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Mehr Biodiversität wagen – so machen es die Schwaben

Was für ein Paukenschlag: Ende Juli 2020 hat Baden-Württemberg ein Gesetzespaket zur Stärkung der Biodiversität verabschiedet. Doch was hat das mit der Arbeit von MISEREOR und der Partnerorganisationen in Asien, Afrika oder Lateinamerika zu tun? Das möchte ich im Folgenden beschreiben.

Ackerwildblume Klatschmohn
„Das Gesetz ist ein mutiges Signal mit hoch gesteckten Zielen: Wenn alle daran mitarbeiten, wird es Erfolge geben und Nachahmer weltweit finden können.“ © Peter Dargatz / Pixabay

Das Gesetzespaket beinhaltet entscheidende Punkte als Antwort auf den alarmierenden Verlust der Artenvielfalt, der durch die intensive Landwirtschaft verursacht wird. Ich finde dabei die beiden folgenden besonders bemerkenswert, und zwar

  • den Ausbau des Anteils der ökologischen Landwirtschaft auf 30 bis 40 Prozent bis zum Jahr 2030 und
  • die Reduktion der chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel um 40 bis 50 Prozent, ebenfalls bis 2030.

Ökologischer Landbau

Aktuell gibt es Landkreise in Baden-Württemberg, in denen der Anteil von Öko-Landbau bereits 30 % erreicht hat. Dazu gehört z. B. der Landkreis Tübingen. Wenn man jedoch das ganze Bundesland betrachtet, ist noch viel zu tun. Im Gesamtdurchschnitt liegt der Anteil von Bio bei derzeit 14 %. Das bedeutet also, dass innerhalb von zehn Jahren noch mehr als doppelt so viel Anbaufläche hinzukommen müsste. Das kann nur über eine gut funktionierende Vermarktung von Bio-Produkten gelingen. Und dabei spielt auch die Außer-Haus-Verpflegung eine entscheidende Rolle: Mensen, Schulkantinen, Kitas, Kirchengemeinden, die Erzdiözesen und Einrichtungen unter kirchlicher Trägerschaft – sie alle müssen an einem Strang ziehen und Vorbild sein, um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen. Und es gibt dafür bereits tolle Beispiele: So ist Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen beim Bio-Anteil Spitzenreiter in Europa bei der Außer-Haus-Verpflegung. Die Verantwortlichen haben sich das Motto „Jeder hat ein Recht auf gutes Essen“ auf die Fahnen geschrieben und konnten bereits einen Bio-Anteil von 90 % (!) in ihren Einrichtungen erreichen – und dabei das Kostenniveau sogar halten.

Verantwortung der Institutionen

Um hier den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben, können auch die Kirchen eine wichtige Rolle spielen, indem sie anders einkaufen – und dabei Ihrem Auftrag zur Schöpfungsverantwortung voll gerecht werden. Damit die Umstellung auf ökologischen Landbau auch wirklich funktioniert, müssen alle Stufen der sogenannten Wertschöpfungskette mit einbezogen werden. So brauchen wir auch Mühlen, Metzger, Bäcker und so weiter, die die erzeugte Ware entsprechend verarbeiten. Und Menschen, die sowohl auf dem Acker als auch in der Verarbeitung wissen, wie man das dann macht. Daher ist auch die Einbindung von Öko in die Ausbildung in Fach(hoch)schulen und Universitäten entscheidend.

Pestizide Ackerbau
In Baden-Württemberg soll die Verwendung von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln bis zum Jahr 2030 um bis zu 50 Prozent reduziert werden. © Erich Westendarp / Pixabay

Weniger Pestizide – ambitionierte Ziele

Wenn man den bäuerlichen Stimmen im Ländle so zuhört, dann reift immer stärker das Bewusstsein, dass sich auch in der Anwendung von Pestiziden etwas ändern muss. Die Zahlen hierzu sind alarmierend: Das im Gesetzespaket verankerte Ziel einer Reduktion um 40 bis 50 % ist sehr ambitioniert. Eine Reduktion von Herbiziden – das sind Mittel gegen Beikräuter, die gespritzt werden und die mit 80 % am häufigsten eingesetzt werden – ist möglich. Bei Untersuchungen in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg ergab ein kompletter Verzicht auf Herbizide einen Ertragsrückgang von durchschnittlich 10 % – aber dafür konnte eben komplett auf Herbizide verzichtet werden. Das ist aber nur der Fall, wenn ackerbaulich alles im Lot ist. Im Durchschnitt würde es dann geringere Erträge geben, die – im schlimmsten Fall – auch bis zu 40 % betragen könnten. Sicher ist: es wird ein langer Weg. Und wenn bis zum Jahr 2030 doch „nur“ 20 % weniger Pestizide eingesetzt würden, dann wäre damit auch schon viel gewonnen. Denn der Einsatz von Pestiziden ist in den vergangenen Jahren sogar mehr geworden – und nicht weniger.

Signalwirkung – für Europa und die Welt

Die im Gesetz in Baden-Württemberg festgelegten Ziele lehnen sich bewusst auch an die Farm-to Fork-Strategie der EU an. Das Bundesland als Vorreiter für die EU – in diese Richtung kann und soll es gehen. Und eben diese Farm-to Fork-Strategie soll auch als Vorbild für eine globale Veränderung hin zu nachhaltiger Landwirtschaft dienen. Und damit sind wir in Asien, Afrika und Lateinamerika. Denn trotz der schwindenden weltpolitischen Bedeutung der EU ist sie doch noch immer ein Trendsetter. Gerade in Sachen Nachhaltigkeit. Was in Europa hier passiert, stößt weltweit auf großes Interesse. Dazu gehört natürlich die Landwirtschaft. „Wenn Ihr es als hochindustrialisierte Nationen nicht mehr schafft, die Pestizide zu reduzieren und mehr Öko-Anbau zu etablieren – wie sollen wir im globalen Süden es denn schaffen?“ Das höre ich oft auf meinen Reisen. Daher ist die Vorbild-Funktion der EU und Deutschlands – und in diesem Fall Baden-Württembergs – gar nicht hoch genug einzuschätzen. Jetzt haben wir ein Ziel – Zahlen mit einem klaren Zeithorizont, das hilft auf diesem Weg.

Ermutigendes Zeichen

Ich denke, das Gesetz ist ein mutiges und ermutigendes Signal mit hoch gesteckten Zielen. Wenn alle daran mitarbeiten, wird es Erfolge geben und Nachahmer weltweit finden können – auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft.

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Ansprechpartner Portrait

Markus Wolter ist Experte für Landwirtschaft und Welternährung bei Misereor.

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