará. Hier ist es, neben der Viehzucht, der Sojaanbau, der immer größere Schneisen in den Regenwald zieht. Indigene Völker sowie Kleinbauern sind auch hier der Übermacht der meist bewaffneten illegalen Siedler schutzlos ausgesetzt. Die örtliche Polizei ist in den seltensten Fällen auf der Seite der Schwachen.

Soziologe Pedro A. Ribeiro Oliveira während eines Vortrags über die Krise des Kapitalismus © CIMI

Abholzungen und Brände sind eine erste Kostprobe davon, was den Menschen im Amazonas bevorsteht

In den letzten dreißig Jahren wurden in Brasilien 85% des brasilianischen Trockenwaldes, auch „Cerrado“ genannt, den Interessen von Agrarlobby und Kapitalmärkten geopfert. Nachdem in dieser Vegetationszone nicht mehr viel zu holen ist, bereiten sich Bodenspekulanten und internationale Konzerne auf einen Großangriff auf den Amazonas vor. Die Abholzungen und Brände in 2019 sind eine erste Kostprobe davon, was den Menschen im Amazonas bevorsteht. Geht es nach der Bolsonaro-Regierung, sollen sich amerikanische Bergbaukonzerne und von China finanzierte Megaprojekte lieber heute als morgen wie ein Spinngewebe im Amazonas ausbreiten. Nach Meinung des Soziologen Pedro A. Ribeiro Oliveira steht, ohne massive Einwirkung von außen, der Amazonas unmittelbar vor seinem Ausverkauf. „Der Kapitalismus befindet sich in einer tiefen Krise und transformiert sich mehr und mehr in einen Finanzmarkt-Kapitalismus. Dieser macht aus der biologische Vielfalt, aus Wasser, Wald und Land, eine Ware, die auf internationalen Märkten gekauft und verkauft werden “, stellt der Leiter der Bewegung Movimento Nacional de Fé e Politico (Nationale Bewegung “Glaube und Politik”) fest.

Bei einem solch grausamen Szenarium stellt sich für mich die Frage, was wir in Deutschland und im Rest der Welt tun können, um uns mit den Menschen im Amazonas zu solidieren und uns gemeinsam den drohenden Attacken des Kapitals auf die Lunge der Welt entgegen zu stellen.

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Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia/Brasilien.

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