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Mensch-zu-Mensch Begegnungen für den Wandel

Anna Steinacher betreut seit 14 Jahren junge Menschen, die einen Misereor-Freiwilligendienst antreten und weltweit neue Begegnungen machen. Sie selbst zieht aus Begegnungen rund um den Globus viel Motivation für ihre Arbeit. Von diesem Gedanken lebt auch ihr Lieblingsprojekt „Altoparlante“: Das Jugendnetzwerk aus Lateinamerika bringt Menschen über Grenzen hinweg zusammen, um Veränderungen anzustoßen. „Altoparlante“ nutzt eine völlig neue Herangehensweise, aus der neue Ideen und unvorhersehbare Energie erwachsen kann.

© Steinacher | Misereor
Anna Steinacher, Referentin für den Freiwilligendienst, bei einem Jugendvernetzungstreffen von “Altoparlante“ in Kolumbien. © Steinacher | Misereor

Was passiert in deinem Lieblingsprojekt „Altoparlante“?

„Altoparlante“ ist eine Plattform in Lateinamerika, bei der junge Menschen aus dem Kontext der Misereor-Partnerorganisationen zusammenkommen, um sich gegenseitig Impulse für soziale Veränderungsprozesse zu geben. Damit wird ein Raum für persönlichen Dialog zwischen den Teilnehmer*innen geschaffen. So entstehen „Encuentros poco probables“, also wenig wahrscheinliche Begegnungen zwischen Menschen aus verschiedenen Kontinenten, mit unterschiedlichen Lebensrealitäten und -umständen. Mit der Motivation, dass eine andere Welt möglich ist, soll ein Miteinander über große Distanzen hinweg entstehen. Dem Netzwerk gehören Menschen aus Brasilien, Bolivien, Kolumbien, El Salvador, Costa Rica, Kolumbien, Peru und Paraguay an. Inzwischen sind auch junge Menschen aus Europa dazugekommen; aus Frankreich, Belgien und Deutschland, sowie ehemalige Süd-Nord-Freiwillige aus Indien, Malawi und Ruanda. Zusammen experimentieren sie in einem gemeinsamen Lernprozess, wie die sozial-ökologische Transformation gelingen kann und fragen sich: Wie sieht die Welt aus, in der wir leben wollen?

Wie ist das Netzwerk entstanden?

Wir stellen fest, dass es schon sehr viele Initiativen gibt, die zum sozial-ökologischen Wandel arbeiten. Sie arbeiten oftmals losgelöst voneinander, aber letztendlich arbeiten alle an demselben Thema, das uns global umtreibt. Die ursprüngliche Idee war, die Erfahrungen sozialer Veränderung aus dem Kontext Lateinamerikas zu dokumentieren und zusammenzubringen. Vor acht Jahren wurde dann ein Lernlabor für soziale Transformation angestoßen von der belgischen NGO Periferia ins Leben gerufen, das eine völlig neue Herangehensweise nutzt.

Die ursprüngliche Idee war, die Erfahrungen sozialer Veränderung aus dem Kontext Lateinamerikas zusammenzubringen. © Steinacher | Misereor

Wie sieht die Herangehensweise des Jugendnetzwerks aus?

Wir sehen die Treffen als Forschungs- und Experimentierraum mit einem sehr offenen Prozess, bei dem die Ergebnisse nicht vorhersehbar sind. Es hat etwas von einem Seminar, jedoch mit einem ganz anderen Ansatz. Bei Seminaren sind wir gewöhnlich stark Output-orientiert: Wir brauchen eine Agenda und ein Ziel, damit wir uns sicher fühlen. Dort wollen wir neue Daten, Zahlen, Fakten vermittelt bekommen und uns neues Wissen aneignen. Darum geht es bei „Altoparlante“ nicht: Hier geht es um eine grundlegende Veränderung vom Selbst- und Weltverständnis, also von dem Blick auf die Welt. Um einen ganzheitlichen Prozess, der Kopf und Herz miteinschließt. Wenn es um eine tieferliegende Ebene, das empathische Fühlen geht, tun wir uns oft ein bisschen schwer. Und das ist es, was in diesen Räumen tatsächlich passiert: Weil die Gruppe einen sehr vertrauensvollen Rahmen schafft, entsteht ganz viel Kraft, Energie und Neues. Eine Teilnehmerin hat das mit den Worten zusammengefasst: „Hier erlebe ich Empathie als politische Kraft“.

Wieso braucht es diese Gruppe und diese Art von Begegnung?

Wenn wir uns in einem normalen Seminar mit Namensschildchen am Revers kurz austauschen, im Sinne von: „Hallo, ich bin die Anna vom Freiwilligendienst, du bist Charleen von der Kommunikationsabteilung“, dann haben wir uns auf einer gewissen Ebene kennengelernt, aber wir sind uns nicht wirklich begegnet. Wir haben keine Beziehung zueinander aufgebaut, die so vertrauensvoll ist, dass wir aus unserer Komfortzone kommen würden. Echter Wandel hat mit Veränderung zu tun: Veränderung tut an gewissen Stellen weh, weil wir unsere Komfortzone verlassen müssen. Und das gelingt nur, wenn wir Vertrauen zu den anderen haben und realisieren, dass wir mit unseren Empfindungen über die zukünftigen Entwicklungen nicht allein sind. Dafür braucht es diese geschützten Räume sowie Offenheit und Neugierde, nicht zu wissen, was genau passieren wird.

Welche Energie braucht es für den Wandel? Dieser Frage haben sich die jungen Menschen bei dem Altoparlante-Treffen gewidmet. © Steinacher | Misereor

Wie hast du diese „Begegnungsräume“ miterlebt?

Ich durfte im Oktober 2023 ein Jugendvernetzungs-Treffen in Kolumbien miterleben, das mich sehr begeistert hat. Bei diesem „wenig wahrscheinlichen Treffen“ von jungen Menschen wurde jugendliche Energie erforscht. Denn welche Energie brauchen wir eigentlich für den Wandel? Dabei war der Input von drei 14-Jährigen beeindruckend: Die drei haben den Workshop mit viel Lebensweisheit bereichert, der Input war immens. Es war spürbar, wie der Prozess in ihnen gearbeitet hat. Für mich sind das wahre Hoffnungsträger*innen für die Zukunft.

Bei dem Treffen wurde zum Beispiel die Frage in den Raum geworfen, wie es wäre, wenn junge Leute in Partnerorganisationen Budgetverantwortung für ihre eigenen Projektideen hätten, statt die hauptamtlichen Projektleiter*innen. Das würde die Rolle junger Menschen, ihre Selbstwirksamkeit und Ownership extrem stärken und Lernprozesse auf allen Seiten ermöglichen.

Was zeichnet den Erfolg von „Altoparlante“ aus?

Mir fällt gerade Mirna aus El Salvador ein, die von Anfang an bei „Altoparlante“ ist und die positive Wirkung verdeutlicht: 2020 hat sie ihren Freiwilligendienst über Misereor in Deutschland gemacht und ein breites Netzwerk geknüpft. Sie ist eine bemerkenswerte Multiplikatorin: Zusammen mit anderen jungen Aktivist*innen aus Lateinamerika organisiert sie virtuelle Workshops zum Thema „Zukunftsvisionen für eine gerechte Welt“. Dabei versuchen sie kreative Möglichkeitsräume zu öffnen, Verbindung zu schaffen und ein neues Narrativ zu entwickeln. Von dieser Dynamik können wir in Deutschland viel lernen.

Altoparlante vernetzt Menschen, die auf ihre Weise Brückenbauer*innen sind. Also junge Menschen, die wie Mirna aus dem Umfeld von Misereor-Partnerorganisationen stammen. Das muss aber nicht zwangsläufig so sein, denn die institutionelle Anbindung spielt ohnehin keine Rolle. In dem Begegnungsraum soll es kein Machtgefälle und keine Hierarchie-Ebenen geben, Ziel ist eine Mensch-zu-Mensch-Begegnung. Jeder Mensch trägt die Energie dann in die eigenen Kreise, Arbeits- und Lebenswelten weiter. Es ist also ein Erfolg, dass diese wenig wahrscheinlichen und tiefgreifenden Begegnungen stattfinden, denn so zieht die Veränderung immer größere Kreise. Immer mehr Menschen werden erreicht und von der Energie und Motivation für Wandel angesteckt.


Mein Lieblingsprojekt

Mein Lieblingsprojekt: Hände machen ein Herz

In der Reihe „Mein Lieblingsprojekt“ stellen Misereor-Mitarbeitende regelmäßig Projekte vor, die ihnen besonders am Herzen liegen und geben so Menschen aus dem Süden ein Gesicht.

Geschrieben von:

Portrait einer Mitarbeiterin

Charleen Kovac ist Presse-Volontärin bei Misereor.

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