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Ökologische Landwirtschaft – Gefahr fürs Klima?

Alle Jahre wieder – wird eine Studie durch das öko-kritische Dorf gejagt, in der berechnet wird, dass mit der Umstellung von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft alles nur noch viel schlimmer würde. Dass weder wir in den reichen Ländern noch die Armen im globalen Süden sich dann ausreichend werden ernähren können. Und dass damit sogar steigende Treibhausgasemissionen verbunden wären. Hauptargument, das stets angeführt wird: die im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft niedrigeren Erträge.

Mohn- und Kornblumen in Getreidefeld
Die ökologische Bewirtschaftung weist nach einer Studie zahlreiche Vorteile gegenüber der konventionellen Variante auf. © Arthur Pawlak / Pixabay

Eine solche Studie wurde auch im Oktober 2019 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. In ihr wurde berechnet, wie sich die Klimabilanz von England und Wales ändert, würde man diese komplett auf ökologische Landwirtschaft umstellen. Sie stellt fest, dass die landwirtschaftliche Produktion um bis zu 40 % sinken und durch diese niedrigeren Erträge viel mehr Ware aus Übersee benötigt würde. Dies wäre wiederum mit einem deutlich höheren CO2-Rucksack verbunden – insgesamt würden die Treibhausgasemissionen steigen. Der Tenor ist nicht zu überhören: „Finger weg vom Ökolandbau, der unterm Strich einfach klimaschädlich ist.“ Wie sind diese Aussagen einzuschätzen? Und was bedeuten sie für uns als MISEREOR, die wir uns seit Jahrzehnten für ökologische Landwirtschaft stark machen und diese auch in den Projekten fördern?

Konsum und Ernährung

Wenn wir von einer Fortsetzung des gegenwärtigen Konsum- und Ernährungsverhaltens ausgehen ist klar, dass Bio – bei dem derzeit hohen Verzehr von Fleisch- und Wurst-, aber auch Milchprodukten und Eiern – nicht Deutschland oder Großbritannien und schon gar nicht die Welt insgesamt ernähren könnte. Heute wandern 40 % des weltweit geernteten Getreides in die Tierhaltung – in den Industrienationen sind es sogar 60 %. Deshalb ist eine deutliche Reduktion unseres Fleischverbrauchs zwingende Voraussetzung für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Dies wird in der Studie nicht berücksichtigt. Stattdessen wird der Status Quo einfach fortgeschrieben. Die ökologische Landbaubewegung behauptet jedoch auch gar nicht, dass sie alle mit Fleisch versorgen könnte –das ist überhaupt nicht ihr Ziel.

Lebensmittelverschwendung

Über ein Drittel aller Lebensmittel weltweit schafft es nicht bis auf den Teller, sondern wird bereits vorher weggeschmissen oder vergammelt bei Ernte- bzw. Nachernteverlusten. Gründe dafür sind die teils schlechte Infrastruktur und fehlende Lagermöglichkeiten, vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika. Diese Lebensmittelverluste sind vermeidbar; in Deutschland etwa die Hälfte und in Ländern des Südens sogar noch deutlich mehr. Die Forscher der zitierten Nature-Studie suggerieren in ihrem Rechenmodell auf dieser Ebene ein „Weiter so“ – und begründen damit eine Fortsetzung eines ressourcenbelastenden industriellen Landnutzungs- und Ernährungssystems. Das ist gewiss nicht zielführend.

Lebensmittelverschwendung
Über ein Drittel aller Lebensmittel weltweit schafft es nicht bis auf den Teller, sondern wird vorher weggeschmissen oder vergammelt. © Couleur / Pixabay

Fehlende Forschung

Es trifft zu, dass die Erträge in den Industrienationen – zumindest bei den großen Kulturen Mais, Raps, Weizen – im ökologischen Landbau deutlich niedriger liegen. 40 % ist da ein realistischer Wert. Im weltweiten Vergleich ist diese Zahl im Mittel jedoch deutlich geringer, wie Forscher der renommierten US-Universität Berkeley 2014 zeigen konnten: Sie fanden einen durchschnittlich geringeren Ertrag von lediglich 19,2 %. Dieser Unterschied halbierte sich noch einmal, wenn nicht nur die Erträge einzelner Kulturen verglichen wurden (z.B. Mais mit Mais und Weizen mit Weizen), sondern ganze Anbausysteme – also die Abfolge verschiedener Fruchtarten auf derselben Fläche. Außerdem wird seit Jahrzehnten intensiv in die Forschung der intensiven, konventionellen Landwirtschaft investiert. Dahingegen kaum in die ökologische Landbauforschung. Höhere Investitionen in die Öko-Forschung würden sicherlich zu höheren und stabileren Erträgen führen – die Erträge der konventionellen Landwirtschaft in Mitteleuropa werden sie allerdings kaum erreichen. Im Falle von Afrika, Lateinamerika und Asien gibt es genügend Beispiele dafür, dass die Erträge gleich hoch oder sogar noch darüber liegen können.

Positivbeispiel: Ökologischer Landbau auf den Philippinen

Während meiner Dienstreise auf den Philippinen im Januar 2020 habe ich viele Kleinbauern kennengelernt, die im konventionellen Reisanbau fünf Tonnen pro Ernte droschen. Nachdem sie umgestellt hatten, ging der Ertrag zunächst für zwei bis drei Jahre etwas zurück, etablierte sich dann jedoch wieder auf gleichem Niveau wie vorher – nur ohne den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden oder Kunstdünger. Eine bessere Lösung für Mitwelt, Gesundheit und Geldbeutel – ein triple win!

monotone Agrarproduktion
In puncto Gewässerschutz, Bodenfruchtbarkeit, Stickstoffeffizienz und Biodiversität schneidet der konventionelle Landbau deutlich schlechter ab. © Lucamasser / Pixabay

Zehnkämpfer ökologischer Landbau

Wie im Zehnkampf ist der ökologische Landbau stark in vielen Disziplinen, aber nicht in jeder Disziplin unbedingt der Beste. In der Summe ist er derzeit jedoch das nachhaltigste Landbausystem, das wir kennen und daher unterstützt MISEREOR auch die Praktiken, die sich daran anlehnen. Eine Bestätigung dieser Zehnkämpfer-Eigenschaften wurde vom bundeseigenen Thünen-Institut gut herausgearbeitet.

Öko schlägt Konventionell

Darin lautet das Fazit: „Die Auswertung der wissenschaftlichen Literatur ergab über alle Indikatoren hinweg, dass die ökologische Bewirtschaftung gegenüber der konventionellen Variante im Bereich des Umwelt- und Ressourcenschutzes bei 58 % der analysierten Vergleichspaare Vorteile aufwies.“ Heißt also: Bei fast zwei Dritteln aller Indikatoren ist die ökologische Variante besser als der konventionelle Landbau. Bezogen auf wichtige Parameter wie Gewässerschutz, Bodenfruchtbarkeit, Stickstoffeffizienz und Biodiversität ist der ökologische Landbau sogar deutlich besser. Um nochmal auf die genannte Studie aus Nature zu England und Wales zurückzukommen. In ihrer Pauschalität kann ich die Aussage der Studie nicht stehenlassen – wir kommen nicht umhin, unseren Konsum zu verändern – hin zu einem bewussten Fleischkonsum, mit weniger Lebensmittel-Verlusten – dann kann auch eine Umstellung auf 100% ökologische Landwirtschaft gelingen.

Weitere Informationen zum Positivbeispiel ökologischen Landbaus auf den Philippinen auch im Beitrag von Markus Wolter auf Organic without Boundaries.

Geschrieben von:

Ansprechpartner Portrait

Markus Wolter ist Experte für Landwirtschaft und Welternährung bei Misereor.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Herr Wolter, warum sind sie selbst kein Biolandwirt mehr?

  2. Avatar-Foto

    Super interessant; der Artikel gibt wichtige Argumente für kontroverse Diskussionen. Danke!

  3. Avatar-Foto

    Danke für den sehr guten Beitrag und die differenzierte Darstellung der verschiedenen Aspekte!

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