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Zivilgesellschaft unter Druck – wie die Jugend Freiräume verteidigt

Kürzlich wurde ich gebeten, für eine Veranstaltung darüber zu berichten, inwiefern junge Menschen in den MISEREOR-Partnerländern von Shrinking Space betroffen sind. Mit Shrinking Space sind Einschränkungen des zivilgesellschaftlichen Handlungsraums gemeint. Von solchen Einschränkungen berichten uns viele Partnerorganisationen aus immer mehr Ländern. Doch nur selten wird dabei explizit auf die Situation junger Menschen eingegangen. Dabei sind es häufig Jugendliche und junge Erwachsene, die wichtige Impulse für gesellschaftliche Veränderungen geben – und das nicht erst seit Fridays for Future.

Thailand Proteste 2020 Demokratie
Mit den landesweiten Protesten in Thailand 2020 und 2021 wurde auch Kritik am autoritären Führungsstil der Regierung geübt. © wikimedia commons / Milktea2020 (CC BY-SA 4.0)

Zivilgesellschaft – mehr als NRO

Ob in Vereinen, Jugendclubs, Schüler*innen- und Student*innen-Vereinigungen, in Bürgerbewegungen oder Nichtregierungsorganisationen – junge Menschen, die sich zusammenschließen, sind ein wichtiger Teil einer jeden Zivilgesellschaft. MISEREOR erreicht sie meistens über Partnerorganisationen, die als registrierte Nichtregierungsorganisationen (NRO) einen wichtigen Teil der Zivilgesellschaft bilden, die aber noch viel mehr umfasst. Kurz gesagt, der Begriff Zivilgesellschaft umfasst all jene, die sich in einer Gesellschaft engagieren, aber nicht die Politik oder Wirtschaftsunternehmen repräsentieren.

Am Gemeinwohl orientiert

Wenn man diesen Begriff anlegt, wird schnell klar, dass zur Zivilgesellschaft nicht nur die „Guten“ gehören, sondern leider auch diejenigen, die Rassismus, Nationalismus und andere ausgrenzende und menschenverachtende Ideologien vertreten und fördern. CIVICUS, die Weltallianz zur Bürgerbeteiligung, spricht in diesem Zusammenhang vom Erstarken einer un-zivilen Gesellschaft. Ein Phänomen, das wir in vielen Gesellschaften beobachten, auch in Deutschland. Wenn sich MISEREOR für zivilgesellschaftliche Handlungsräume einsetzt, ist es uns daher ein Anliegen deutlich zu machen, dass es uns dabei um die Stärkung und den Schutz derjenigen geht, die sich für Belange einsetzen, die am Gemeinwohl orientiert sind.

Aus Sicht von MISEREOR – aber auch allgemein – sind zivilgesellschaftliche Akteur*innen deswegen so wichtig, weil sie Fürsprecher*innen für diejenigen sind, deren Anliegen sonst nicht gehört werden. Da das aber oft unbequem für Regierende oder Unternehmen ist, werden sie in vielen Ländern mundtot gemacht. So werden – etwa unter dem Vorwand der „nationalen Sicherheit“ – Gesetze erlassen, die die NRO-Tätigkeiten erschweren oder gar verhindern und den Zugang der Organisationen zu Finanzmitteln erschweren. Die Auswirkungen sieht man zum Beispiel gerade bei der Corona-Krise in Indien. Verschärfte NRO-Bestimmungen verhindern hier, dass Projektgelder rechtzeitig überwiesen werden können oder kleinere mit größeren NRO komplementär zusammenarbeiten können.

MISEREOR im Gespräch: Rose Trajano, Menschenrechtsverteidigerin aus den Philippinen, und Elmar Noé, Referent für zivilgesellschaftlichen Handlungsraum bei MISEREOR.

Menschenrechtsverteidiger*innen werden weltweit bedroht

Aus viele Ländern berichten Partnerorganisationen, dass Aktivist*innen, die sich beispielsweise für die Rechte von Menschen einsetzen, deren Lebensgrundlagen von Staudamm-, Plantagen- oder Bergbauprojekten bedroht sind, als „anti-national“ und „entwicklungsfeindlich“ diffamiert und Menschenrechtsverteidiger*innen (MRV) kriminalisiert werden. Die Verteidigung gegen willkürliche Anklagen bindet so Ressourcen, die dann für die eigentliche Arbeit fehlen. Viele MRV müssen sich immerzu mit Einschüchterungsversuchen auseinandersetzen – diese gehen bis zu willkürlichen Verhaftungen und Morddrohungen –mit allen Konsequenzen für ihr eigenes Leben und das ihrer Angehörigen. Immer wieder werden Menschenrechtsaktivist*innen ermordet, die sich nicht hatten einschüchtern lassen. Die Menschenrechtsorganisation Frontline Defenders hat allein für das vergangene Jahr 331 Morde an MRV weltweit dokumentiert. Und diese Zahl steigt jedes Jahr weiter an. Die meisten Ermordungen gibt es – mit Abstand – in Kolumbien, gefolgt von den Philippinen, Honduras, Mexiko, Afghanistan, Brasilien und Guatemala. In all diesen Ländern unterstützt MISEREOR Partnerorganisationen und leider sind auch diese immer wieder direkt betroffen. Besonders gefährdet sind dabei Menschen, die sich für Land-, Umwelt- und indigene Rechte einsetzen, die häufig mächtigen Wirtschaftsinteressen im Wege stehen.

Chile 2020 Proteste soziale Ungleichheit
„Unabhängig von Kontext oder Land berichten Partnerorganisationen davon, dass sich junge Menschen in besonderem Maß von dem berühren lassen, was sie in ihrem direkten Umfeld als ungerecht oder als Notlage wahrnehmen oder was sie direkt betrifft.“ © Sebastian Navarro / Unsplash

Junge Menschen unter Druck?

Gehen junge Menschen eventuell geringere Risiken ein, wenn sie heikle Themen ansprechen? Was wird von jungen Menschen thematisiert und mit welchen Reaktionen werden sie konfrontiert? Das habe ich Partnerorganisationen in Asien und Lateinamerika gefragt, die mit jungen Menschen arbeiten: Unabhängig von Kontext oder Land berichten Partnerorganisationen davon, dass sich junge Menschen in besonderem Maß von dem berühren lassen, was sie in ihrem direkten Umfeld als ungerecht oder als Notlage wahrnehmen oder was sie direkt betrifft. Initiativen und Projekte, von Jugendlichen auf die Beine gestellt, sind dabei oft zunächst nicht politisch, zum Beispiel wenn Jugendclubs in der Corona-Krise in Indien Nahrungsmittelhilfen organisieren und verteilen.

Kreativität und die Frage nach Ursachen für Missstände

In vielen Fällen ist jedoch Aufklärung der Öffentlichkeit über Anliegen, die ihnen am Herzen liegen, ein wichtiger Aspekt ihres Engagements. Auffällig ist dabei die Kreativität in der Nutzung unterschiedlichster analoger und digitaler Kanäle und Formate, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Schnell verbindet sich mit konkretem Engagement aber die Frage nach den Ursachen für Missstände und das Hinterfragen gesellschaftlicher oder politischer Zustände. Genau dann beginnen in vielen Ländern Repressalien, denen auch junge Menschen ausgesetzt sind. Wenn beispielsweise Schüler*innen und Student*innen der Bad-Students-Bewegung in Thailand das autoritäre Bildungssystem hinterfragen, wird das noch toleriert. Wenn sie aber dieses Hinterfragen mit Kritik am autoritären Führungsstil ihrer Regierung verbinden und öffentlich protestieren, dann nimmt der Druck schnell zu.

Thailand Proteste 2020 soziale Medien
Die Aufklärung der Öffentlichkeit ist ein wichtiger Aspekt des Engagements; auffällig ist dabei die Kreativität der jungen Menschen in der Nutzung unterschiedlichster analoger und digitaler Kanäle und Formate, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. © Studio Incendo / wikimedia commons (CC BY-SA 4.0)

Umkämpfte politische Räume

Das Beispiel der Bad-Students-Bewegung weist darauf hin, dass Schulen und Universitäten wichtige Räume für zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen sind. Aber gerade diese Räume sind umkämpft. Aus Indien beispielsweise berichten Partnerorganisationen, wie unter der aktuellen Regierung Universitäten gezielt von radikalen hinduistischen Gruppierungen unterwandert wurden – und das mit staatlicher Unterstützung. Gleichzeitig werden liberale Studierende, die Veranstaltungen organisieren, diskreditiert und sogar des Aufruhrs und der Volksverhetzung beschuldigt, angeklagt und verhaftet.

Der lange Arm der Repression

Bei lokalen Anliegen kommt der Druck auf die jungen Menschen oft nicht von staatlicher Seite, sondern von lokalen Interessensgruppen. Zudem ist sowohl bei ihrem Engagement für lokale als auch für nationale Anliegen zu beobachten, dass Druck häufig indirekt über die Eltern ausgeübt wird. Das berichten Partnerorganisationen aus verschiedenen Ländern. Die Eltern bekommen dann zum Beispiel Besuch von Polizeikräften, die Fragen stellen, Daten erheben, Bilder machen oder strafrechtliche Schritte gegen die Kinder androhen. Sie werden unmissverständlich aufgefordert, ihre Kinder zu „beschützen“, indem sie sie von ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement abbringen. Ebenso werden den Eltern negative Konsequenzen für ihre berufliche Karriere oder gesellschaftliche Stellung angedroht. In der Folge üben Eltern dann den gewünschten Druck auf ihre Kinder aus.

Grundrechte bleiben vielen Menschen verwehrt

Sich mit friedlichen Mitteln zu engagieren, seine Meinung zu sagen und sich mit anderen zusammenzuschließen, das sind Menschenrechte, die vielen Menschen aber verwehrt bleiben. Aktuell leben etwa ein Viertel der Menschen weltweit in Staaten, in denen freie Meinungsäußerung und ein eigenständiges Engagement ohne Gefahr für Leib und Leben nicht möglich sind. Weitere 43 Prozent leben in Staaten, in denen diese Rechte zumindest sehr stark eingeschränkt sind. Das heißt selbstverständlich nicht, dass sich dort niemand engagieren und äußern kann. Ob das gefahrfrei möglich ist, hängt aber davon ab, ob Positionen vertreten und Aktivitäten durchgeführt werden, die der jeweiligen Regierung genehm sind.

Kolumbien Demonstrationen 2021 mehr Demokratie
Auch in Kolumbien unterstützt MISEREOR Partnerorganisationen, die leider auch immer wieder von Einschränkungen und Bedrohungen betroffen sind; besonders gefährdet sind dabei Menschen, die sich für Land-, Umwelt- und indigene Rechte einsetzen. © Ricardo Arce / Unsplash

Menschen stärken, Handlungsräume schützen

Für ein friedliches zivilgesellschaftliches Engagement auf Basis der Allgemeinen Menschenrechte muss es ein Umfeld geben, das die Entfaltung von Selbstbewusstsein ermöglicht. Formale Bildung und Allgemeinbildung sind dabei besonders wichtig und sind entsprechend auch ein wichtiger Bestandteil vieler Projekte von MISEREOR-Partnerorganisationen. Die eigenen Rechte und die Rechte anderer zu kennen, ist mindestens ebenso zentral. Deshalb weisen unsere Partnerorganisationen stets darauf hin, wie wichtig Aufklärung und Information sind. Bei der Arbeit mit Jugendlichen zeigt sich – nicht nur, aber in besonderem Maße –, dass dies am besten funktioniert, wenn relevante Informationen von Jugendlichen an Jugendliche vermittelt werden. Dabei kommt aus vielen Ländern der Hinweis, dass es auch heute noch häufig an Kommunikationsmitteln fehlt, die junge Menschen benötigen um sich einbringen und gesellschaftlich teilhaben zu können. Diejenigen jungen Menschen, die unter Druck geraten, sagen, dass sie den größten Halt in Gruppen und Verbänden von jungen Menschen finden. Daher ist es wichtig, Selbstorganisation und Vernetzung weiter zu unterstützen. Und dort, wo es zu Einschränkungen kommt, müssen diese dokumentiert und öffentlich gemacht werden.

Jugend ist Hoffnung

In einem Gespräch, das ich kürzlich mit der philippinischen Menschenrechtsaktivistin Rose Trajano führen konnte, hat sie davon berichtet, wie schmerzlich es war, in den letzten Jahren die zunehmende Verletzlichkeit der Demokratie in ihrem Heimatland hautnah erleben zu müssen. Sie hat aber auch von ihrer Hoffnung berichtet, dass die dynamische und starke Zivilgesellschaft in den Philippinen es nicht zulassen wird, dass das Land vollständig autoritär regiert wird. Auf den Philippinen und weltweit sind Jugendliche eine wichtige Stütze der Zivilgesellschaft: mit ihrer Kreativität, ihrem Zugang zu vielfältigen Medien – digital und analog – und nicht zuletzt mit ihrer besonderen Fähigkeit, sich von Ungerechtigkeiten berühren zu lassen, davon zu reden und entsprechend zu handeln, wo andere wahrscheinlich (zu) lange abwägen würden. Es ist dieser wichtige Bestandteil der Zivilgesellschaften weltweit, in den nicht nur Rose Trajano ihre Hoffnungen setzt.

Geschrieben von:

Elmar Noe

Elmar Noé arbeitet als Referent für zivilgesellschaftlichen Handlungsraum bei Misereor.

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