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Bollywood und das Menstruationstabu

Positive Veränderungen im täglichen Leben von Frauen werden manchmal dort gefördert, wo es nicht erwartet wird. Indische Filme erreichen Massen und können dazu beitragen, das Denken über Toiletten und Periodentabus zu verändern.

Erregt Aufmerksamkeit am „Menstrual Hygiene Day“ in Guwahati: Ein Wandgemälde zur Menstruationshygiene. ©David Talukdar/AFP

Jaya schneidet ein rotes Band durch. Klatschen setzt ein, und die Freude könnte nicht größer sein, denn dahinter befindet sich ein Toilettenhäuschen in ihrem Hof. Der Weg bis dahin war nicht einfach. Die indische Braut ging bis vor Gericht und war bereit, sich scheiden zu lassen. Doch in letzter Minute konnte die Ehe gerettet werden und Jaya bekam, was sie forderte: eine Toilette.

Das ist die Schlussszene aus dem Bollywood-Film „Toilette – ein Liebesfilm“. Inspiriert ist er von Anita Narre, die 2012 ihren Mann nach der Hochzeit verließ, da er ihr keine Toilette bieten konnte. In indischen Dörfern ist es manchmal noch üblich, dass Frauen vor Sonnenaufgang aufstehen, um ihren Toilettengang in der Natur zu verrichten. Das akzeptierte Narre nicht und hatte wie Jaya (Bhumi Pednekar) im Film Erfolg mit ihrer Forderung. In „Toilette“ muss ihr Mann Keshav (Akshay Kumar) erst einsehen, dass eine Toilette notwendig ist, und dann seinen abergläubischen Vater überreden.

Spätestens nachdem Narres mutiger Schritt 2017 verfilmt wurde, ist das Thema öffentlicher Stuhlgang im Mainstream angekommen. Der Hindi-Film nahm sich erstmals solcher Probleme an. Dafür gibt es weniger Romantik oder Songeinlagen, aber mehr Humor, der zeigt, wie schwierig es in dieser religiös geprägten Gesellschaft ist, Veränderung einzubringen. (Denn für den Schwiegervater ist ein Klo schmutzig. Somit gehört das stille Örtchen möglichst weit weg vom Haus.) Vielleicht wurde der Film deshalb zu so einem Riesenerfolg und spielte 300 Millionen US-Dollar ein. Gedreht wurde er zudem in einer Zeit, in der Hygiene in Indien auf die öffentliche Agenda gesetzt wurde.

Zu Hause eine eigene Toilette zu haben, ist aber weiterhin keine Selbstverständlichkeit. In Indien wurde gar gespottet, es gäbe mehr Tempel als Toiletten. Das sollte sich allerdings 2014 ändern, als Premierminister Narendra Modi den Toilettenbau mit der landesweiten Kampagne „Sauberes Indien“ zur Chefsache machte. Sie dauerte fünf Jahre und gilt als größtes Sanitärprogramm der Welt. Im Zuge dessen waren einige Superstars in Aktion zu sehen, darunter der Bollywood-Schauspieler Akshay Kumar, der Anti-Held in „Toilette“ oder die Schauspielerin Shilpa Shetty.

Ob Toiletten- oder Menstruationshygiene, Filme zu Problemen aus dem indischen Alltag sind Kassenschlager.

Der biografische Film „Pad Man“ aus dem Jahr 2018, ebenfalls mit Akshay Kumar in der Hauptrolle, präsentiert ein weiteres Beispiel. Er basiert auf dem Leben des Südinders Arunachalam Muruganantham. Vor gut zehn Jahren hat er die Menstruationshygiene Tausender Frauen auf dem Land revolutioniert, indem er eine Maschine zur Herstellung günstiger Damenbinden erfand. Eine Packung Binden, selbst die preiswerteste, kostet im Durchschnitt 50 Cent und ist damit für viele Mädchen in Indien unerschwinglich. Wie sein Vorgänger „Toilette“ kam der Film gut an, obwohl er mit 29 Millionen US-Dollar eine geringere Summe einbrachte. Doch er trug die Botschaft von „Pad Man” in die Welt. Das Problem bei Periodenprodukten besteht nicht nur beim Zugang, sondern auch beim Wissen. „Es ist entscheidend, die Einstellung der Männer zu ändern, denn sie erlauben den Frauen nicht, wie im Film, auf die Toilette zu gehen“, sagt Radhika Apte, weiblicher Co-Star von Pad Man, dem Sender NDTV. Apte hofft, mit dem Film für mehr Bewusstsein zu sorgen.

Auch wenn sich einige Filme mit dem Feld beschäftigten, bleibt es schwierig, sagt die Sozialarbeiterin Priyanka Kamble aus Mumbai. „In der Gesellschaft gibt es immer noch Angst und Scham, über solche Themen zu sprechen.“ Ein einfaches Beispiel sei, dass Damenbinden in der Drogerie in Papier gewickelt werden, damit niemand sieht, was über die Ladentheke geht. Im Supermarkt werden die Binden-Päckchen schon fast versteckt, so Kamble. Die Erfahrung spricht, dass es selbst in der Millionenmetropole Mumbai noch viel aufzuklären gibt.

Das Tabu geht so weit, dass Frauen bei großen Festen teilweise geraten wird, Hormone zu nehmen, um ihre Periode hinauszuzögern. Das ermöglicht ein leicht erhältliches Medikament. Bei ihrer Aufklärungsarbeit gegen solche Praktiken setzt Kamble auch auf Filme, dann aber – im Gegensatz zu anderen Organisationen – lieber auf kürzere Formate. Bollywood-Filme sind schlichtweg zu lang, um sie bei der normalen Arbeit zu zeigen, sagt Kamble, was sie nicht uninteressant für Familien-Abende macht, wenn sich der Zugang ermöglichen lässt.

Eine nepalesische Frau bereitet ihr Nachtlager während ihrer Periode in einer sogenannten Menstruationshütte vor. ©Prakash Mathema/AFP

Kürzlich nahm sich ebenfalls Avinash Shejwal des Themas Monatsblutung mit seinem Debüt-Kurzfilm „Kurmaghar“ an. Kurmaghar sind die berüchtigten Menstruationshütten, in die Frauen teilweise im ländlichen Nepal und Indien während ihrer Periode geschickt werden. Die einfachen Hütten entsprechen nicht den hygienischen Standards, die Frauen brauchen. Manchmal wird auch ein Kuhstall umfunktioniert. Den Frauen drohen so gefährliche Schlangenbisse. „Das Badezimmer besteht dort aus alten Saris (Wickelkleidern) oder Holzbrettern“, erklärt Shejwal.

Der 26-Jährige will mit seinem Film das Stigma Menstruation angehen: Kurmaghar dreht sich um eine 14-Jährige, die noch keine Ahnung von ihrer Periode hat, und was ihr damit bevorsteht. Shejwal stellte ihn nach der Premiere kostenfrei auf You-Tube. So hofft er, wird die psychische Belastung, die diese veraltete Praxis für junge Frauen bedeutet, sichtbar.

„Als aufgeklärter Mann weiß ich, dass wir über die Praxis der Menstruationshütten sprechen müssen“, sagt er. Sein Medium dafür ist der Kurzfilm, der eine „enormen Wirkung“ habe. Bisher hat er noch wenige Klicks auf YouTube, doch er hofft, dass sich das bald ändert. Die Organisation Sparsh (Gesellschaft zur Förderung des ländlichen Raums und des Gesundheitswesens) aus dem zentralindischen Keshavsut (in Maharashtra) nutzt seinen Film bereits.

Wie „Kurmaghar“ sind nicht wenige indische Filme, die sich über Toiletten oder Menstruation finden lassen, unter Regie von Männern entstanden. Anders ist das bei der Netflix-Serie Bombay Begums von Alankrita Shrivastava. Sie handelt von den wahren „Königinnen Mumbais“. Die Serie über fünf Frauen thematisiert Monatsblutung bis Menopause: Die junge Begum Shai Irani (Aadhya Anand) plagt das Gefühl, keine „richtig Frau“ zu sein, da sie noch nicht menstruiert. Ihre Stiefmutter Rani alias Pooja Bhatt hat Angst, keine „richtige Frau“ mehr zu sein, da sie ihre Periode mit Einsetzen der Menopause nicht mehr haben wird. Wenn Stars Tabuthemen aufgreifen, hat das einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft von Bollywood bis Netflix, sagt Anjana Singh, Initiatorin der Indo-German Filmweek, die sich mit der Serie auseinandergesetzt hat.

Was das Menstruationstabu bedeuten kann, weiß Aditi Gupta. Die Designerin hat als Mädchen selbst darunter gelitten, während der monatlichen Blutung „unrein“ zu sein: Besuche in Hindu-Tempeln waren ihr während der Periode nicht erlaubt. Viele Mythen über Unreinheit lassen sich noch bis heute finden, so Gupta. Sie nutzte wie Hunderttausende Frauen Stoffreste, da sie sich nicht traute, Binden zu kaufen, selbst wenn sie es sich hätte leisten können. „Das beeinträchtigte mein Selbstbewusstsein und meine Ausbildung“, sagt die 36-jährige Mutter.

Erst viel später wurde ihr klar, dass sie, wie Millionen von Mädchen, die jährlich in Indien in die Pubertät kommen, ohne Grund eine Tortur durchmachte. Und das, weil Menstruation ein Tabu ist und Toiletten fehlen. Über Regelschmerzen sprechen wir gar nicht. Das Leiden wird als weibliche Tugend gesehen“, so Gupta. Für ihren Aufklärungscomic
Menstrupedia befragte sie deshalb Frauen genau zu diesem Thema – und wurde damals als „schamlos“ bezeichnet.

An der Schule für unterprivilegierte Kinder in Guwahati stellen Studentinnen wiederverwendbare Binden her. ©David Talukdar//NurPhoto

Das ist heute anders und Gupta sieht, wie sich Filme dem Tabu nähern. Darunter ist der südindische Streifen „The Great Indian Kitchen“, der kritisch beleuchtet, was Frauen alles für ihre Familien opfern. „Gleichzeitig kommentiert er das Thema Geschlecht, über das nicht viel gesprochen wird“, so Gupta. Dass sich noch nicht genügend beim Tabu Menstruation ändere, läge auch an den Frauen, wie der Film aufzeigt. Die Tänzerin (gespielt von Nimisha Sajayan), die sich in einer arrangierten Ehe mit einem Lehrer wiederfindet, versucht, ihrem Mann alles recht zu machen. Doch als er fällt, möchte er nicht, dass sie ihn berührt, da sie ihre Tage hat.

Die 21-jährige Babita Rajput aus dem zentralindischen Madhya Pradesh hat nur wenige Möglichkeiten, ins Kino zu gehen. Sie hat seit der Pandemie ein Smartphone, um den Unterricht nicht zu verpassen, aber nicht genügend Datenvolumen, um Filme zu streamen. Daher hat sie noch keinen der oben genannten Titel gesehen. Aber sie hat von einer Frau aus Rajasthan gehört, die sich von ihrem Mann scheiden ließ, weil er ihr nach sieben Jahren Ehe keine Toilette zur Verfügung stellte.

Das war ein großer Schritt, bemerkt Rajput. „Es kann sich nur etwas ändern, wenn wir darüber sprechen“, ergänzt sie. Während der Periode in einen Tempel zu gehen, ist Frauen immer noch nicht erlaubt, fährt sie fort. Aber das Thema Menstruation normalisiere sich. Sie ist nun nicht mehr die Einzige, die Damenbinden in ihrem Dorf benutzt. Das Problem sei zwar nicht gelöst, aber die Diskussion hat begonnen. Und auch im Film „Toilette – ein Liebesfilm“ gibt es ein glückliches Ende: Die Männer und die Regierung kommen überein, die Frauen zu unterstützen, und die Toilette wird gebaut.

Text von Natalie Mayroth


Dieser Artikel erschien zuerst im MISEREOR-Magazin „frings.“ Das ganze Magazin können Sie hier kostenfrei bestellen >

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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