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Malawi: „Frauen sollen politisch mehr mitgestalten“

Historische Wahl in Malawi: Nachdem der Oberste Gerichtshof die Präsidentschaftswahl vom Mai 2019 wegen Unregelmäßigkeiten annulliert hatte, fand diese am 23. Juni nun erneut statt. Ein einmaliger Vorgang in der 26-jährigen Geschichte der Demokratie des Landes. Trotz Corona gingen viele Malawier an die Urnen, wählten den noch zuvor geschlagenen Oppositionskandidaten Lazarus Chakwera mit über 58 Prozent zum Wahlsieger. Vergangenes Wochenende wurde er nun als Präsident vereidigt.

Nancy Tembo, Parlamentsabgeordnete in Malawi

Dass die Justiz unabhängig entschieden hat, wird als großer Erfolg für die Demokratie des Landes gewertet und auch für Nancy Tembo ist ein Meilenstein erreicht. Die Parlamentsabgeordnete ist schon seit 2004 politisch aktiv, kämpfte an der Seite von Lazarus Chakwera. Ihr Engagement gilt vor allem dem Thema Geschlechtergerechtigkeit.

Ob sich diese positive Entwicklung im Land auch auf die Gleichberichtigung auswirkt? In unserer Reihe „Starke Frauen“ haben wir mit ihr vor den Präsidentschaftswahlen am 23. Juni darüber gesprochen.


Was sind die größten Herausforderungen für Frauen in Malawi?

Nancy Tembo: Wir leben in einer Kultur, in der wir Frauen immer noch als weniger fähig im Vergleich zu Männern angesehen werden. Daher stammen auch die meisten Herausforderungen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden und umgehen müssen. So sind immer noch mehr Frauen als Männer Analphabeten – wenn die Ressourcen knapp werden, entscheiden sich die Familien weiterhin häufig dazu, lieber die Jungen anstelle der Mädchen zur Schule zu schicken.

Warum ist es wichtig, dass sich Frauen in der Politik engagieren?

Tembo: Was das politische Engagement angeht, besitzen viele Frauen nicht die ökonomischen Mittel und Macht, um große Kampagnen zu starten und wagen deshalb häufig gar nicht erst den Versuch. Gleichzeitig werden sie, wenn sie sich in der Politik engagieren, oft als unmoralisch angesehen und bezeichnet während politischer Kampagnen. Es kommt Druck von Seiten ihrer Familien hinzu, die sie dazu auffordern, solche Aktivitäten einzustellen.

Im Endeffekt fehlt vielen Frauen aufgrund des kulturellen Hintergrunds und der Konditionierung häufig das Selbstbewusstsein, um überhaupt politisch aktiv zu werden. Dabei ist es so wichtig, dass sie dies tun! Dies ist der einzige Weg, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen und einen Wandel aktiv mitzugestalten. Sie müssen bei Verhandlungen vor Ort sein, um die Anliegen der Frauen auf die Agenda zu bringen.


Inwiefern bieten die Präsidentschaftswahlen in Malawi die Möglichkeit zum Wandel, besonders im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit?

Tembo: Natürlich ist es schwierig, dies im Vorfeld zu sagen. Während der Kampagnen versprechen die Eliten gerne, sich um Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und die Stärkung von Frauen zu kümmern, aber am Ende redet keiner mehr darüber. Dennoch habe ich den Eindruck, dass Malawi gerade jetzt, wo die Wahlen zum ersten Mal annulliert wurden, einen Wendepunkt erreicht hat und sich die politische Elite nicht mehr so einfach aus der Affäre ziehen können wird. Die Menschen werden die Kandidaten für ihre Versprechen verantwortlich machen, weshalb sie handeln müssen.

Wie kann jeder einzelne von uns dazu beitragen, Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen?

Tembo: Die Denkmuster müssen sich ändern und die Gesellschaft muss sich erheben. Es ist unbedingt notwendig, dass sich der Gedanke durchsetzt, dass Frauen genauso fähig sind wie Männer, wenn nicht sogar fähiger – vorausgesetzt, man gibt ihnen die Möglichkeit dazu, ihr Potenzial zu entfalten. Sie müssen mit positiven Gesetzen bestärkt und aus der Abhängigkeit herausgeholt werden.


Zur Situation von Frauen in Malawi

Malawische Frauen erleben nach wie vor strukturelle Benachteiligung – so sind beispielsweise über 60 Prozent der Analphabeten im Land weiblich. Gleichzeitig gibt es einige positive Entwicklungen: Schul-AGs zu dem Thema, Aufklärungsarbeit mit Jugendlichen, Proteste für Geschlechtergerechtigkeit, zum Beispiel anlässlich des Weltfrauentags, und ganz konkret einen Frauenanteil von über 22 Prozent im Parlament – der höchste Wert, den es in Malawi je gab und der nur neun Prozent niedriger ist als in Deutschland.

So hilft MISEREOR in Malawi

MISEREOR fördert in Malawi derzeit 15 Projekte mit Spenden und Bundesmitteln, unter anderem wird konkret in fünf der acht Diözesen des Landes die Arbeit für Geschlechtergerechtigkeit der diözesanen Kommissionen für „Gerechtigkeit und Frieden“(Commission for Justice and Peace, CCJP) gefördert. Hinzu kommt die nationale CCJP, der Bischofskonferenz, die sich in ganz Malawi für Gleichberechtigung sowie faire und gerechte Wahlen stark macht. Während des Wahlkampfs leistet die Kommission Sensibilisierungs- und Aufklärungsarbeit und kooperiert dazu auch mit Politikerinnen und Politikern. Der nationale CCJP-Leiter, Boniface Chibwana, ist der Vorsitzendes des zivilgesellschaftlichen Wahlbeobachtungskonsortiums (Chairperson of the Election Observation Consortium). Die Rolle der zivilgesellschaftlichen WahlbeobachterInnen war am 23.06.2020 von herausragender Bedeutung, da erstmals – aufgrund der Corona-bedingten-internationalen Reisebeschränkungen – keine internationalen Beobachter von EU/AU und UNO die Wahl begleiten konnten.Über die CCJP ist der Kontakt zu Nancy Tembo zustande gekommen.


Interviewangebot

Bei Interesse an einem Interview zur jüngsten Präsidentschaftswahl oder zur Rolle von Frauen in Malawi stehe Nancy Tembo, genauso wie Boniface Chibwana gerne zur Verfügung. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, mit unserem MISEREOR-Länderreferenten für Malawi, Thorsten Nilges, zu sprechen.

Geschrieben von:

Ansprechtpartnerin

Jana Echterhoff ist Länderreferentin für Lateinamerika bei Misereor.

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