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Zweite Generalversammlung der VN-Städteorganisation: Ein Beitrag zu inklusiver internationaler Zusammenarbeit?

Vom 5.-9. Juni 2023 tagte in Kenias Hauptstadt Nairobi zum zweiten Mal die Generalversammlung von UN Habitat, der Organisation der Vereinten Nationen (VN) für nachhaltige Stadt- und Siedlungsentwicklung. Im Jahr 2016 hatte sich die internationale Gemeinschaft im Rahmen der Habitat III Konferenz in Quito, Ecuador, auf den globalen Fahrplan für nachhaltige Stadtentwicklung, die Neue Urbane Agenda, geeinigt. Danach riefen die VN 2018 mit der Generalversammlung die zurzeit wohl wichtigste internationale Politikkonferenz zur Stadtentwicklung ins Leben. Sie ist das zentrale Steuerungsorgan von UN Habitat. Über 3.400 Teilnehmer*innen, darunter fast 90 (stellvertretende) Minister*innen, nahmen vor Ort und über 2.000 weitere online teil.

UN Habitat Exekutivdirektorin Maimunah Mohd Sharif bei einer politischen Stellungnahme am ersten Konferenztag“ © Kai Klause | Misereor
UN Habitat Exekutivdirektorin Maimunah Mohd Sharif bei einer politischen Stellungnahme am ersten Konferenztag“.

Die Funktion der Generalversammlung der VN-Städteorganisation

Die Hintergründe für die Ernennung der Generalversammlung waren folgende:

  1. Der gesellschaftliche Megatrend Urbanisierung.
    Aktuell lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, bis 2050 werden es voraussichtlich über zwei Drittel sein. 90 Prozent des Städtewachstums sind in Asien und Afrika zu erwarten.
  2. Die daraus resultierende Hebelwirkung von Städten für eine nachhaltige Entwicklung – so hängt die Erreichung einer Vielzahl der globalen Entwicklungsziele (SDGs) von der sozial und ökologisch nachhaltigen Stadtgestaltung und lokal-städtischem Handeln ab.
  3. Die dementsprechende Dringlichkeit einer wirksameren internationalen Zusammenarbeit, Finanzierung und Strategiebildung, um die Chancen von Urbanisierung zu nutzen und ihren Herausforderungen zu begegnen.

Auf der ersten Generalversammlung, die im Jahr 2019 ebenfalls in Nairobi, dem Stammsitz von UN Habitat, stattgefunden hatte, war die Funktionsweise der Assembly festgelegt worden. Inhaltliche Debatten spielten eine eher sekundäre Rolle. Kernelemente der sogenannten Rules of Procedure der Assembly bilden deren vierjährige Taktung, die Teilnahme von Regierungsvertreter*innen aller Mitgliedsstaaten der VN (universal governmental membership) und Möglichkeiten der Einflussnahme relevanter nicht-staatliche Interessensträger*innen (stakeholder).

Bei der diesjährigen zweiten Auflage kam inhaltlichen Debatten ein größeres Gewicht zu. Unter der Überschrift „Eine nachhaltige urbane Zukunft durch Multilateralismus: Erreichung der SDGs in Zeiten globaler Krisen“ berieten sich Regierungen und nicht-staatliche Akteure fünf Tage lang in verschiedenen Formaten zu fünf Schwerpunktthemen: Zugang für alle zu angemessenem Wohnraum, städtische Klimaaktion, Erholung von städtischen Krisen, Lokalisierung der SDGs sowie Prosperität und städtische Finanzierung. Darüber hinaus war die Ausgestaltung der internationalen Zusammenarbeit zwischen den staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (als Träger*innen des Multilateralismus‘) Gegenstand intensiver Debatten.

©Eva Dick | Misereor
Bis 2030 werden 3 Milliarden Menschen oder 40% der Weltbevölkerung in unangemessenen Wohnverhältnissen leben“.

Beschlüsse zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, Klimakrise und für sozial-inklusive Städte

Diese Schwerpunkte finden sich auch in den zehn auf der Generalversammlung verabschiedeten Beschlüssen (Resolutionen) wieder. Angesichts der steigenden Anzahl von Menschen, denen das Recht auf angemessenen Wohnraum verwehrt wird, wurde die Bildung einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zur Erarbeitung konkreter Maßnahmen beschlossen; ein besonderer Schwerpunkt soll auf der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit und der Transformation informeller Siedlungen liegen. Andere Beschlüsse befassen sich mit der Verknüpfung zwischen urbaner Regierungsführung und der Klimakrise, Biodiversität oder der Notwendigkeit, technologischen Fortschritt sozial-inklusiv zu gestalten und somit menschliche Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen (people-centered smart cities). Schließlich unterstreichen die Beschlüsse die wichtige Rolle lokaler Akteure bei Umsetzungs-, Planungs- und Berichterstattungsprozessen (Lokalisierung der SDGs).

Stadtentwicklung muss Menschenrechte achten!

Die Misereor-Partnerorganisationen Habitat International Coalition (HIC), Housing and Land Rights Network (HLRN) und Global Platform for the Right to the City (GPR2C) brachten sich aktiv in die Debatten ein und setzten dabei ihre eigenen Akzente. Gemeinsam mit kommunalen, akademischen und zivilgesellschaftlichen Partnern richteten sie zwei von insgesamt etwa 40 Side Events aus – von denen kaum eines unter ausschließlich zivilgesellschaftlicher Federführung bewilligt worden war. Angesichts anhaltender Vertreibungen, die nicht selten im Namen der ‚Stadterneuerung‘ (durch Bau neuer Straßen, Wohngebäude, Infrastruktur) durchgeführt werden, betonten sie die staatliche Verantwortung für die Umsetzung eines menschenrechtebasierten Ansatzes in der Stadtentwicklung. Dieser beinhalte, die Wohn- und Landrechte informeller Siedler*innen zu achten und Siedlungspläne und -politiken unter effektiver (meaningful) Beteiligung der betroffenen Wohnbevölkerung zu erarbeiten (co-production/social production of housing).

In einer Resolution mit anderen nicht-staatlichen Interessensträger*innen, darunter auch Misereor, forderten sie zudem die rasche Einrichtung eines Regelwerkes (Engagement Mechanism) zur Einflussnahme nicht-staatlicher Akteure auf die Generalversammlung. Nach aktueller Planung von UN Habitat soll der Mechanismus erst 2025 und somit fünf Jahre vor der Zielsetzung der SDGs eingesetzt werden – vorausgesetzt, der Exekutivausschuss der UN Organisation hat ihn bis dahin ausgearbeitet. Misereor-Partner HLRN sieht das kritisch: „Wir können nicht länger auf UN Habitat warten, um einen Multi-Stakeholder-Mechanismus zu bekommen“.

Joseph Schechla, Koordinator der Misereor-PO Housing and Land Rights Network, bei einem Input im Side Event zu effektivem Multilateralismus in der Stadtentwicklung © Kai Klause | Misereor
Joseph Schechla, Koordinator der Misereor-PO Housing and Land Rights Network, bei einem Input im Side Event zu effektivem Multilateralismus in der Stadtentwicklung.

Ausblick auf eine inklusive und nachhaltige Stadtentwicklung

Festzuhalten bleibt, dass die Generalversammlung von UN Habitat bereits fünf Jahre nach ihrer Gründung zu einem vielversprechenden Politikforum geworden ist. Die dort diskutierten Themen gehören ohne Zweifel zu den Schlüsselthemen nachhaltiger Stadtentwicklung. Die Relevanz dieses noch sehr jungen Steuerungsorgans dürfte jedoch nicht unwesentlich davon abhängen, wie wirksam sich künftig auch nicht-staatliche Akteure einbringen können. Im Rahmen eines Engagement-Mechanismus wären nicht zuletzt ein erhöhter Anteil von Side Events unter zivilgesellschaftlicher Federführung und reduzierte Teilnahmebarrieren für lokale Nichtregierungsorganisationen zu diskutieren. Diese, darunter auch kenianische Partnerorganisationen von Misereor, hatten in diesem Jahr kaum Zugang oder fanden ihn lediglich über ‚Umwege‘. Denn in Anbetracht des weltweiten Globalisierungstrends und der Hebelwirkung von Städten für nachhaltige Entwicklung ist inklusive internationale Zusammenarbeit entscheidend, um die sozialen und ökologischen Krisen unserer Zeit bewältigen zu können.

Geschrieben von: und

Eva Dick

Eva Dick arbeitet als Referentin für Städtische Entwicklung in der Abteilung Afrika und Naher Osten für Misereor.

Kai Klause, Experte für städtische Transformation bei Misereor

Kai Klause ist Experte für Städtische Transformation bei Misereor.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Dieser Blog ist eine sehr willkommene Entwicklung. Wir freuen uns darauf, aktuelle Themen zu diskutieren und auch neue zur Diskussion in dieser Community anzusprechen. Wie bei dieser Nebenveranstaltung ist es oft gut, sich daran zu erinnern, welche Verpflichtungen wir – und die Staaten – bereits eingegangen sind. Wie Goethe (mindestens) einmal sagte: „Alles Gescheidte ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken.“ Lassen wir uns auf dieser Weisheit aufbauen.

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