Suche
Suche Menü

Einzigartiges Frauen-Empowerment in Osttimor

Kesuma Saddak war über 35 Jahre bei Misereor, bevor sie in diesem Frühjahr in den Ruhestand ging. Als Länderreferentin für Osttimor und Sri Lanka hat sie zahlreiche Misereor-Projekte kennengelernt und betreut. Die Frage nach ihrem Lieblingsprojekt konnte sie daher nicht leichtfertig beantworten. Dennoch ans Herz gewachsen sind ihr besonders frauenfördernde Projekte. Ein Beispiel dafür ist die Organisation FOKUPERS in Osttimor.

Kesuma Saddak möchte auf die Frauenförderungs-Projekte im jungen Inselstaat Osttimor aufmerksam machen. © Misereor
Kesuma Saddak möchte auf die Frauenförderungs-Projekte im jungen Inselstaat Osttimor aufmerksam machen. © Misereor

Frau Saddak, warum sind Ihnen nach all den Jahren frauenfördernde Projekte besonders wichtig?

Mir sind vor allem Frauenförderungsprojekte und Frauen-Empowerment wichtig, weil häusliche Gewalt ein riesiges Problem in Osttimor ist und Frauen eigentlich immer hinten rüber fallen. Die Jugendlichen haben wenig Perspektiven, es gibt wenig Ausbildungsplätze oder überhaupt Arbeitsstellen. Für Frauen ist das alles nochmal potenziert. Wenn jemand eine Ausbildung machen darf, sind es vor allem Männer und keine Frauen. Deshalb fördert Misereor Projekte, die besonders die Situation der Frauen verbessern sollen. Zum einen sind das Projekte mit Skill-Training, also der beruflichen Ausbildung für junge Frauen und Mädchen. Zum anderen fördern wir Projekte zum Schutz von Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren mussten, vor allem während der indonesischen Besatzung in Osttimor. Aber auch nach der Unabhängigkeit des Landes haben viele Frauen sexualisierte Gewalt erfahren, denn in Osttimor ist Züchtigung und Gewalt an Frauen und Kindern gesellschaftlich akzeptiert.

Können Sie eines der Projekte genauer erläutern?

Ich hatte ja schon erwähnt, dass häusliche Gewalt durchaus als disziplinarisches Mittel der Männer gegenüber ihren Ehefrauen und Kindern gesamtgesellschaftlich akzeptiert wird. Manchmal ist es so unerträglich, dass die Frauen aus der Familie raus müssen. Dann können Sie zu der Misereor-Partnerorganisation FOKUPERS gehen, welche mehrere Schutzzentren für Frauen und ihre Kinder haben. Die Schutzhäuser sind abgesichert und werden bewacht. Inzwischen ist FOKUPERS eine der renommiertesten Nichtregierungsorganisationen in Osttimor und ziemlich bekannt. Sie haben ein großes Ansehen sowohl in der Gesellschaft als auch gegenüber dem Staat. FOKUPERS ist so renommiert, dass sie sogar ein staatliches Schutzhaus für die Regierung managen.

Bei den Gruppenberatungen können sich die von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen mit ihren Belangen auseinandersetzen. © Misereor
Bei den Gruppenberatungen können sich die von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen mit ihren Belangen auseinandersetzen. © Misereor

Wie sieht die Arbeit von FOKUPERS vor Ort aus?

Meistens melden sich die Frauen beim Schutzhaus und werden erstmal medizinisch untersucht und unterstützt. Die Frauen werden dort aufgenommen und wenn nötig psychologisch beraten. Die Aufenthaltsdauer variiert und ist vom Fall abhängig, aber meistens bleiben sie mindestens ein Jahr lang dort. Gleichzeitig bemüht sich FOKUPERS den Kontakt zu den Familien herzustellen. Je nach Gewaltsituation redet FOKUPERS mit den Ehemännern und deren Familien darüber, wie ermöglicht werden kann, dass die Frauen wieder in die Familien zurückgeführt werden. Erst wird mit allen beteiligten gesprochen, dann wird geguckt, dass alle Bedingungen erfüllt werden und anschließend wird eine mögliche Rückkehr vorbereitet. Manchmal geht das aber auch nicht.
Außerdem bietet FOKUPERS für die Frauen in den Schutzzentren Skill-Training an, wo die Frauen auch hingehen können, wenn sie möchten.

Welchen Herausforderungen muss sich FOKUPERS stellen?

Wenn ein Gerichtsverfahren läuft, ist es manchmal schwierig, weil die Frauen erstmal im Schutzhaus bleiben müssen und sich so gesehen nicht frei bewegen können. So kommt es zu einer absurden Situation: Die Menschen, von denen die Gewalt ausgeht, können sich frei bewegen, aber die Frauen, die unter der Gewalt leiden, müssen zu ihrem eigenen Schutz im Haus bleiben. Das Personal von FOKUPERS hat mir berichtet, dass die Frauen nur so geschützt werden können. FOKUPERS begleitet die Frauen sogar zu den Gerichtsverfahren. Währenddessen können die Kinder der Frauen im Kindergarten von FOKUPERS bleiben. Ältere Kinder, die schon zur Schule gehen, werden von FOKUPERS zur Schule begleitet. Die Mitarbeitenden von FOKUPERS haben mir auch von der Schwierigkeit berichtet, dass manche Frauen wieder weglaufen. Die Frauen werden seit Jahren verprügelt, aber in dem Moment wo FOKUPERS den betroffenen Frauen helfen möchte, sagen sie, es sei alles in Ordnung, weil sie Drohungen von ihren Ehemännern und Familien bekommen. Auch wenn FOKUPERS das nicht gutheißt, gehen manche Frauen freiwillig wieder zurück in ihr altes Zuhause. Wenn der Druck zu groß ist, gehen sie.

In den Schutzzentren können sich die Frauen untereinander austauschen und stärken. © Misereor
In den Schutzzentren können sich die Frauen untereinander austauschen und stärken. © Misereor

Warum ist FOKUPERS so besonders?

Ich denke die enge Begleitung der Überlebenden macht FOKUPERS so besonders. Wenn die Frauen mit der Zeit wieder Fuß gefasst haben, ihr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl wiederbekommen, sind sie Überlebende. Und ich finde, dass FOKUPERS den Prozess bis zum Schluss sehr sensibel begleitet. Manchmal gibt es ein Happy End, dass die Frauen wirklich wieder in die Familien zurückgeführt werden können. Auch dann, wenn die Frauen wieder zurück sind, versucht FOKUPERS sie weiter zu begleiten und besucht die Familien weiterhin. Sie schauen, ob es den Frauen wirklich gut geht und sind sehr um Nachfolgearbeit bemüht. Das Besondere an FOKUPERS ist auch, dass es keine andere Alternative gibt. Es gibt keine andere Organisation für Frauen in bedrohten Situationen, an die sie sich wenden können. Das macht das Projekt einzigartig. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass Misereor in das Personal und das Projekt investiert. Weil es eben keine anderen Möglichkeiten in Osttimor gibt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Projektes?

Das Personal von FOKUPERS ist ein Stab von etwa 40 Personen, die schon lange dort arbeiten und sehr engagiert sind. Ich denke, das Personal braucht jetzt nochmal einen Schub an Personalweiterbildungen im Bereich Traumabewältigung. Eine Mitarbeiterin sagte mir, dass es manchmal schwer für sie wäre, die Arbeit abzuschütteln. Die ganzen Probleme, die sie von den Frauen hört, kosten sie Kraft nicht misstrauisch gegen Männer zu sein. Wenn man täglich solche Geschichten hört, wird man ein bisschen voreingenommen. Es ist einfach schwierig. Da wünsche ich mir Hilfe und Unterstützung für das Personal. Aber darum kümmern wir uns gerade auch. Innerhalb der Organisation soll es jemanden geben, der auch dem Personal zur Seite steht. Denn das Personal ist wirklich engagiert und richtig gut!


Hintergrund

Die Geschichte Osttimors ist durch Gewalt geprägt und dies nicht nur in den letzten Jahren der indonesischen Militärherrschaft. Bereits in der portugiesischen Kolonialzeit kam es immer wieder zu gewaltsamen Aufständen mit zahlreichen Opfern unter der einheimischen Bevölkerung. Der überstürzte Abzug der Portugiesen im Jahre 1975 führte zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen, die die Invasion durch das indonesische Militär zur Folge hatten. Im Zusammenhang mit dieser Invasion und der nachfolgenden Widerstandstätigkeit verlor etwa ein Drittel der timoresischen Bevölkerung das Leben. Das indonesische Besatzungsregime verfolgte während dieser Zeit zwar in erster Linie die bewaffnete Guerilla, doch wurde hierbei auch die Zivilbevölkerung unterdrückt und verfolgt. Insbesondere waren es Frauen, die Opfer zahlreicher Gewalttaten und gezielter Erniedrigungen wurden. Der Abzug der Indonesier im Jahr 1999 war erneut durch eine Welle der Gewalt begleitet und zog die gesamte Bevölkerung Osttimors in Mitleidenschaft. 2002 hat Osttimor zwar seine Unabhängigkeit erlangt, doch damit ist das Kapitel der Gewalt in der Gesellschaft und in den Familien keineswegs abgeschlossen.


Spendenprojekt: Timor-Leste

Das Leben von Frauen in Timor-Leste ist oftmals geprägt von Unterdrückung, sozialer Ausgrenzung und Abhängigkeit von den männlichen Familienmitgliedern. Doch das nehmen sie nicht länger hin>

Frauen sitzen in einem Kreis auf dem Boden

Mein Lieblingsprojekt

Mein Lieblingsprojekt: Hände machen ein Herz

In der Reihe „Mein Lieblingsprojekt“ stellen Misereor-Mitarbeitende regelmäßig Projekte vor, die ihnen besonders am Herzen liegen und geben so Menschen aus dem Süden ein Gesicht.


Geschrieben von:

Portrait einer Mitarbeiterin

Charleen Kovac ist Presse-Volontärin bei Misereor.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.