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„Was darf ich überhaupt noch essen?“ – Oma Rosi im Siegeldschungel

Im Angebots- und Siegeldschungel deutscher Supermärkte ist nicht nur Oma Rosi aus der Radio-Satire von NDR 2 überfordert. Doch Oma Rosemarie Freese bringt die allgemeine Verunsicherung deutlich auf den Punkt. Sie leidet unter dem allgegenwärtigen Anspruch, richtig einzukaufen und das Richtige zu essen. Und unter den „Versagensängsten“, dies nicht zu tun.

Orientierung im Wirrwarr der Einkaufssiegel
Über 90 % der Lebensmittel im Durschnittssupermarkt sind für die Umwelt und häufig auch für die Menschen, die sie erzeugen, nicht zuträglich. © Alexas Fotos / Pixabay

Ich verstehe Oma Rosi und kann ihre Unsicherheit gut nachvollziehen. Das geht mir oft genauso, obwohl ich mich seit über 20 Jahren beruflich mit Landwirtschaft, Ernährung und Lebensmitteln beschäftige. Über 1.000 Nachhaltigkeitssiegel gibt es in Deutschland im Ernährungsbereich. Und alle versprechen irgendetwas mit Nachhaltigkeit und dass das Produkt etwas besser ist als das siegellose Nachbarprodukt im Regal. Die Verkaufsargumente sind häufig, dass es sich um ein regionales Produkt handelt, mit mehr Tierwohl verbunden ist, es etwas für die Artenvielfalt tut oder ohne Kinderarbeit auskommt – oder, oder, oder.

Allgemeine Überforderung

Wir Verbraucherinnen und Verbraucher werden schnell mit der Forderung konfrontiert, dass am besten wir selbst entscheiden sollten, wie nachhaltig wir essen wollen – und dass es dann unsere eigene Entscheidung sei, uns für mehr Tierwohl, gentechnikfreie Lebensmittel oder ökologische Anbaumethoden zu entscheiden. Uns wird weisgemacht, dass es (allein) an uns „mündigen“ und wohlinformierten Konsumentinnen und Konsumenten liegt, die (richtige) Entscheidung zu treffen. Das finde ich überhaupt nicht. Das Bespiel Fleischkonsum zeigt, dass bei einem Großteil der Kaufentscheidungen letztlich der Preis das ausschlaggebende Argument ist: Seit über zwanzig Jahren werden Verbraucherinnen und Verbraucher intensiv darüber informiert, wie das Schweineschnitzel in Deutschland produziert wird. Die Empörung darüber ist meist nur von kurzer Dauer und am Konsumverhalten ändert sich im Großen und Ganzen fast nichts. Also brauchen wir etwas anderes. Denn dem Verbraucher wird zu viel Verantwortung aufgebürdet.

„Es braucht einen fairen Rahmen“

Die Annahme, dass doch jede und jeder Einzelne/r für sich selbst etwas tun könne, wenn nur gewollt, hat sich als falsch erwiesen. Dafür braucht es eine gesamtgesellschaftliche Lösung, wie sie vor einigen Wochen der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung vorgeschlagen hat. So heißt es in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung des Gutachtens: „Um nachhaltigere Ernährungsentscheidungen in der Breite der Bevölkerung und im Alltag zu ermöglichen, benötigen wir einen fairen Rahmen in Form von verständlichen Informationen, einem einfacheren Zugang, mehr Wahlmöglichkeiten und Preisanreizen, die die nachhaltigere Wahl attraktiver machen.“

Bio-Gemüse Herbst
„Essen Sie möglichst viel Pflanzliches aus ökologischer Landwirtschaft.“ © Ella Olsson / Pexels

Kopf hoch, Oma Rosi

Das ist mal ein Aufruf an die Politik und schiebt nicht mehr Oma Rosi die alleinige Verantwortung zu, die damit offensichtlich völlig überfordert ist. Denn wenn ich heute in einen deutschen Durchschnittssupermarkt gehe, sind über 90 % der Lebensmittel, die ich dort kaufen kann, für die Umwelt und häufig auch für die Menschen, die sie erzeugt, gepflückt, geerntet, geschlachtet und verpackt haben, nicht zuträglich. Wenn wir als Einzelne dennoch anfangen wollen, dann kann ich es runterkochen auf die folgenden zwei Konsumtipps:

  • Essen Sie möglichst viel Pflanzliches aus ökologischer Landwirtschaft und
  • Essen Sie nichts, was Ihre Urgroßmutter nicht als Lebensmittel erkannt hätte (frei nach Michael Pollan).

Viel Spaß beim nächsten Einkauf – und „Kopf hoch, Oma Rosi – wir kriegen das hin.“

Oma Rosis „Ernährungsangst“ zum Ansehen und zum Anhören (Podcast).


Weitere Informationen

Gute Ernährung für alle: https://www.misereor.de/informieren/hunger

Wer wissen möchte, wie eine für Mensch und Planet gesunde Ernährung aussehen kann, findet hier einige Antworten.

Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft zum Nachlesen.

Geschrieben von:

Ansprechpartner Portrait

Markus Wolter ist Experte für Landwirtschaft und Welternährung bei Misereor.

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