Der Klimawandel und die dadurch immer häufiger und heftiger auftretenden Wetterextreme wie Überschwemmungen, Wirbelstürme oder Dürren stellen eine besondere Gefährdung für hoch verschuldete Länder dar. Ein Beispiel ist Mosambik, das sich noch immer nicht von den Folgen der Wirbelstürme Idai und Kenneth erholt hat, die 2019 über das Land hinweggefegt sind. Ohnehin hochverschuldet, hat Mosambik für den Wiederaufbau erneut Schulden aufnehmen müssen. Nun droht eine Hungerkrise.
Anika Schroeder, Expertin für Internationale Klimapolitik bei MISEREOR über blockierte Klimaverhandlungen, die Idee eines Schuldenerlasses und warum sie sich mehr mutige Ideen zum Umgang mit der Klimakrise wünscht. Und Taten!
Frau Schroeder, wie bewerten Sie die bisherigen politischen Anstrengungen, die unternommen wurden, um dem fortschreitenden Klimawandel zu begegnen?
Anika Schroeder: Was wir beobachten ist ein ‚Weiter-wie-bisher‘ mit einem grünen Anstrich und in Teilen sozial höchst ungerecht – global wie auch hier in Deutschland. Trotz aller Lippenbekenntnisse: Die Emissionen steigen weiter an, obwohl sie rasch Richtung Netto-Null sinken müssten. Das Brisante ist: Ein weiteres Vertagen der Kurskorrektur führt zu immer höheren Klimaschutzkosten und Klimawandel-Folgekosten. Die Chancen, dass die Maßnahmen noch ausreichend greifen können, werden immer geringer. Selbst beim Weltwirtschaftsforum in Davos wurde diese Analyse geteilt.
Was bedeutet das für Entwicklungsländer?
Anika Schroeder: Leidtragende dieser Entwicklung sind vor allem die Ärmsten der Armen im Globalen Süden. Zum Beispiel jene, die an Flussufern und Hängen in zusammengezimmerten Hütten leben. Diese geraten bei den immer häufiger auftretenden Starkniederschlägen ins Rutschen. Es besteht die Gefahr, dass sie überschwemmt werden. Die lokalen Verwaltungen sind häufig derart unterfinanziert, dass es keinerlei Katastrophenprävention und -hilfe gibt. Die Betroffenen haben weder ein Bankkonto noch eine Versicherung und stehen dann mit jedem weiteren Unwetter erneut vor dem Nichts. Hinzu kommt, dass sich manche Stadtverwaltung nicht groß um die Menschen in den nicht-legalisierten informellen Siedlungen – landläufig als Slums bezeichnet – schert. In unseren Projekten zeigt sich aber, wie auch arme Haushalte zu sicherem Wohnraum kommen und ihre Rechte bei den Stadtverwaltungen erfolgreich einklagen können.
Woran fehlt es auf politischer Ebene
Anika Schroeder: Die Mittel, die von den Hauptverursachern des Klimawandels für Anpassungsmaßnahmen bereitgestellt werden, sind ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ohne solche Schutzmaßnahmen aber fallen die Schäden entsprechend größer aus, wenn dann tatsächlich eine Katastrophe passiert. Die hohen Kosten für die Behebung der Schäden wiederum führen zu noch weniger freien Mitteln für den Katastrophenschutz. Dieser Teufelskreis wird noch dadurch verstärkt, dass eben viele der besonders von der Klimakrise betroffenen Länder unter Armut leiden.
Was kommt noch dazu?
Anika Schroeder: Mancherorts herrschen auch Misswirtschaft und Korruption. Da muss man die Menschen dann direkt besser erreichen, wie wir das als MISEREOR durch unsere Projektpartner vor Ort können. Besonders kritisch wird es für Länder, die überschuldet oder gar kritisch verschuldet sind. Die doppelte Verwundbarkeit und doppelte Bürde durch Klimakrise und Verschuldung haben MISEREOR und erlassjahr.de im Schuldenreport 2020 verdeutlicht. Weil wir fest davon überzeugt sind, dass in einer Entschuldungsinitiative ein bisher kaum beachteter Hebel liegt, um Armuts- und Klimakrise zu begrenzen.
Welche Länder sind denn kritisch verschuldet?
Anika Schroeder: Tatsächlich stehen viele Länder kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Darunter sind auch für Naturkatastrophen oder schleichende klimatische Veränderungen exponierte Länder wie etwa Sri Lanka, Kenia, Pakistan, Mosambik. Wohlgemerkt, das sind noch dazu Länder, die mit geringen Pro-Kopf-Emissionen kaum zur Klimakrise beigetragen haben, unter deren Folgen sie nun leiden. Mosambik sah sich nach den Wirbelstürmen Idai und Kenneth im vergangenen Jahr gar gezwungen, neue Schulden zu machen, um die Nothilfe in Angriff nehmen zu können.
Und diese Stürme trugen die deutliche Handschrift des Klimawandels?
Anika Schroeder: Wirbelstürme hat es in der Region immer gegeben. Aber das Ausmaß von Idai und Kenneth war mit fast 1.000 Toten enorm: Die sogenannte Zuordnungswissenschaft (Attributionsforschung) hat für die Stürme eine sehr deutliche Beweiskette vorlegen können, welche nahelegt, dass die Stürme nur im Zuge der Erderhitzung eine derartige Zerstörungskraft entfalten konnten.
Wie sieht es in Mosambik heute aus?
Anika Schroeder: Die Menschen versuchen halt, das Land wieder aufzubauen – so gut es eben geht. Hunderttausende wurden obdachlos und sind durch die Überschwemmungen teils weit von ihrer eigentlichen Heimat angelandet. So gibt es auch viele Landbesitzkonflikte zu klären. Da die Felder kurz vor der Ernte überschwemmt worden sind, fehlen Nahrungsmittel und auch Saatgut. Zum Glück konnten Hilfsorganisationen viele Menschen mit lokalem Saatgut versorgen. Aber nicht alle. Viele Menschen sind zudem mangelernährt. Und nun kommt noch eine schlimme Dürre dazu. Das Land steht, wie zu befürchten war, vor einer Hungerkrise. Und sie bedroht nicht nur Mosambik. Die UN warnen eindringlich vor einer Hungerkrise, von der im südlichen Afrika 45 Mio. Menschen betroffen sein könnten.
Welche Schussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Anika Schroeder: Hier zeigt sich einfach deutlich, wie klein die Handlungsspielräume von Menschen und Regierungen für eine nachhaltige Armutsbekämpfung und die Anpassung an die klimatischen Veränderungen werden, wenn wir, eben auch hierzulande, nicht endlich in eine klimafreundliche Lebens- und Wirtschaftsweise reinkommen. Und wenn wir die betroffenen Länder nicht angemessen unterstützen. Für die Anpassung an die Veränderungen, aber eben auch beim Umgang mit nicht mehr vermeidbaren Schäden und Verlusten.
Was passiert denn in dieser Beziehung in der Internationalen Klimapolitik?
Anika Schroeder: Tatsächlich wurde schon 1991 in der internationalen Klimapolitik festgelegt, dass Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt werden müssen. Es gibt inzwischen etliche, allerdings sehr unterfinanzierte Fonds für diese Aufgabe. Für den Ausgleich und Umgang mit Schäden und Verlusten nach Katastrophen aber gibt es leider noch keine Lösung. Derzeit ist die Debatte über Schäden und Verluste der Haupt-Zündstoff in den Klima-Verhandlungen.
Warum kommt man da nicht weiter?
Anika Schroeder: Einige Hauptverursacher der Treibhausgase, allen voran die USA, betonen offen, dass sie sich nie verpflichten werden, Entschädigungen und Ausgleich zu zahlen. Andere Länder verstecken sich nur allzu gern mit dem Argument, dass man eh nie wissen könne, welchen Anteil die Klimakrise an aktuellen Schadensereignissen hätte und dass es ja bereits viel Unterstützung im Katastrophenfall gäbe. Diese Unterstützung ist aber nicht verlässlich und dem Bedarf absolut nicht angemessen. Es ist wohl realitätsfern anzunehmen, dass eines Tages alle Schäden infolge des Klimawandels kompensiert werden. Aber es ist nur gerecht und sinnvoll, Finanzmittel bereitzustellen und andere Unterstützung zu finanzieren. Zum Beispiel Ländern dabei hilft, alternative Einkommensquellen für Kleinbauern zu entwickeln, wenn das Land endgültig verdorrt. Oder – im Falle kleiner Inselstaaten – neues Staatsgebiet zu finden, wenn es keine Möglichkeit des Bleibens mehr geben sollte.
Welche Möglichkeiten oder Aktionen ergeben sich fernab der internationalen Klimapolitik?
Anika Schroeder: Zu Recht formiert sich eine Klimaschutzbewegung von unten, da sie die Klimapolitik der Staaten und das Handeln der Unternehmen zunehmend als Scheinpolitik enttarnt. Um Industrieländer und klimaschädliche Konzerne auch finanziell in die Verantwortung zu nehmen, entwickeln sich spannende Initiativen.
Können Sie Beispiele nennen?
Anika Schroeder: Zum Beispiel verklagt ein peruanischer Kleinbauer RWE, weil das Unternehmen durch seinen Anteil an den globalen Klimagasen dazu beigetragen habe, dass er seine Felder nicht mehr bewässern könne. Auf den Philippinen läuft eine Menschenrechtsklage gegen die klimaschädlichsten Unternehmen der Welt. Sie wurde von Familien angestoßen, die durch die Folgen von Wirbelsturm Hayan geschädigt wurden und Familienmitglieder starben. Und natürlich gibt es bilateral – also in der Zusammenarbeit von Ländern – viele Pilotvorhaben.
Wie unterstützt MISEREOR Partner
in betroffenen Ländern?
Anika Schroeder: MISEREOR stärkt vor allem die Ärmsten der Armen darin, Strategien zur Anpassung und im Katastrophenfall geeignete Maßnahmen zu entwickeln und von ihren Regierungen Schutz einzufordern. Auch erarbeiten wir mit Partnerorganisationen Strategien, wie wir gemeinsam ihre gute Praxis in die Breite tragen und politische Entscheidungsträger und Geberorganisationen für diese Ansätze gewinnen können. Beispielsweise agrarökologische Anbaumethoden zu verbreiten. Und wir setzen uns dafür ein, dass die betroffenen Länder Unterstützung erhalten. Mit dem Schuldenreport 2020 machen wir zum Beispiel konkrete Vorschläge, wie Regierungen und Menschen angemessen in der Klimakrise begleitet werden können. Wir schlagen eine Entschuldung für besonders vom Klimawandel betroffene Länder vor. Die freien Mittel müssen dann freilich zielführend, transparent und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft eingesetzt werden.
Download Schuldenreport 2020: https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/schuldenreport-2020.pdf