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Zuhause bleiben, wenn es kein Zuhause mehr gibt?

MISEREOR-Partner und Berliner Initiativen im Austausch zu Zwangsvertreibungen in Zeiten von COVID-19

Menschen leben auf Gleisen
Kalkutta: In Tiljala leben die Menschen auf den Gleisen der Indian Railway am Bahnhof Park Circus (Foto: Hartmut Schwarzbach / argus)

Aus seinem eigenen Haus vertrieben zu werden, raubt Betroffenen schon im Normalfall die Existenzgrundlage. In Zeiten einer Pandemie, während der es das Gebot der Stunde ist, zu Hause zu bleiben, gefährdet es jedoch ihr Leib und Leben. Die Corona-Krise hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig angemessener Wohnraum und die Sicherung des Rechts auf Wohnen sind. Trotzdem hält dies Regierungen weltweit nicht davon ab, Menschen aus ihren Wohnungen oder Siedlungen zu vertreiben, selbstgebaute Unterkünfte abzureißen und bezahlbaren Wohnraum zu zerstören. Dies machen MISEREOR-Partnerinnen und Partner deutlich. Konsequenzen müssen die Verantwortlichen meist nicht fürchten, obwohl es sich dabei um Verstöße gegen das Menschenrecht auf Wohnen handelt.

Während einer Veranstaltung im Rahmen des „Urban October“, der von UN Habitat ins Leben gerufen wurde, haben sich verschiedene MISEREOR-Partner aus Südafrika und Indien mit Berliner Initiativen ausgetauscht. Wie ist weltweit die aktuelle Situation in Bezug auf Vertreibungen und das Recht auf Wohnen? Welche Initiativen unterstützen die Betroffene in diesen Zeiten und darüber hinaus und mit welchen Strategien? Welche Forderungen stellen sie an die Regierungen?
Hier präsentieren wir drei Stimmen von drei Initiativen aus drei Kontinenten.

Shivani Chaudhry vom Partner Housing and Land Rights Network (HLRN), Neu-Delhi, Indien

Portraitfoto
Shivani Chaudhry (Foto: MISEREOR)

„Vertreibungen sind ein direkter Angriff auf das Recht auf Leben und Gesundheit und bestehen trotz der Krise fort. So viele Regierungen fordern ihr Volk dazu auf, Zuhause zu bleiben. Wie soll das möglich sein, wenn so viele Menschen gar kein Zuhause haben? Als HLRN haben wir während der Pandemie zahlreiche Vertreibungen registriert. Es gab keine Vorwarnung. Die Menschen sind nun obdachlos und hatten nicht einmal die Möglichkeit, sich vorzubereiten.

Warum werden diese Menschen vertrieben? Manchmal sollen die Städte erneuert werden, manchmal wird das Land gar nicht benötigt. All dies passiert in einer Nation, die bald mehr als acht Millionen COVID-19-Fälle registriert hat. Wir als HLRN setzen an verschiedenen Punkten an, um dagegen vorzugehen: Wir dokumentieren die Fälle, sensibilisieren die Bevölkerung für das Thema – auf sozialen Medien aber auch vor Ort, machen Lobby- und Advocacyarbeit. So haben wir schon einiges erreicht, es gibt aber noch viel mehr zu tun. Ein wichtiger Schritt wäre nun ein Vertreibungsmoratorium.“

Mqapheli Bonono vom Partner Abahlali baseMjondolo, Südafrika

Portraitfoto von Mqapheli Bonono
Mqapheli Bonono (Foto: MISEREOR)

„Die COVID-19-Pandemie hat die Ungleichheiten der Gesellschaft wie unter einem Brennglas verschärft. Als ein zentrales Mittel gegen die Verbreitung des Virus wird den Menschen gesagt, sie sollten zuhause bleiben. Ohne Essen und Wasser ist das jedoch kaum möglich. Hinzu kommt, dass die Regierung auch während dieser Krise nicht aufgehört hat, die Menschen zu vertreiben. Im Gegenteil: Wir konnten zahlreiche Fälle von Zwangsräumungen, Vertreibungen und Umsiedlungen registrieren. Die Polizei nahm Frauen aus informellen Siedlungen in Gewahrsam, Häuser wurden zerstört. Wir haben Daten gesammelt und untersucht, wie sich die Situation in den Gemeinden während der vergangenen, von Corona geprägten Monate entwickelt hat.

Unsere Erkenntnisse sind ernüchternd: Der Staat agiert auf brutale und unfaire Weise, verstößt gegen das Gesetz und fährt mit den Vertreibungen fort. Das alles passiert in einer ohnehin schon schwierigen Situation: Die Grundversorgung der Menschen ist zum Teil nicht mehr sichergestellt, geschlechterbasierte Gewalt hat zugenommen. Wir glauben jedoch, dass die Betroffenen sich dem nicht schutzlos ausliefern müssen. Eines unserer Ziele, um sie zu unterstützen, ist es, sie miteinander zu verbinden, beispielsweise über WhatsApp oder Zoom, und über ihre Rechte und die Situation zu informieren. Wichtig ist nun, dass wir uns zusammenschließen und als eine Gemeinschaft auftreten, die ihre Stimme erhebt. Wir müssen laut für die Umverteilung von Land einstehen, müssen Hoffnung wachsen lassen, Gewalt gegen Frauen ein Ende setzen. Dies haben wir in den vergangenen sechs Monaten gelernt. Alleine können wir nichts erreichen. Wir müssen uns zusammenschließen und gemeinsam für unsere Rechte einstehen.“

Marie Schubenz vom Mieterrat NKZ / Kommunal und Selbstverwaltet, Berlin, Deutschland

Portaitfoto von Marie Schubenz
Marie Schubenz (Foto: MISEREOR)

„Die Bedeutung des Menschenrechts auf Wohnen zeigt sich gerade noch einmal ganz massiv und zugespitzt. Wir konnten dies am Kottbusser Tor in Berlin beobachten. Dort wuchs während der Pandemie eine Zeltstadt, in der Obdachlose unterkommen konnten. Eine Suppenküche und Unterkünfte wurden dort organisiert. Als Mieterrat sind wir Teil der Bewegung am Kottbusser Tor und konnten dort schon einiges erreichen. Direkt zu Beginn des ersten Lockdowns beispielsweise haben wir mit den zuständigen Stellen ausgehandelt, dass die gewerblichen Mieter*innen, die zum Schließen gezwungen waren, ihre Mieten nicht weiterzahlen müssen.

Nach der Wiedereröffnung konnten wir uns auf eine umsatzabhängige und somit in den meisten Fällen reduzierte Miete einigen. So bleiben uns hoffentlich einige Gewerbe erhalten. Dies ist nur ein Beispiel für unsere Arbeit. Wichtig für unseren Erfolg ist, dass wir als Mieterrat ein Teil einer ganzen Bewegung in der Stadt sind. Die Errungenschaften sind der gesamten Mieter*innen-Bewegung Berlins zuzuschreiben. Wir stehen gemeinsam dafür ein, wie wir leben möchten und erheben unsere Stimme.“


Die MISEREOR-Partner und Initiativen im Überblick

Das Housing and Land Rights Network (HLRN) in Neu-Delhi, Indien, ist eine gemeinnützige indische Organisation mit Sitz in Neu-Delhi. Sie setzt sich für die Verwirklichung des Rechts eines jeden Menschen ein, in Frieden, Sicherheit, Geborgenheit und Würde zu leben. Shivani Chaudhry ist die Leiterin und seit 2004 für HLRN tätig.

Abahlali baseMjondolo (AbM, Zulu, auf Deutsch: „die in den Hütten Lebenden“) hat ihren Sitz in Südafrika. Sie ist eine Bewegung von Bewohner*innen selbstorganisierter bzw. informeller Siedlungen, die zum einen gegen Zwangsräumungen und für das Bleiberecht der in diesen Siedlungen Wohnenden kämpft. Zum anderen setzt sich der Partner auch auch für einen gerechten Zugang zu subventioniertem Wohnungsbau ein, besonders für diejenigen, die unter schlechten Wohnbedingungen leiden.

Der Mieterrat Neues Kreuzberger Zentrum (NKZ) –Kommunal und selbstverwaltet ist die demokratisch gewählte Interessenvertretung der Wohnungs- und Gewerbemieter*innen im Neuen Kreuzberger Zentrum. Die Gründung erfolgte im Jahr 2016, um die drohende Übernahme des NKZ durch einen stadtbekannten Investor zu verhindern. Seitdem setzt sich der Mieterrat selbstorganisiert, autonom und kommunal für die Rechte der Mieter*innen ein.

Geschrieben von:

Ansprechtpartnerin

Jana Echterhoff ist Referentin für Lateinamerika bei Misereor.

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