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„Die Gewalt gegen Frauen steigt“

Arizete Miranda Dinelly aus Brasilien verschafft Frauenrechten mehr Aufmerksamkeit.

Bei der Amazonien-Synode ging es auch um die Rolle von Frauen bei der sozialökologischen Transformation. ©Agenzia Romano Siciliani

Wie wird in Brasilien über die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gesprochen?

Arizete Miranda Dinelly: Besonders die häusliche Gewalt gegen Frauen hat in Brasilien wieder zugenommen. Im Rahmen der Pandemie ist auch die Anzahl von Frauen, die ermordet wurden, also der Femizid, stark gewachsen. Das beschäftigt uns. Ich beobachte, dass sich viele Frauen, die für ihre Rechte eintreten, bedroht fühlen. Und die wenigsten Männer stehen ihnen als Partner zur Seite.

Welche Rolle spielt die katholische Kirche in diesem System?

Arizete Miranda Dinelly: Früher war die katholische Kirche tatsächlich eine Unterstützung, was Aufklärung über Ungleichheit und Gleichberechtigung betrifft. In den letzten Jahren hat das leider nachgelassen. Besonders die kleinen christlichen Basisgemeinden aus Amazonien haben früher bis in die 1990er Jahre stark zur politischen und gesellschaftlichen Bildung beigetragen. Das muss wieder mehr werden.

Wie haben Sie selbst Kirche erlebt?

Arizete Miranda Dinelly: Ich kann hier natürlich nur von meiner Erfahrung als indigene Frau aus dem Landesinneren berichten. Ich bin in einer Gemeinde groß geworden, in der uns die Älteren ihre traditionell-indigene Religiosität gelehrt und gezeigt haben. Als ich später in die Stadt zog, habe ich bemerkt, dass in meiner überwiegend indigenen Gemeinde der Glauben anders gelebt wurde als in der offiziellen Amtskirche. Unter anderem auch deshalb habe ich mich in der Stadt einer Ordensgemeinschaft angeschlossen, die sehr offen ist und neue, mutige Wege geht.

Wie ist Ihr Blick auf die Ungleichheit in der Kirche?

Arizete Miranda Dinelly: Es gibt innerhalb der Kirche ein systemisches, strukturelles Problem. Das fängt schon an der Basis an. Der Papst hat bisher kaum über die religiöse Bildung und Ausbildung von Mädchen und Frauen gesprochen, sondern immer nur über die von Jungen und Männern. Um die wiederum zeigt er sich sehr besorgt und bekümmert. Es müssen aber alle ausgebildet werden, und die Aufklärung über die Gleichwertigkeit von Mann und Frau gehört dazu.

In den indigenen Gemeinden in Brasilien wird der Glauben anders gelebt als in der offiziellen Amtskirche. ©Kopp/MISEREOR

Inwiefern trägt Ihre sogenannte Wanderequipe, die von Gemeinde zu Gemeinde geht, dazu bei, das zu ändern?

Arizete Miranda Dinelly: Wir sind eine Gruppe von Frauen und Männern, die wiederum in kleine Gruppen unterteilt ist. Diese gehen in die katholischen Institute, Gemeinden und theologischen Fakultäten und sprechen mit den Menschen über Geschlechtergerechtigkeit und Religion. Sie klären über die Probleme der Ungleichheit auf und fragen gleichzeitig: Was ist euch wichtig? Wie wollt ihr Kirche leben? Was wünscht ihr euch von der Kirche und eurem Glauben?

Und das ändert etwas an den Verhältnissen?

Arizete Miranda Dinelly: Es ist nicht einfach, bei den Menschen etwas zu bewirken. Wir dürfen auch nicht unterschätzen, wie tief das traditionelle Rollenverständnis in den Köpfen der Menschen sitzt. Obwohl ich ausschließlich von Frauen großgezogen wurde, habe ich früh begriffen, dass Männer in der Gesellschaft das Sagen haben. Ich erinnere mich selbst immer wieder daran, dass diese ungleiche Machtverteilung nicht gottgegeben ist. Wir müssen dieses ungleiche Gesellschaftssystem umgestalten.

Arizete Miranda Dinelly (r.) brachte die Situation von Frauen in Brasilien in die Debatten der Synode mit ein. ©Guilherme Cavalli/ CIMI

In Deutschland geht die katholische Frauenbewegung „Maria 2.0“ auf die Straße und fordert Anerkennung. Wer macht in Brasilien den Mund auf?

Arizete Miranda Dinelly: Bei uns gibt es in fast jeder Gemeinde eine Frauengruppe, so zum Beispiel „Maria ohne Scham“ in Manaus. Die feministischen Gruppen setzen sich für die Stärkung von Frauen in Kirche und Gesellschaft ein und leisten praktische Arbeit. Sie kümmern sich zum Beispiel um Opfer von Gewalt oder Menschenhandel und treten für sie ein. Es gibt auch sehr viele Kinder, die missbraucht worden sind, sogar innerhalb der eigenen Familie. Derer nehmen wir uns an und leisten Unterstützung in vielerlei Hinsicht. Dann gibt es in unserer Schule eine Capoeira-Gruppe, die viele Kinder aufnimmt und betreut, die sonst vielleicht in die Drogenszene abrutschen würden. Wir unterstützen Lehrkräfte, mit solchen Fällen umzugehen und die Kinder angemessen zu begleiten. Wir gehen auf die Straße, es gibt viele Künstlerinnen, die mit sehr großer Symbolkraft diese Themen anprangern.

Was ist der nächste Schritt?

Arizete Miranda Dinelly: Wie gesagt: Die Gewalt gegen Frauen steigt und deshalb ist dies ein Thema in vielen Frauengruppen. Das Problem wird in vielen Fachausschüssen behandelt und es gibt immer wieder Kampagnen, in denen auch die Namen der weiblichen Opfer genannt werden. Auch wenn es noch zu selten geschieht, es ist mutig und neu. Das Thema gewinnt dadurch stärkere öffentliche Aufmerksamkeit. Fest steht: Die nächsten Schritte müssen groß sein. Dabei geht es nicht ausschließlich ums Tun, es geht auch ums Zuhören. Frauen muss viel mehr zugehört werden.


Arizete Miranda Dinelly bezeichnet sich selbst als Priesterin und wuchs traditionell in einer indigenen Familie auf. Sie ist Ordensfrau. Dinelly engagiert sich unter anderem stark im kirchlichen panamazonischen Netzwerk REPAM (Rede Eclesial Panamazônica), welches 2019 federführend an der Amazonien-Synode beteiligt war. Die Veranstaltung im Vatikan stand unter dem Thema „Amazonien: Neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie“.


Dieser Artikel erschien zuerst im MISEREOR-Magazin „frings.“ Das ganze Magazin können Sie hier kostenfrei bestellen >

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Ina Thomas ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Misereor.

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