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Indische Farmerinnen: Digitale Tools für mehr Teilhabe (Teil I)

Wie kann benachteiligten Communities insbesondere im globalen Süden gleichberechtigter Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen ermöglicht werden? Welche Rolle könnten digitale Technologien dabei spielen? Wie könnten sie nutzbar gemacht werden, um die Lage Marginalisierter zu verbessern? Mit diesen Fragen hat sich die Misereor-Partnerorganisation Swayam Shikshan Prayog (SSP) in Indien eindringlich beschäftigt. Und dass sich über den Zugang zu Informationen, Dienstleistungen und digitalen Möglichkeiten mehr Selbstermächtigung und Teilhabe erreichen lassen, haben die Change Makers von SSP gezeigt. Der folgende Blog-Beitrag beschreibt in zwei Teilen die Lösungsansätze und erfolgreiche Arbeit der indischen Partnerorganisation.

Digitale Inklusion in Indien
Die Partnerorganisation SSP bietet Frauen in Graswurzel-Bewegungen Kurse zu digitaler Inklusion an. © SSP

Die Marathwada-Region – Sinnbild des indischen Hinterlandes

Die Marathwada-Region im östlichen Teil des indischen Bundesstaates Maharashtra versinnbildlicht die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ von Zentrum und Peripherie: Die ländliche Region sieht sich großen sozio-ökonomischen Herausforderungen gegenüber, sie ist wasserarm und massiv von den Auswirkungen der Klimakrise bedroht. Andererseits können die aufstrebenden (Stadt-)Zentren mit ihren Malls und Multiplex-Kinos sowie einem anhaltenden Bauboom die harte Realität von Armut, Ungleichheit und Vernachlässigung nur kurz vergessen lassen. Gerade in der Marathwada-Provinz herrscht insgesamt offensichtlicher Mangel; an guter Verkehrsinfrastruktur, an zugänglichen staatlichen Programmen, mit denen finanzielle Härten (gerade in der Landwirtschaft) abgefedert werden, und an Bewässerungssystemen, um etwas gegen die wiederkehrenden Dürren auszurichten. Die Klimakrise ist in der Region längst angekommen und hat die Situation der Menschen erschwert: die jährliche Regenmenge ist in den letzten Jahrzehnten immer spärlicher ausgefallen. Umso wichtiger ist es für die Menschen, neben der Landwirtschaft weitere Einnahmequellen zu erschließen, um nicht durch ein Extremwetterereignis in absolute Armut abzurutschen.

Durch digitale Teilhabe werden die Frauen zu Change Makern
Frauen als Change Makers: von Beginn an hat SSP den Fokus auf die Selbstermächtigung von Women Agricultural Entrepreneurs (WAE) gelegt. © SSP

Frauen als Change Maker

Die Distrikthauptstadt der Region, Latur ist auch die Keimzelle des Engagements von Misereor-Partner Swayam Shikshan Prayog (SSP). Die Organisation richtete von Beginn an ihren Fokus auf die Selbstermächtigung von Frauen in Graswurzel-Bewegungen. Dahinter steht die Einsicht, dass gesellschaftliche Veränderung in erster Linie durch Frauen vorangetrieben wird. Und diese Einsicht hat die Arbeit von SSP bis heute geleitet und sehr erfolgreich Projekte umsetzen lassen.

Swayam bedeutet so viel wie Self-Empowerment, Shikshan meint Bildung sowie Lernen und Prayog steht für Lösungen, die von der Basis kommen, also „Grassroots“ sind. SSP wurde 1998 offiziell gegründet. Wesentlichen Anteil daran hatte Prema Gopalan, die SSP bis zu ihrem Tod auch geleitet hat und in Maharashtra – wenn nicht gar in der indischen NGO-Szene insgesamt – als Vorreiterin gelten kann: Prema und ihren Mitstreiter*innen war es immer wichtig, das Engagement auf Frauen als eigentliche gesellschaftliche Change Maker zu fokussieren.

Keimzelle des Engagements

Die Arbeit von Swayam Shikshan Prayog wurde bereits 1994 aufgenommen, zunächst nicht institutionalisiert, und zwar nachdem Latur von einem schweren Erdbeben erschüttert worden war. Da hatte SSP bereits ein Nothilfeprogramm gestartet und sich für den Wiederaufbau engagiert. Heute ist SSP in mehreren Bundesstaaten tätig, wobei der Schwerpunkt auf Regionen liegt, die von Wasserknappheit und Dürre bedroht sind. So auch in der Marathwada-Region in Maharashtra, wo Landwirtschaftskollektive von Frauen die wichtigsten Partner von SSP sind und diese als Women Agri- und Agri-related Entrepreneurs (WAE) eine entscheidende Rolle spielen für die Entwicklung der Region. SSP stärkt die WAE darin, wirtschaftliche Eigenständigkeit zu erlangen, indem sie sich stärker unabhängig machen von Einkünften aus der Landwirtschaft, sie neue soziale Rollen und Selbstwahrnehmungen annehmen können als ökonomisch unabhängige Kleinselbstständige, die auf lokaler Ebene Entwicklung mit vorantreiben – und dabei zunehmend auf digitale Technologien als Hilfsmittel setzen.

Frauen in Indien mit Handys
Die digitalen Möglichkeiten werden in der Marathwada-Region mit großer Selbstverständlichkeit genutzt. © Tobias Bader

Digitale Selbstermächtigung

„Digitale Technologien dienen als Instrument, als Tool der Selbstermächtigung – im sozio-ökonomischen Sinne“, sagt Naseem Shaikh, die sich seit beinahe 30 Jahren bei SSP engagiert. Mittlerweile ist Naseem stellvertretende Leiterin und für die Programme im Feld zuständig. Sie ist immer ganz nah dran an den Herausforderungen und Bedürfnissen der WAE. Naseem berichtet, dass auch in der Marathwada-Region mit der Corona-Pandemie eine neue Zeitrechnung anbrach. Bei SSP hatte man zwar keine umfassende Erfahrung mit digitalen Tools, aber auch keine Berührungsängste. Und so reagierte man direkt auf die neuen Umstände und begann direkt mit Trainings, um den WAEs digitale Kompetenzen zu vermitteln.

In den Schulungen werden die Frauen seitdem zu Multiplikatorinnen ausgebildet. Als sogenannte Digital Sakhis geben sie ihr Wissen und ihre digitalen Skills an die anderen Women Agricultural Entrepreneurs in der Region weiter. Zunächst schult SSP sie im Umgang mit Smartphones. Dadurch werden sie auch an „digitale Ökosysteme“ für weitere Einnahmequellen herangeführt. So nutzen sie z. B. Online-Plattformen und Messenger-Dienste wie WhatsApp sowie soziale Medien für das Bewerben und den Verkauf ihrer Erzeugnisse. Außerdem sind Buchhaltungs-Apps sehr beliebt, mit denen sie digital ihre Finanzen verwalten. Zunehmend verwenden die WAE auch Digital-Bezahlsysteme wie PhonePe und GooglePay. So können sie mit wenigen Klicks Zahlungen tätigen und empfangen, ohne lange Wege zur Bankfiliale auf sich nehmen zu müssen.

Die digitalen Möglichkeiten werden hier mit einer Selbstverständlichkeit genutzt, nach der man in Deutschland beispielweise wohl ziemlich lang suchen müsste. Von Rückständigkeit kann bei den Change Makers gewiss keine Rede sein. Und digitale Inklusion ist in der Marathwada-Region insgesamt kein hohles Buzz-Word mehr– auch dank SSP.

Zum Autor:
Tobias Bader ist derzeit als integrierte Fachkraft bei der indischen Partnerorganisation Swayam Shikshan Prayog (SSP) tätig und beschäftigt sich dort mit Fragen der digitalen Inklusion. Er steht dabei in engem Austausch mit dem Misereor-Lernteam zu Digitalisierung.


Frau in kleiner Schneiderei - digitale Teilhabe ermöglicht ihr neues Geschäftsmodell

Indische Farmerinnen: Digitale Tools für mehr Teilhabe (Teil II)

In Sachen Digitalisierung hat Indien sich beachtlich weiterentwickelt. Die Vorteile dieses Wandels möchte sich die indische Partnerorganisation SSP zunutze machen und vor allem Frauen dabei profitieren lassen. Zum Beitrag

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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