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Wie sich die Corona-Krise auf Konflikte im Globalen Süden auswirkt

Die Corona-Krise setzt Gesellschaften weltweit unter enormen Stress. Für die Länder des Globalen Südens könnte die Pandemie jedoch dramatischere Folgen haben als bei uns. Es steht zu befürchten, dass Konflikte sich weiter verschärfen und in gewalttätiger Eskalation enden könnten.

Die Krise wird in einigen Ländern, wie auch in Kambodscha, politisch genutzt, um Einschränkungen wie zeitlich unbegrenzte Ausnahmezustände und Notmaßnahmen auszurufen
Die Krise wird in einigen Ländern politisch genutzt, wie auch in Kambodscha, um Einschränkungen wie zeitlich unbegrenzte Ausnahmezustände und Notmaßnahmen auszurufen. © Daniel Kirsch / Pixabay

Wenn in fragilen und von Gewalt betroffenen Staaten die Infektionszahlen massiv steigen sollten, dann muss dort mit starken gesellschaftlichen Disruptionen gerechnet werden. Die Gesundheitssysteme in einigen Ländern des globalen Südens sind nach Jahren des Krieges, der Unterfinanzierung bzw. der Misswirtschaft oft in desolatem Zustand. Die Bevölkerung ist nicht nur deswegen entsprechend verwundbarer als in den reichen Industrieländern: Wenn Felder nicht bestellt oder Produkte nicht auf Märkten verkauft werden können, dann nehmen Ausgangsbeschränkungen in Ländern ohne ausreichende soziale Sicherungssysteme schnell existenzbedrohliche Ausmaße an. In Indien etwa wurden Arbeiterinnen und Arbeiter im informellen Sektor auf Grund der verhängten Ausgangsperre über Nacht jeglicher Gelegenheitsarbeit beraubt. Junge Menschen sind von den wirtschaftlichen Folgen der Krise besonders stark betroffen, da der Zugang zum Arbeitsmarkt auf längere Zeit erschwert werden könnte.

In fragilen Staaten steigt Unruhepotential

Langanhaltende Beschränkungen könnten die Verzweiflung in soziale Unruhen umschlagen lassen und gesellschaftliche Spaltung befördern. Die Unzufriedenheit über die Maßnahmen und das Unvermögen der Regierung, darauf angemessen zu reagieren, droht, sich in Gewalt zu entladen. Aus verschiedenen Ländern wurden Gefängnisausbrüche und Plünderungen von Hilfslieferungen gemeldet (z. B. in Brasilien und Kolumbien). Selbst in Staaten, die kurzfristig eine – wenngleich fragile – Ordnung bewahren, könnte der zu erwartende ökonomische Schaden durch die erlahmende Weltwirtschaft die Saat für zukünftige Unruhen sein. So leidet u. a. Nigeria unter dem nach wie vor niedrigen (und nur langsam wieder steigenden) Ölpreis sowie dem zusammengebrochenen Handel mit China. Die Regierung Nigerias hat bereits Kürzungen im Staatshaushalt für das kommende Jahr angekündigt.

Gefangenenrevolte in Peru: Häftlinge hatten wegen der Corona-Pandemie Verbesserungen der Hygiene und medizinischen Versorgung gefordert
Gefangenenrevolte in Peru: Häftlinge hatten wegen der Corona-Pandemie Verbesserungen der Hygiene und medizinischen Versorgung gefordert. © Screenshot

Flucht und Grenzschließungen

Von der Krise besonders betroffen sind Flüchtlinge und Frauen in allen Erdteilen. Länder mit Ausgangsbeschränkungen verzeichnen bereits einen Anstieg an häuslicher Gewalt. In Flüchtlingslagern, wie z. B. im nordsyrischen Idlib oder den Rohingya-Camps in Bangladesch, leben Betroffene (vor allem Frauen und Kinder) häufig unter schwierigen hygienischen und räumlichen Bedingungen. Die Folgen eines flächendeckenden COVID-Ausbruchs dort wären schwerwiegend. Erste Corona-Fälle sind bereits aufgetreten, diese scheinen jedoch derzeit aufgrund von Quarantäne-Maßnahmen unter Kontrolle. Bei einem Massenausbruch wären Viele erneut zur Flucht gezwungen und in der Folge mit einem weiteren Stigma belegt, wodurch das Gewaltpotential stiege. In Bangladesch haben die Behörden früh Maßnahmen ergriffen und lassen den Zugang zum Camp nach wie vor von der Armee kontrollieren.

Von der Krise besonders betroffen sind Flüchtlinge und Frauen: In Flüchtlingslagern wie z. B. im nordsyrischen Idlib oder den Rohingya-Camps in Bangladesch müssen sie häufig unter schwierigen hygienischen und räumlichen Bedingungen leben.

Thomas Kuller

Darüber hinaus sind die Grenzschließungen im Zuge der Krise ein großes Problem für die in Not geratenen Menschen, da deren Möglichkeiten zur Flucht in sichere Nachbarländer stark eingeschränkt sind. So sind z. B. die Grenzen von Brasilien und Kolumbien mit Venezuela nach wie vor dicht, obwohl beide Länder sich bislang als relativ offen für die Aufnahme von Flüchtlingen gezeigt hatten.

Krisenreaktion Rassismus

Die Corona-Krise verstärkt in einigen Regionen zudem fremden- und minderheitenfeindliche Tendenzen. Zu Beginn der Pandemie gab es in erster Linie rassistische Tendenzen gegenüber chinesischen Gemeinschaften – und zwar weltweit. Mittlerweile hat sich das Phänomen in die Regionen verlagert, sodass z. B. die Wahrnehmung der Krise in Indien eindeutig hindu-nationalistische Züge angenommen hat. Immer wieder werden dort über Social Media und Presse Muslime stigmatisiert. Ihnen wird (implizit und pauschal) unterstellt, weniger auf Social Distancing und Hygienemaßnahmen zu achten und so massiv zur Verbreitung beizutragen. Auch in Sri Lanka nehmen die Sicherheitskräfte bei der Durchsetzung der Maßnahmen vor allem muslimische Gemeinden in den Blick und wenden dort zum Teil übertriebene Härte an.

Für die Länder des globalen Südens könnte die Coronavirus-Pandemie gravierendere Folgen haben
Für die Länder des Globalen Südens könnte die Coronavirus-Pandemie gravierendere Folgen haben. © Raam Gottimukkala / Pixabay

Friedensbemühungen erlahmen

Die internationalen Reisebeschränkungen stellen auch diplomatische Friedensbemühungen vor große Herausforderungen. Mediationsprozesse und Friedensverhandlungen, wie zum Beispiel in Afghanistan, Ostafrika oder im Sahel können derzeit gar nicht oder nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden. Die Vereinten Nationen haben die Rotation des zivilen und militärischen Personals in vielen Friedensmissionen vorerst ausgesetzt (z. B. MINUSMA in Mali), um keine Menschen aus von Corona betroffenen Ländern in bisher nicht betroffene Gebiete zu schicken. Die „Moral der Truppe“ vor Ort und ihre Fähigkeit, das aufgetragene Mandat zu erfüllen, kann dadurch negativ beeinflusst werden.

MISEREOR arbeitet mit Partnerorganisationen weltweit daran, dass die negativen Folgen der Corona-Krise sich in engen Grenzen halten. © UTTARAN

Dauerhafte Einschränkung von Freiheiten zu befürchten

In Konfliktgebieten stellt sich zudem die Frage, wie internationale Hilfe zu den Betroffenen gelangen kann, wenn War Lords und Milizen weite Teile des Territoriums eines Landes beherrschen. Extremistische Gruppierungen haben in der Vergangenheit häufiger Profit aus sozialem Chaos geschlagen. Auch in starken Staaten mit repressiven Regimen oder vermeintlich demokratischen Regierungen wird die Krise politisch genutzt, um Einschränkungen des Demonstrationsrechts dauerhaft auszuweiten (wie in Ägypten), unliebsame Gesetzgebung ohne öffentliche Kontrolle durchzupeitschen (wie in Süd- und Mittelamerika), zeitlich unbegrenzte Ausnahmezustände und Notmaßnahmen auszurufen (wie in Ungarn oder Kambodscha) und unbefristet auszuweiten oder geplante Parlamentswahlen zu verschieben (wie in Sri Lanka). Obwohl diese Maßnahmen zur Infektionseindämmung Sinn ergeben, bergen sie doch das Risiko einer Stärkung autoritärer Strukturen und Vertiefung bestehender Machtungleichgewichte – insbesondere wenn die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft derzeit anderweitig gebunden ist.

Obgleich die Maßnahmen zur Infektionseindämmung Sinn ergeben, bergen sie doch das Risiko einer Stärkung autoritärer Strukturen und Vertiefung bestehender Machtungleichgewichte.

Thomas Kuller

Zeichen der Hoffnung

Bei allem Anlass zur Sorge gibt es auch Zeichen der Hoffnung und Kooperation. UN-Generalsekretär Guterres rief die Weltgemeinschaft auf, in bewaffneten Konflikten die Waffen ruhen zu lassen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. In Kolumbien, auf den Philippinen oder in Thailand kam es tatsächlich zu unilateralen Waffenstillständen seitens bewaffneter Gruppen oder der jeweiligen Regierung. Vermeintlich verfeindete Staaten boten in der Krise einander Unterstützung an. Naturkatastrophen haben in der Vergangenheit zudem immer wieder Konfliktparteien zur Zusammenarbeit veranlasst, wenn es für die Bewältigung einer Krise nötig war. Auch auf internationaler Ebene bleibt zu hoffen, dass sich die Staatengemeinschaft trotz des wankenden Multilateralismus’, wie auch nach der Weltwirtschaftskrise 2008, zu einem international abgestimmten Vorgehen durchringen kann, um die wirtschaftlichen und damit sozialen Folgen abzufedern.

Es gibt auch Zeichen der Hoffnung: In Kolumbien, auf den Philippinen und in Thailand kam es zu unilateralen Waffenstillständen seitens bewaffneter Gruppen.

Thomas Kuller

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Einbindung der lokalen Zivilgesellschaft, da diese meist bessere Zugänge zur Bevölkerung hat und hohes Vertrauen genießt. MISEREOR arbeitet mit Partnerorganisationen weltweit daran, dass die negativen Folgen der Corona-Krise sich in engen Grenzen halten. Viele Projektpartner (z. B. in Bangladesch und Sri Lanka) weiten ihre Aktivitäten auf die Eindämmung der Corona-Krise und der beschriebenen negativen Folgen auf den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft aus.


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Thomas Kuller war Experte für Friedensförderung und Konflikttransformation bei Misereor.

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