Nun wird es also scheinbar doch noch klappen! Deutschland wird Ende 2020 wahrscheinlich das selbst gesteckte Klimaschutzziel von 2007 einhalten. Damit wird es tatsächlich 40 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen haben als im Jahr 1990. Noch vor der Corona-Pandemie sah dies ganz anders aus. Ohne ihre wirtschaftlichen Folgen hätte es vermutlich nicht funktioniert. Bereits im Jahr 2014 war der damaligen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks klar: es wird extrem schwierig, wenn nicht mehr passiert.
Die Bundesregierung rief daher das Aktionsbündnis Klimaschutz ins Leben. Mit allen gesellschaftlichen Gruppen sollten freiwillige Beiträge und Empfehlungen zusammengetragen werden, wie die damals absehbare Lücke von 8 Prozent doch noch geschlossen werden könnte. Auch Entwicklungsorganisationen wurden zum Mitmachen eingeladen und seitdem bringen MISEREOR, Brot für die Welt, Oxfam, CARE und VENRO regelmäßig die Perspektive auf Klimagerechtigkeit und den Globalen Süden ein, so auch heute auf der Herbstsitzung des Gremiums. Mittlerweile arbeitet das Bündnis auf die nächsten Meilensteine hin, das Zwischenziel des Klimaschutzgesetzes 2030 und den Klimaschutzplan 2050.
Die Klimakrise ist global
Uns als Entwicklungsorganisationen ist wichtig, immer wieder deutlich zu machen, dass die Klimakrise eine globale Krise ist. Was Deutschland für den Klimaschutz tut oder nicht tut, hat vielfältige Auswirkungen, auch auf den Globalen Süden. Wir möchten immer wieder daran erinnern, dass ein Herzstück der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen das Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ ist. Länder, die sowohl historisch, als auch aktuell viele Treibhausgase ausstoßen, müssen ihre Emissionen besonders schnell reduzieren. Sie müssen ebenfalls andere Länder, die bereits unter den Folgen der Klimakrise leiden, bei Minderung, Anpassung und der Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten unterstützen.
Es ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden, dass bisher vor allem von sogenannten Hochemissionsländern viel zu wenig getan wurde – das gilt auch für Deutschland. Aktuell hat die Bundesregierung das Ziel, in Deutschland bis 2050 Treibhausgasneutralität zu erreichen und auf dem Weg dorthin bis 2030 55 Prozent weniger Emissionen zu verursachen. Selbst bei Erreichung dieser Ziele würde Deutschland keinen ausreichenden und fairen Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze leisten, auf die sich weltweit im Pariser Abkommen geeinigt wurde. Die Ziele müssen also deutlich verbessert und Maßnahmen zu Erreichung umgesetzt werden. werden.
Treibhausgasneutralität ohne Tricks
Für uns als Entwicklungsorganisationen sind dabei sowohl das „Wann“ als auch das „Wie“ wichtig: Wir möchten, dass Treibhausgasneutralität viel eher erreicht wird. Weiterhin möchten wir deutlich machen, dass „treibhausgasneutral“ bedeutet, dass der Ausstoß fossiler Emissionen so schnell wie möglich gegen Null gesenkt und Emissionen aus der Land- und Forstwirtschaft deutlich verringert werden.
In einigen Klimamodellen werden fossile Emissionen mit biologischen Senken verrechnet oder technische Möglichkeiten des nachträglichen „Einfangens“ von fossilen Emissionen eingeplant. Die meisten dieser technischen Lösungen sind aber noch nicht vorhanden oder extrem risikoreich. Es ist damit völlig unklar, ob und in welchem Ausmaß sie überhaupt einen Beitrag zum Klimaschutz leisten könnten.
Selbstverständlich sollten natürliche Ökosysteme wie Wälder, Moore und Böden besser geschützt und regeneriert werden. Auch damit sie ihr volles Potential als CO2-Speicher erfüllen können. Sie können dabei helfen, unvermeidliche Rest-Emissionen z. B. aus der Landwirtschaft auszugleichen, nicht aber als Ausgleich für eigentlich vermeidbare Emissionen eingepreist werden.
Menschenrechtsverletzungen durch Förderung fossiler Rohstoffe
Die Maßnahmen, die in Deutschland für die Erreichung seiner Klimaziele verfolgt werden, wirken sich dabei aber nicht nur auf die „deutschen“ Emissionen aus, sie haben immer weitere Auswirkungen auf andere Regionen der Welt. Schon heute sind globale Lieferketten die Regel. Neue Technologien und Rohstoffe für industrielle Prozesse, Energieumwandlung, Mobilität oder das Bauen werden Lieferketten verändern. Insbesondere im Rohstoffsektor sind gravierende Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden dokumentiert. Das zentrale Problem des Energiekonsums in Deutschland ist, dass insgesamt zu viel Energie und zu viele fossile Ressourcen genutzt werden. Fossile Ressourcen – bis auf Braunkohle – werden nach Deutschland aus anderen Ländern eingeführt. Der Abbau von Kohle, Öl und Gas erfolgt in der Regel im Rahmen von Großprojekten, die oft mit tiefgreifenden Umweltzerstörungen und vielerorts auch mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen.
Das Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo (CAJAR) aus Kolumbien beschreibt das anschaulich in einem Bericht, in dem sie die Gerichtsurteile wegen Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien darstellen. Unterschiedliche Medienberichte haben vielfach trotz der Schwierigkeiten für russische Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen die Folgen des Kohleabbaus in Russland aufgedeckt. Auch erhöhte Methanemissionen durch Gasförderung und die ökologischen Katastrophen, die durch Ölförderung beispielsweise im Nigerdelta verursacht wurden, sind weitere Auswirkungen, an denen Deutschland Mitverantwortung trägt.
Rohstoffbedarf für die Energiewende
Die Energiewende wird neue Lieferketten und veränderte Rohstoffbedarfe mit sich bringen. Als Entwicklungsorganisationen wollen wir, dass Erneuerbare Energien auch wirklich nachhaltig sind. Bisher setzen sich die Unternehmen der Erneuerbaren-Branche zu wenig mit ihrer Lieferkette und der Herkunft ihrer Rohstoffe auseinander.
Metallische Rohstoffe wie Kupfer, Eisen, Lithium, Kobalt und Mangan, die bereits für verfügbare Technologien genutzt werden, gelten heute schon als kritisch. Für Veränderungen in damit verbundenen Lieferketten für die Energiewende ist daher dafür Sorge zu tragen, dass sie im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte stehen und die Auswirkungen auf Ökosysteme in den rohstoffliefernden Ländern möglichst klein gehalten werden. Technologien, die mit erhöhten Risiken einhergehen, sind daher zu vermeiden. Ein Lieferkettengesetz ist notwendig, damit Unternehmen zu Transparenz und Verantwortung entlang ihrer Lieferkette verpflichtet werden.
In vielen Studien wird angenommen, fossile und mineralische Ressourcen verstärkt durch nachwachsender Rohstoffe – zum Beispiel für die Erzeugung von Wärme oder Flugzeug-Treibstoff. Das ist hoch problematisch. Die globalen Produktionsflächen für Biomasse sind begrenzt und müssen auch und besonders der Ernährungssicherheit und als Naturräume für den Schutz der Biodiversität zur Verfügung stehen. Sollen mehr Biotreibstoffe erzeugt werden, bräuchten wir mehr Anbaufläche. Flächen, die heute vielleicht noch artenreiche und CO2-bindender Ökosysteme beheimaten, würden so zu monokulturellen Agrarflächen. Insbesondere in Ländern des Globalen Südens würde dadurch die Konkurrenz um Wasser, Land und den Anbau von Nahrungsmitteln befeuert. Bioenergie sollte daher nur noch aus Rest- und Abfallstoffen gewonnen werden statt aus Anbaubiomasse, was ihrem Beitrag zur Energiewende sehr enge Grenzen setzt.
Klare Nachhaltigkeitskriterien für Wasserstoff!
Alle wissenschaftlichen Dekarbonisierungsszenarien beinhalten Wasserstoff und seine Folgeprodukte für Sektoren, die nicht elektrifiziert bzw. nicht anderweitig dekarbonisiert werden können. Allerdings wird Wasserstoff ein sehr knappes und damit teures Gut bleiben. Die staatliche Förderung muss sich ausschließlich auf erneuerbaren Wasserstoff begrenzen, denn nur dieser kann nachhaltig und CO2-frei sein.
Ein erheblicher Teil des deutschen Wasserstoffbedarfs wird importiert werden müssen und mit der deutsch-marokkanischen Wasserstoff-Partnerschaft wurde deutlich: diese Importe könnten auch aus Ländern des Globalen Südens stammen. Als Entwicklungsverbände ist uns dabei wichtig, dass eine Wasserstoffwirtschaft im Einklang mit unseren entwicklungspolitischen Zielen stehen muss. Dazu ist es erforderlich, die Entwicklung und die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen vor Ort, insbesondere der Ärmsten der Armen, die zum Beispiel keinen Energiezugang haben, in den Fokus zu nehmen, wenn Wasserstoffpartnerschaften zum Export aus dem Globalen Süden aufgebaut werden. Der Aufbau globaler Lieferketten für Wasserstoff bedarf strenger Nachhaltigkeitskriterien, entsprechender Monitoringsysteme, sowie zwingend erforderlicher sozialer und ökologischer Folgenabschätzungen zur Bewertung einzelner Projekte.
Der aktuelle Wasserstoff-Hype darf uns allerdings nicht davon ablenken, dass wir die Pariser Klimaziele in erster Linie nur durch einen viel stärkeren Ausbau erneuerbarer Energien und viel höhere Investitionen in Energieeffizienz erreichen können. Auch um eine deutliche Senkung des Endenergieverbrauchs werden wir nicht herumkommen.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Dr. Joachim Fünfgelt, Referent für Energiepolitik bei Brot für die Welt, und Kathrin Schroeder, Referentin für Energiepolitik bei MISEREOR.