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Die Schweiz stimmt ab

Am kommenden Sonntag stimmen die Schweizer Bürgerinnen und Bürger darüber ab, ob Konzerne, die in der Schweiz ihren Sitz haben, in Zukunft auch im Ausland die Menschenrechte einhalten müssen. Es klingt aberwitzig, dass über diese Frage abgestimmt werden muss. Wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die vor 72 Jahren verabschiedet wurde, etwa mit einer Klausel versehen, dass Unternehmen und Konzerne nicht an deren Inhalt gebunden sind? Nein – natürlich nicht! Denn die Menschenrechte sind universell und gelten für alle und überall! Theoretisch.

In der Praxis sind Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne heutzutage an der Tagesordnung – sei es in der Textilindustrie, in der Fleisch- und Lebensmittelproduktion, im Abbau und der Verarbeitung von Rohstoffen, um nur einige Beispiele zu nennen. Dort, wo die globalen Lieferketten von den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern in die reichen Industrieländer führen, nutzen Unternehmen und Konzerne nur allzu oft die schlechten Umwelt- und Sozialstandards dieser Länder, um günstig zu produzieren – unter Missachtung der Rechte der Bevölkerung, der Arbeiterinnen und Arbeiter und der Natur.

MISEREOR hat über Jahre diese Menschenrechtsverletzungen dokumentiert – die Partnerorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika bitten uns um Unterstützung bei der Sichtbarmachung der Probleme, beim Einklagen der Rechte der Betroffenen und im Ringen um bessere Gesetze, die diese systematische Verletzung von Menschenrechten in Zukunft verhindern sollen. Sie fordern uns auf, für die strikte Achtung der Menschenrechte entlang aller Lieferketten, die in unser Land führen, einzutreten. Die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern dürfen und wollen nicht länger den hohen ökologischen und sozialen Preis für unseren viel zu großen und allzu selbstverständlich gewordenen Konsum bezahlen.

Die Schweiz stimmt am Sonntag darüber ab, ob Schweizer Unternehmen, die im Ausland zum Beispiel über Tochterunternehmen gegen Menschenrechte verstoßen, dafür haftbar gemacht werden können. Unternehmen wie der Bergbauriese Glencore, der seinen Sitz wohl vor allem deshalb in der Schweiz hat, weil er dort für seine milliardenschweren Gewinne kaum Steuern bezahlen muss, laufen Sturm gegen die Konzernverantwortungsinitiative. Dem Rohstoffkonzern werden auch von MISEREOR-Partnerorganisationen immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Statt alle Aufmerksamkeit darauf zu richten, die Missstände zu beheben, geht Glencore nun rechtlich gegen die Schweizer Konzernverantwortungsinitiative vor und will gerichtlich erreichen, dass die Initiative nicht mehr über unmenschliche Zustände in den Glencore-Minen in Bolivien berichten darf. Auch MISEREOR hatte Glencore vor einigen Jahren schon einmal mit Klage gedroht, als MISEREOR zusammen mit Partnerorganisationen aus Lateinamerika einen umfassenden Bericht zu Menschenrechtsvorwürfen gegen Glencore veröffentlichte.

Trotz oder vielleicht gerade auch wegen solcher Manöver haben die Schweizer Bürgerinnen und Bürger schon längst verstanden, dass es bei der Konzernverantwortung um weit mehr geht, als nur ein weiteres Gesetz: es geht darum, den entfesselten Kapitalismus an die Leine zu nehmen. Die Prognosen sehen das „Ja“ für mehr Konzernverantwortung vorne. Nachhaltigkeit, Menschenrechte, eine Wirtschaft, die im Dienst der Menschen steht – das alles sind drängende Fragen unserer Zeit.

Wenn die Schweizer am Sonntag für „Ja“ stimmen, wird dies eine wichtige Signalwirkung auch für Deutschland haben, wo MISEREOR sich – gemeinsam mit einem großen Bündnis an zivilgesellschaftlichen Organisationen und mit einer wachsenden Zahl an Unternehmen – ebenfalls für ein Lieferkettengesetz stark macht. Die Unternehmen zu menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfalt zu verpflichten – ein längst überfälliger Schritt, 72 Jahre nach Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Susanne Friess und Armin Paasch, MISEREOR.


Initiativen in der Schweiz und in Deutschland

Die schweizerische Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ fordert, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte und internationale Umweltstandards auch außerhalb der Schweiz respektieren. Zur Initiative >


Die deutsche Initiative Lieferkettengesetz ist ein Zusammenschluss zahlreicher Organisationen mit einem gemeinsamen Ziel: Sie tritt ein für eine Welt, in der Unternehmen Menschenrechte achten und Umweltzerstörung vermeiden – auch im Ausland. Mehr zur Initiative >


Fallbeispiel Brumadinho /Brasilien

Januar 2019: Ein Damm mit giftigen Klärschlämmen bricht in Brasilien auseinander. Die Folge: Fast 300 Todesopfer und gravierende Umweltschäden. Verantwortlich für diese Katastrophe ist unter anderem der TÜV Süd, der den Staudamm kurz zuvor als sicher zertifizierte. 
Ein deutsches Lieferkettengesetz hätte die Katastrophe verhindern können. Es würde an Prüfunternehmen wie den TÜV die gleichen menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltsanforderungen stellen wie an die von ihnen überprüften Unternehmen. So wäre TÜV Süd dazu verpflichtet, die menschenrechtlichen Risiken einer Zertifizierung durch sein brasilianisches Tochterunternehmen zu untersuchen.

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Susanne Friess war als Beraterin mit dem Schwerpunkt Bergbau und Entwicklung für die Lateinamerika-Abteilung von MISEREOR tätig.

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