Die Welt im Jahr 2030: Kein Mensch muss mehr Hunger leiden. Frauen und Mädchen weltweit erfahren Gleichstellung und können selbstbestimmt leben. Das sind zwei der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), auf die sich die Weltgemeinschaft im Jahr 2015 geeinigt hat. Sie sind eng miteinander verknüpft und liegen beide aktuell in weiter Ferne.
Wenn wir als Weltgemeinschaft dem Ziel „Zero Hunger“ (Null-Hunger-Ziel) näherkommen wollen, müssen wir weltweit Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern identifizieren und patriarchale Strukturen überwinden. Die Rechte von Frauen müssen anerkannt und geschützt, ihre Teilhabe ermöglicht werden. Frauen kämpfen vielerorts für Ernährungssouveränität. Um Hunger zu beenden, muss insbesondere ihr Beitrag im globalen Ernährungssystem anerkannt, gerecht entlohnt und politisch unterstützt werden. Auch die deutsche Entwicklungspolitik sollte gezielte Maßnahmen und Programme auf- und umsetzen, die Frauen und Mädchen stärken, strukturelle Benachteiligung beenden und Geschlechtergerechtigkeit im Ernährungssystem fördern.
Die Rolle von Frauen im Ernährungssystem stärken
Ob in der Landwirtschaft, der Lebensmittelverarbeitung, dem Verkauf oder bei der Zubereitung von Nahrung: Frauen leisten einen großen Teil der Arbeit, bleiben aber häufig unsichtbar. Sie sind von politischen Entscheidungen und Verhandlungen oft ausgeschlossen – auch bei solchen zu ihren eigenen Belangen – und ihre Möglichkeiten werden oft beschränkt.
- Es gilt, Transparenz und Sichtbarkeit für geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu schaffen. Die Bundesregierung sollte Ressourcen zur Verfügung stellen, um die Datenlage zu Frauen im Ernährungssystem zu verbessern.
- Politische Programme und Projekte sollten den Zugang von Frauen zu Land, natürlichen Ressourcen, Bildung und Beratung sowie Krediten und Märkten fördern. Sie sollten Frauenorganisationen und -netzwerke stärken und in politische Entscheidungen einbeziehen.
Frauen in Krisen besonders schützen
Krisensituationen verschärfen die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Zudem steigt das Risiko von sexualisierter, geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt durch krisenbedingten sozialen und wirtschaftlichen Stress. Auf der Flucht sind Frauen und Mädchen besonders gefährdet. All das wirkt sich negativ auf die Ernährungssicherheit in den jeweiligen Lebensumständen aus.
- Nationale Regierungen und internationale Organisationen sollten die Situation von Frauen und Mädchen in Krisenzeiten besonders in den Blick nehmen. Sie sollten erfassen, wie genau Frauen und Mädchen betroffen sind, und Maßnahmen ergreifen, die sie entsprechend stärken und schützen.
Eine feministische Agrarökologie fördern
Das vorherrschende Ernährungssystem verschärft die Hungersituation und gefährdet die Lebensgrundlagen. Agrarökologie hingegen fördert ökologisches Wirtschaften und zielt auf gerechte gesellschaftliche Verhältnisse ab. Die Diversifizierung von Produktion und Einkommen sowie horizontale Formen der Wissensweitergabe – besonders auch in Frauengruppen – ermöglichen eine neue Rollenverteilung und Sichtbarkeit für Frauen in der Landwirtschaft und Vermarktung. Die Erzeugung vielfältiger und gesunder Lebensmittel verbessert die Ernährung von Frauen und Mädchen.
- Die Bundesregierung sollte spezifische Programme für Frauen und Agrarökologie auflegen. Diese sollten zum Beispiel die Vergabe von Krediten, die Finanzierung agrarökologischer Beratungsprogramme speziell für Frauen und die Unterstützung von Frauenorganisationen in Ländern des Globalen Südens umfassen.
Armut bekämpfen und wirtschaftliche Gleichberechtigung fördern
Frauen sind besonders von Armut betroffen. Ihre Arbeit ist oft unter- oder unbezahlt; in globalen Wertschöpfungsketten werden sie strukturell benachteiligt. Auch ein Grund für Hunger und Mangelernährung.
- Die Rechte von Frauen sollten ein zentraler Pfeiler der deutschen Wirtschaftspolitik sein. Die Bundesregierung sollte sich für ein europäisches Lieferkettengesetz einsetzen – für angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen weltweit.
Diskriminierung von Frauen und Gewalt gegen sie beenden
Geschlechtsspezifische Diskriminierung ist eine der Ursachen dafür, dass Hunger sowie Mangelernährung Frauen und Mädchen häufiger treffen. Wenn sie auch aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe und/oder ländlichen Herkunft Diskriminierung erfahren, werden ihr Recht auf angemessene Nahrung und weitere Rechte besonders häufig verletzt. Bei Landkonflikten gefährdet Gewalt ihre körperliche Unversehrtheit oder gar ihr Leben.
- Die Bundesregierung sollte sich weltweit im Dialog mit nationalen Regierungen für die Umsetzung und den Schutz von Frauenrechten einsetzen. Zum Beispiel sollten bestehende Gesetze und Vorschriften, insbesondere zu Eigentum und Erbschaft, daraufhin überprüft werden, ob sie Frauen benachteiligen.
- Zudem sollte sich die Bundesregierung für die Umsetzung der „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern“ der UN weltweit stark machen und insbesondere die Landrechte von Frauen fördern.
Feministische Entwicklungspolitik umsetzen
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze hat angekündigt, eine feministische Entwicklungspolitik voranzutreiben. Ein vielversprechender Ansatz, den die Bundesregierung nun konsequent umsetzen sollte. Ziel muss sein, patriarchale und postkoloniale Machtverhältnisse umfassend zu verändern. Das betrifft auch globale Lieferketten. Deshalb darf der Ansatz nicht auf das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beschränkt bleiben.
- Das BMZ sollte Frauenorganisationen und soziale Bewegungen im Globalen Süden daran beteiligen, die feministische Entwicklungspolitik konkret zu gestalten.
- Um Wirkung zu entfalten, muss eine feministische Entwicklungspolitik ressortübergreifend stattfinden und insbesondere vom Landwirtschafts-, Wirtschafts- und Finanzministerium aufgegriffen und weitergeführt werden.
Frauen sind in besonderer Weise von Hunger betroffen, aber gleichzeitig auch Schlüsselpersonen, wenn es um die Bekämpfung von Hunger und Fehlernährung geht. Die Misereor-Publikation „Herausforderung Hunger – Jahresheft Welternährung 2022/23“ zeigt: Wer Hunger bekämpfen will, muss Frauen stärken und Gleichberechtigung fördern. Misereor stellt damit einen wichtigen Aspekt des Themas Hunger heraus, zeigt die Herausforderungen einzelner ausgewählter Länder und Kontexte, stellt Lösungsansätze vor und greift das Bestreben der Bundesregierung auf, eine feministische Entwicklungs- und Außenpolitik zu betreiben.
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