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Die Preise im Supermarkt lügen – die wahren Kosten von Lebensmitteln

Stellen Sie sich vor, Sie gehen in den Supermarkt und alle Lebensmittel, die ökologisch und sozial besonders nachhaltig erzeugt worden sind, sind günstiger als die herkömmlichen bei denen nicht darauf geachtet wurde.

Kaffeebohnen in Händen
Bio-fairer Arabica-Kaffee. Nach harter Arbeit in Piura, Peru, geerntet. © Kopp | Misereor

Es sind Produkte bei deren Erzeugung sorgsam mit Menschen und Natur umgegangen wurde und die Bauern wichtige Leistungen für uns alle erbracht haben, indem sie z.B. die Artenvielfalt erhalten, für sauberes Trinkwasser sorgen oder Arbeiterinnen und Arbeitern ein auskömmliches Gehalt zahlen.

Auf diese Weise werden Erzeugnisse aus einer Lebensmittelproduktion, die Luft, Boden und Wasser schonen, so bewertet, dass sie die wirklichen Kosten und Leistungen ihrer Produktion widerspiegeln. Das wäre doch fantastisch, oder?

Das ist derzeit jedoch nicht so. Ein Bio-Unternehmer brachte das kürzlich gut auf den Punkt: „Der Gute ist der Depp.“ Denn die Bio- und fairen Produkte sind aktuell diejenigen, die auf der Kostenseite am meisten zu Buche schlage, weil sie nach aktueller Rechnungslegung am meisten kosten. Und da über 70% der Konsumenten nach dem Preis entscheiden, fristen sie daher auch im Markt ein Nischendasein, obwohl sie die größten Leistungen für die Allgemeinheit bringen.

Wachstum auf Kosten unserer Grundlagen

Wir haben in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren 75% unserer Insekten-Biomasse verloren – ein Hauptgrund dafür ist der flächendeckende Pestizideinsatz. Ökologische und sozialen Schäden tauchen aber in keiner Unternehmensbilanz auf. Durch unsere derzeitigen Berechnungen zeigen wir zwar volkswirtschaftlich Wachstum an, aber dabei zerstören wir unsere Grundlagen.

Durch diese unzureichende Bilanzierung sind Menschen weltweit betroffen. Und zwar wenn für unsere billige Schokolade Kinder auf den Plantagen in der Elfenbeinküste arbeiten und für unsere Schweine Soja in agrarindustriellen Monokulturen in Amazonien angebaut wird.

Soja auf Flößen in Brasilien
Bei Santarém, Brasilien, wird Soja auf Flößen im Rio Tapajós gelagert. Die ökologischen Schäden des Sojaanbaus in der Amazonasregion sind verheerend. © Kopp | Misereor

Es gilt also ökologische und soziale Schäden, sogenannte Externalitäten, zu vermeiden und das heißt anders und in vielen Fällen auch weniger zu konsumieren. Was muss passieren?

Verursachergerechte Bepreisung

Im Rahmen des Klimapaketes hat die Bundesregierung die Anhebung des Preises für den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) beschlossen, allerdings auf dem aktuell noch zu niedrigen Niveau von 25 Euro pro Tonne – zu niedrig, weil dadurch keine Steuerungswirkung erzielt wird. Das Umweltbundesamt hingegen empfiehlt 180 Euro pro Tonne CO2 für die tatsächlichen Klimakosten anzusetzen.

Ähnliches müsste z.B. für Pestizide gelten. Hier ist eine Abgabe je nach Giftigkeit für das Umweltrisiko einzuführen, welche als Abgabe bei den Importeuren bzw. als Verbrauchsteuer bei den Händlern erhoben wird.

Reisfeld auf den Philippinen
Auf einem Reisfeld auf den Philippinen wird ein Pestizid versprüht. Gesundheitliche Kosten für Bäuerinnen oder Arbeiter werden aus Unternehmensbilanzen ausgelagert. © Pohl | Misereor

True Cost Accounting verpflichtend

Der nächste Schritt ist die verpflichtende Bilanzierung von Umwelt-, Sozial-, und Gesundheitsauswirkungen für große Unternehmen der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette, die eine Größenordnung von 100 Mio. Euro Umsatz erreichen. Klar ist, dass die Berechnungen für die tatsächlichen Kosten und Leistungen derzeit vielfach nur Abschätzungen sind. Genauere wissenschaftliche Berechnungen, darunter die der Universität Augsburg, existieren bereits, müssen aber künftig weiterentwickelt werden.

Schon jetzt sollten Instrumente des Fairen Handels zur Richtschnur werden für notwendige gesetzliche Regulierung internationaler Wertschöpfungsketten: Dazu gehören das Verbot von unfairen Handelspraktiken, Mindestpreise, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, Haftungsregelungen und Beschwerdemechanismen und nicht zuletzt die Verpflichtung auf langfristige Lieferbeziehungen in besonders risikobehafteten Lieferketten.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass freiwillige Maßnahmen auf Seiten der Wirtschaft nicht ausreichen, um ökologisch und sozial nachhaltig Lebensmittel zu produzieren. True Cost Accounting, die Bilanzierung der wirklichen Kosten, muss daher künftig nicht nur in der Lebensmittelwirtschaft, sondern letztlich in allen Wirtschaftsbereichen verbindlich angewandt werden. Nur so kann eine grundlegende Transformation unseres Wirtschaftssystems zu mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit erzielt werden.


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Im Dossier „Die wirklichen Kosten unserer Lebensmittel“ stellen wir Unternehmen vor, die schon heute zeigen, wie es gelingen kann, die wirklichen Kosten einzupreisen.


Die Produktion von Lebensmitteln geht häufig mit versteckten Kosten einher, die soziale und ökologische Schäden anrichten. Wie wir dies ändern können: https://www.misereor.de/informieren/fairer-handel/wahre-kosten

Geschrieben von:

Ansprechpartner Portrait

Markus Wolter ist Experte für Landwirtschaft und Welternährung bei Misereor.

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