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#Justice4Brumadinho

Am 25.1.2019 saß ich im Zug auf dem Weg von Hamburg nach Köln. Es war am frühen Abend, als mich die ersten Nachrichten vom Dammbruch in Brumadinho erreichten. Vertreter von Partnerorganisationen in Brasilien, Kollegen, Freundinnen und Freunde, mit denen ich seit 3 Jahren zu den Auswirkungen des Dammbruchs in Mariana arbeitete, schrieben mir, dass ein weiterer Damm in einer Mine von Vale gebrochen sei, und dass die Ausmaße noch schlimmer seien als im Fall Mariana.

Ich konnte es nicht glauben. Nur zwei Monate vorher, im November 2018, war ich noch in Brumadinho gewesen, hatte dort an einem Treffen von Partnerorganisationen teilgenommen, und wir hatten auch über die Situation in Brumadinho gesprochen – zahlreiche Minen lagen im direkten Umfeld der kleinen und schlichten Öko-Lodge, wo wir unser Treffen abhielten. Wir trafen uns mit Leuten aus der Gemeinde Brumadinho, die damals schon schilderten, wie sie seit Jahren gegen die weitere Ausweitung des Bergbaus kämpften, wie die Wasserquellen nach und nach alle versiegten und welche Angst sie vor einem Dammbruch wie in Mariana hatten. Und dann – nur wenige Wochen nach unserem Treffen – passierte es wirklich:  der Damm B1 in der Mine Córrego do Feijão brach und riss 270 Menschen in den Tod. Ich war völlig schockiert.

Mit dem Dammbruch von Brumadinho begann ein intensives Jahr… schon wenige Tage später wurde bekannt, dass die Tochterfirma des deutschen TÜV Süd den Damm im Auftrag von Vale geprüft und seine Sicherheit bescheinigt hatte. Im Laufe des Jahres wurden dann immer mehr gruselige Erkenntnisse von den Staatsanwaltschaften in Brasilien, von zwei parlamentarischen Untersuchungskommissionen und auch durch die Arbeit unserer Partnerorganisationen aufgedeckt: so zum Beispiel, dass sowohl Vale als auch Tüv Süd vorher über den prekären Zustand des Damms bestens Bescheid wussten. Dass es ein Leichtes gewesen wäre, die Kantine unterhalb des Damms stillzulegen, in der zur Zeit des Dammbruchs viele Mitarbeiter von Vale zu Mittag aßen. Dass die beiden Unternehmen viel kriminelle Energie investiert hatten, um den brasilianischen Behörden vorzutäuschen, mit dem Damm sei alles in Ordnung – und das alles nur, damit der Minenbetrieb weiterlaufen und der Rubel für die beiden Unternehmen weiter rollen konnte.

Im Juni war ich erneut in Brumadinho, zusammen mit Kolleginnen vom ECCHR und einem Filmteam von ARTE wir haben mit vielen betroffenen Familien gesprochen, die nahe Angehörige, ihr Haus und Hab und Gut verloren haben, die in ständiger Angst leben, dass sich die Katastrophe wiederholen könnte – es gibt im Bundesstaat Minas Gerais fast 350 Rückhaltebecken in Minen, von denen niemand so genau weiß, in welchem Zustand die Dämme wirklich sind. In Brumadinho herrscht auch heute, ein Jahr nach dem Dammbruch, noch tiefe Trauer, Wut und Verzweiflung. Die Selbstmordrate ist in die Höhe geschnellt. Viele Leute ziehen weg – halten es nicht mehr aus, täglich auf die Unglücksmine zu schauen, den Ort, der ihr Leben für immer veränderte.

Die betroffenen Familien haben angefangen, sich zu organisieren. Werden beraten von unseren Partnerorganisationen. Gemeinsam versuchen wir, uns für ihre Rechte stark zu machen.

Zur Rechenschaft gezogen wurde von den Verantwortlichen noch niemand. Aber es gibt Schritte in die richtige Richtung:  Die Staatsanwaltschaft von Minas Gerais hat diese Woche sowohl gegen Vale als auch gegen Tüv Süd Klage erhoben. 11 Mitarbeiter von Vale und 5 Mitarbeiter von Tüv Süd werden des Mordes beschuldigt, darunter auch der ehemalige CEO von Vale sowie ein leitender Mitarbeiter von Tüv Süd Deutschland, der offenbar maßgeblich in die fatalen Entscheidungen einbezogen war. Gegen ihn ermittelt auch die Staatsanwaltschaft in München – ein Zeichen der Hoffnung für die betroffenen Familien, die sich nichts sehnlicher wünschen, als dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden #Justice4Brumadinho.

Brumadinho darf sich nie mehr wiederholen – nicht in Minas Gerais, nicht in Brasilien, nirgendwo auf der Welt.  Es war ein schlimmes Verbrechen, und es gibt strukturelle Ursachen, die dazu geführt haben, dass es begangen werden konnte: Behörden, die ihre Kompetenzen an private Unternehmen abgeben, anstatt selbst die Kontrolle auszuüben. Firmen, die ihre wirtschaftlichen Interessen über die Menschenrechte stellen. Korruption und Skrupellosigkeit, denen kein Einhalt geboten wird.

Diese Ursachen zu beseitigen, dafür setzen wir uns gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen ein, in Brasilien, in Deutschland, und überall, wo Unternehmen Menschenrechte verletzen und dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden.


Dammbruch in Brasilien:
Welche Schuld trifft Deutschland?

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Susanne Friess war als Beraterin mit dem Schwerpunkt Bergbau und Entwicklung für die Lateinamerika-Abteilung von MISEREOR tätig.

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