Suche
Suche Menü

Migrationspartnerschaft mit Tunesien: kurzsichtig und irreführend

Angesichts rapide steigender Migrationszahlen und einem vermeintlich drohenden „Kontrollverlust“ sollen Migrationsabkommen mit Drittstaaten eine schnelle Lösung bringen. Doch das jüngst geschlossene Abkommen zwischen der EU und Tunesien zeigt, was alles schief läuft in der bisherigen Zusammenarbeit mit Transit- und Herkunftsstaaten. Zukünftige Abkommen müssen daher an strenge Menschenrechtsgarantien und das Einhalten rechtstaatlicher Standards geknüpft werden – ansonsten helfen sie wenig dabei, den Druck auf hiesige Aufnahmekapazitäten zu mindern.

Flüchtlingsboot am Strand
Menschenrechte sind für alle Menschen gemacht und der humanitäre und faire Umgang mit Schutzsuchenden ist keine freiwillige Option. © Canva

Der jüngste Besuch von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin Meloni auf der Insel Lampedusa hat das Thema Migration in all seiner Dinglichkeit zurück auf die politische Tagesordnung gebracht. Innerhalb von nur drei Tagen sind vergangene Woche mehr als 10.000 Migrant*innen über das Mittelmeer nach Lampedusa gekommen. Somit ist die italienische Insel nach 2015 zum zweiten Mal zum Symbol einer gescheiterten Europäischen Migrationspolitik geworden. Damals hatte eine Reihe von Bootsunglücken für Entsetzen und Forderungen nach mehr Solidarität sowie einer Seenotrettungsmission auf dem Mittelmeer gesorgt.

Forderungen nach Rückführungen und Obergrenzen

Heute lauten die Forderungen anders. Zum einen scheint es so, als sei die Krise auf Lampedusa das Produkt machtpolitischen Kalküls der italienischen Regierung. Diese verzichtete bewusst auf einen Ausbau lokaler Aufnahmekapazitäten, um mit dem Bild eines vermeintlichen Kontrollverlusts ihrer Forderung nach rigoroser Abschottung mehr Nachdruck zu verleihen. Zum anderen ist in dem von der EU-Kommission am 17. September vorgestellten 10-Punkte Plan zwar ebenfalls von der Möglichkeit einer Mission im Mittelmeer die Rede – deren Zweck liegt aber weniger in der Seenotrettung als in der Überwachung der tunesischen Küste.

Auch in Deutschland verfängt sich die Diskussion angesichts stark gestiegener Asylantragszahlen in einseitigen Forderungen nach mehr Rückführungen, der Ausweitung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten und einer jährlichen Obergrenze für Asylgesuche. Dass die Zahl der Asylanträge tatsächlich stark gestiegen ist, lässt sich nicht von der Hand weisen: Zwischen Januar und August 2023 wurden allein in Deutschland 66 Prozent mehr Asylanträge als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr gestellt. Die mehr als 1 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine sind dabei nicht mitberechnet.

EU-Tunesien-Abkommen: Kritik an kurzfristiger Migrationspolitik und Unterstützung autoritärer Regierung

Ein Vorschlag, der sich im 10-Punkte Plan der Kommission ebenso wiederfindet wie in der deutschen Debatte, ist die verstärkte Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Migrationskontrolle. Auf EU-Ebene wurde die im Juli beschlossene Absichtserklärung mit Tunesien von Kommissionspräsidentin von der Leyen jüngst als Modell für die Zukunft bezeichnet. Im Rahmen des Abkommens sollen 105 Millionen Euro an Tunesien bereitgestellt werden. Als Gegenleistung verpflichtete sich die tunesische Regierung, sicherzustellen, dass Migranten nicht in Richtung Europa weiterreisen.

Doch eine solche Politik ist kurzsichtig und irreführend. In unserer Studie zur Migrationspartnerschaft mit Tunesien zeigen wir, wie sich die EU und Deutschland seit Jahren bemühen, durch die Kooperation mit Tunesien irreguläre Migrationsbewegungen zu unterbinden. Trotz massiver Investitionen in den Grenzschutz ist dies jedoch nicht gelungen. Bis August 2023 haben bereits 114.000 Menschen die Überfahrt über die zentrale Mittelmeerroute gemacht. Das sind jetzt schon mehr als im gesamten vergangenen Jahr (105.000) und annähernd doppelt so viele wie 2021 (67.700). Dass eine Zusammenarbeit mit der aktuellen Regierung wohl kaum zum Modell für die Zukunft dient, hat die EU kürzlich selbst erfahren müssen. Nachdem sich Mitglieder einer Delegation aus Abgeordneten des Europaparlaments kritisch zum Zustand der tunesischen Demokratie geäußert hatten, wurde ihnen von der Regierung die Einreise versagt. Nachdem Präsident Saied im Februar 2023 in einer öffentlichen Rede gegen Migranten aus Sub-Sahara Afrika gehetzt hat, werden Geflüchtete zudem immer wieder zum Opfer polizeilicher Gewalt. Berichte, dass Migranten in der Wüste ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen wurden mehren sich. Zudem wird auch der Spielraum von Akteuren aus der demokratischen Zivilgesellschaft massiv beschnitten.

Umdenken gefordert: Menschenrechte und Zugangswege in den Fokus

Vor diesem Hintergrund ist ein Umdenken in der Zusammenarbeit mit Tunesien unabdingbar. Gemeinsam mit Brot für die Welt fordern wir ein Ende der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit der tunesischen Regierung, so lange dadurch das Risiko von Menschenrechtsverstößen gegen Migranten und Geflüchtete fortbesteht. Die EU und Deutschland müssen sich dafür einsetzen, dass Geflüchtete in Tunesien ihren Anspruch auf rechtlichen, sozialen und materialen Schutz geltend machen können. Eine zukünftige Zusammenarbeit muss von daher an strenge Menschenrechtsgarantien und das Einhalten rechtstaatlicher Standards geknüpft werden. Um diese regelmäßig überprüfen zu können, sollten die Zusammenarbeit und Unterstützung der demokratischen Zivilgesellschaft im Land ausgebaut werden. Ein bedeutsamer Ausbau sicherer Zugangswege nach Europa ist hier notwendig, sei es in Form von dauerhafter Umsiedlung besonders Schutzbedürftiger oder durch faire und entwicklungspolitisch nachhaltige Regelungen zur Erwerbsmigration.

Mit dem jüngsten Abkommen verkennt die EU einmal mehr die Konsequenzen ihres Handelns. Denn durch die diplomatische und finanzielle Aufwartung legitimiert sie den autoritären Regierungsstil der tunesischen Regierung. Gleichzeitig schwächt sie damit auch die eigene Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit auf internationalem Parkett. Kaum ein anderer Staat wird sich von der EU in Zukunft sagen lassen, er solle rechtliche Standards zum Schutz von Geflüchteten aufrechthalten, wenn Europa die eigenen Werte so leichtfertig außer Acht lässt. Das gilt für die Zusammenarbeit mit Partnerländern, ebenso wie für den politischen Diskurs im eigenen Land.


Tunisia - Europe's Gatekeeper? Country Briefs on EU Migration Partnerships with Third Countries Herausgeber: Misereor & Brot für die Welt,

In der gemeinsam mit Brot für die Welt veröffentlichten Studie zur Migrationspartnerschaft mit Tunesien zeigen wir auf, welche Folgen die Externalisierungspolitik der EU auf das Migrationsgeschehen vor Ort hat. Wir fordern ein Umdenken in der Zusammenarbeit zwischen der EU und Tunesien zum Thema Migration. Studie downloaden (.pdf) >


Geschrieben von:

Lucas Rasche - Experte für Flucht und Migration @Misereor

Lucas Rasche ist Experte für Flucht und Migration bei Misereor.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.