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 „Es ist nie zu spät, einen Traum zu verwirklichen“

Abilia Ramos. Lima, Peru. Vorsitzende des Netzwerks der Volksküchen und Sozialarbeiterin der Misereor-Partnerorganisation Cenca. Sie setzt sich für Frauen ein, die ehrenamtliche Gemeinschaftsküchen, sogenannte Ollas Comunes, für ihre und andere bedürftige Familien unterhalten.

Abilia Ramos aus Peru © Pohl | Misereor
Abilia Ramos aus Peru © Pohl | Misereor

Das sind meine Wurzeln

Ich stamme aus Bergdorf der Andenregion Pasco, da wo die Hochanden bereits in Richtung Amazonas abfallen. Meine Eltern bebauen dort immer noch ein Stück Land. Es ist eine herrliche, fruchtbare Gegend und ich habe dort viel gelernt. Aber ich habe auch viel Machismus erlebt als Kind. Oft durften nur die Jungs studieren, die Mädchen nicht. Das ist der Grund, warum ich mit 17 allein nach Lima ging. Doch meine Familie und meine Wurzeln vergesse ich nie. Ab und zu besuche ich mein Heimatdorf, aber lieber ist es mir, wenn mich meine Mutter in Lima besuchen kommt. Dann kann ich sie ein wenig verwöhnen.

Das verleiht mir Flügel

Die Frauen und besonders die Träume von uns Frauen. In den Gemeinschaftsküchen teilen wir nicht nur Essen oder eine Geburtstagstorte, sondern auch unsere Träume. Es ist nie zu spät, einen Traum zu verwirklichen. Wir alle verließen unsere Dörfer in den Anden, um in Lima Arbeit zu suchen. Viele von uns durften nicht mal die Grundschule beenden. Einige haben Kinder, die aus einer Vergewaltigung entstanden. So viele zerbrochene Lebensträume. Und doch ist es nie zu spät. Viele von uns lernen jetzt noch einen Beruf oder ein Handwerk. Wir sammeln Geld, damit sich eine von uns eine Nähmaschine kaufen oder die Berufsschule besuchen kann. Einzeln können wir nichts erreichen, aber gemeinsam sehr wohl. Wir haben hier viele Frauen mit Führungstalent.

Dafür setze ich mich ein

Ich setze mich für alle Menschen ein, alte und junge. Das tue ich, seit ich mich erinnere und werde dies bis ans Ende meiner Tage tun. Aber ganz besonders setze ich mich für uns Frauen ein. Alle Frauen sollen die Freiheit haben, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Sagen zu dürfen: das ist richtig, das ist falsch. Ich sage ihnen: wenn dir etwas nicht gefällt, dann sag Nein. Ich sage ihnen, dass niemand auf uns herumtrampeln darf, dass niemand über uns steht. Das zu lernen ist ein langer Weg.

Als Kind habe ich gesehen, wie mein Onkel seine Frau, meine Tante, schlug. Wenn meine Tante einkaufen war, ging er nachher nochmal zum Laden und fragte, ob die Zwiebeln wirklich so viel gekostet hatten. Damals habe ich mir geschworen: So wird es mir nicht ergehen. Ich werde etwas lernen und werde nie jemandem Rechenschaft ablegen. Ich möchte unabhängig sein.

Heute bin ich 41 Jahre alt und ich sehe immer noch, wie schwer es manchen Frauen fällt, familiäre Gewalt anzuzeigen oder sich unabhängig zu machen von einem gewalttägigen Mann.  Dies muss sich ändern, sonst durchbrechen wir nie den Kreislauf der Gewalt.

San Juan de Lurigancho © Pohl | Misereor
San Juan de Lurigancho © Pohl | Misereor

Es muss etwas passieren, weil…

Viele Dinge müssen sich ändern, aber das muss von uns ausgehen. Von der Familie, den Kindern, den Eltern. Wir müssen den Kindern beibringen, was ihre Rechte, aber auch Pflichten sind. Wir müssen Verantwortung als Eltern übernehmen, aber auch sagen, was der Staat uns schuldet. Dass wir Recht haben auf eine gute Bildung, Gesundheit, eine anständige Wohnung. Viele Familien hier in San Juan de Lurigancho haben noch kein fließendes Wasser oder Abwasser. Wenn wir unseren Kindern nicht beibringen, dass sie ein Recht darauf haben, werden sie weiterhin auf sich herumtrampeln und sich mit ein paar geschenkten Lebensmitteln abspeisen lassen. Auch müssen Kinder schon lernen, was Korruption bedeutet und warum man nicht korrupt sein darf.  Ein neues politisches Denken muss bei der Erziehung beginnen. Die Politik an sich ist nicht schlecht, aber wenn die Menschen an die Macht kommen, fühlen sie sich überlegen und beginnen, alle anderen zu manipulieren. Deswegen ist es so wichtig, dass wir eine neue Generation heranziehen mit einem frischen Zugang zur Politik.

Meine Arbeit ist beendet, wenn…

…ich sterbe.
So lange bin ich schon auf dem Weg der Frauen- und Gemeinschaftsstärkung unterwegs. Mein Traum ist es, dass wir 12 Frauen meiner Gemeinschaftsküche eine Bäckerei aufmachen können, und damit auch ein Einkommen für uns generieren. Und wir wollen ein Altersheim aufmachen, wo die allein gelassenen alten Menschen Essen, Medizin, ihre Windeln bekommen können. Das wird Jahre dauern, bis es so weit ist. Wenn ich dann selbst alt bin, werde ich die Hände nicht in den Schoss legen, sondern immer noch darauf aufpassen, dass die anderen Alten ihr Essen, ihre Medikamente, ihre Windeln bekommen. Meine Arbeit wird mir nicht ausgehen, ich werde eine alte Frau unter anderen sein, die etwas für ihre Gemeinschaft tut.

Was Frauen können…

…so vieles. Frauen werden nie die Arme verschränken und sagen: das kann ich nicht oder das will ich nicht machen. Sie machen einfach. Und zwar sofort, ohne Umschweife. Das gibt mir so viel Hoffnung. Als wir in Corona-Quarantäne waren, mussten unsere Männer zu Hause bleiben. Aber sie haben sich deswegen nicht um den Haushalt gekümmert. Es waren wir Frauen, die das Essen besorgt haben, die Medikamente aufgetrieben haben. Es waren wir Frauen, die für eine staatliche Unterstützung unserer Gemeinschaftsküchen protestiert haben. Es sind Frauen, die Arbeitsplätze geschaffen haben. Viele Frauen haben zu viel zu tun – aber nie sagen wir, dass wir überarbeitet sind, sondern einfach: hier bin ich.


Hintergrund

In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts flohen Peruaner*innen aus den Anden in die Hauptstadt Lima – vor dem Bürgerkrieg, vor dem Hunger. Aber voller Hoffnung auf eine bessere Bildung für ihre Kinder. Die Neuankömmlinge besetzten unerschlossenes Land am Rande der Wüstenstadt und machten es bewohnbar. 1980 hatte Lima bereits knapp fünf Millionen Einwohner*innen. Seit dieser Zeit begleitet die Nichtregierungsorganisation CENCA – „Institut für städtische Entwicklung“ die neuen Bürger*innen in ihrem Bemühen, einen lebenswerten, solidarischen und menschenwürdigen Stadtteil zu schaffen und als vollwertige Bürger*innen mit allen Rechten anerkannt zu werden. Heute leben in Lima zehn Millionen Menschen, rund ein Drittel der peruanischen Bevölkerung. CENCA ist weiterhin am Stadtrand von Lima aktiv. Die Mitarbeiter*innen bilden die Bewohner*innen bei der Errichtung von Stadtgärten und in Sachen Katastrophenschutz weiter, damit ihre fragilen Häuschen beim ersten Erdrutsch oder Erdbeben nicht zusammenfallen. Sie zeigen den Bewohnern und Bewohnerinnen neue Hausbautechniken und ermöglichen Kontakte zu städtischen Behörden, um Wasserleitungen zu bekommen oder Lebensmittel für die Gemeinschaftsküchen. Die Mitarbeiter*innen von CENCA sind das Scharnier, das es braucht, damit engagierte Menschen am Rande Limas die Mittel und Ressourcen bekommen, um aus ihren Vierteln Orte der Hoffnung zu machen.


© Canva

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Neelima Borwal aus Indien.

Das Interview führte Hildegard Willer.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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