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Brasiliens Ethanolboom bedroht Kleinbauern

 

Aktivist Padre Antonio Garcia

Aus ganz Brasilien sind sie gekommen, aus den abgelegensten Teilen Amazoniens, aus dem sertão, dem semiariden Hinterland des Nordostens, aber auch aus den Metropolen Rio oder São Paulo: An die 120 AktivistInnen sozialer Bewegungen treffen sich dieser Tage im Fortbildungszentrum Vicente Canhas des Indianermissionsrates CIMI südlich von Brasília. Die meisten von ihnen sind Mitglieder von MISEREOR-Partnerorganisationen.

Es geht um „Klimawandel und soziale Gerechtigkeit”- ein weites Feld. Entsprechend viele Themen werden am ersten Tag des Symposiums angeschnitten, angefangen bei den unkontrollierbaren Risiken der Atomkraft, die durch die dramatischen Ereignisse in Japan offensichtlich geworden sind. „Aber in den großen Medien fällt kein Wort über die neuen Atomkraftwerke, die unsere Regierung  plant“, stellt die Umweltaktivistin Marijane Lisboa fest, „es ist unsere Aufgabe, das auf die Tagesordnung setzen“.

Alte Bekannte sind auch da. Zum Beispiel Padre Antonio Garcia von der Wanderarbeiter-Seelsorge in Guariba, einer Hochburg des Zuckerrohranbaus im Bundesstaat São Paulo. Ihn habe ich vor Jahren bei der Arbeit mit Migranten erlebt (s. Link dazu unten im Text) . Zusammen mit zwei Schwestern des Scalabrini-Ordens und einem engagierten Team von Freiwilligen leistet er psychologischen, rechtlichen und geistlichen Beistand. 3.000 Wanderarbeiter, die meisten aus dem armen Nordosten, ziehen Jahr für Jahr zur Zuckerrohrernte nach Guariba, und Padre Antonio hat die Veränderungen der letzten Jahrzehnte hautnah erlebt.

„Mais oder Bohnen werden hier schon lange nicht mehr angebaut, und dieses Entwicklung setzt sich im nun im Norden des Bundesstaates fort“, berichtet er. „Viehzüchter verpachten oder verkaufen ihr Land an die Zuckerfirmen, ihr Vieh weidet jetzt auf billig gepachtetem Land in den Staaten Piauí, Maranhão oder Mato Grosso do Sul“. Damit wächst der Druck auf den Amazonas-Regenwald oder das berühmte Feuchtgebiet Pantanal.

Doch die langjährige Arbeit der Wanderarbeiter-Pastoral, von Menschenrechtlern, Staatsanwälten und engagierte Regierungsfunktionären hat auch Früchte getragen, wie Padre Antonio berichtet: „Es gibt schärfere Gesetze, mehr Kontrollen, weniger Übergriffe als früher. Früher sind viele Zuckerrohrschneider an Überarbeitung gestorben, doch der letzte Fall war 2007 oder 2008“.

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Die gatos, moderne Sklavenhändler, kämen immer weniger zum Zug: „Immer mehr Firmen verpflichten ihre Arbeiter direkt in den Herkunftsgebieten, machen dort medizinische Untersuchungen, ordentliche Verträge, und geben den Arbeitern eine minimale Ausbildung. Aber die Bezahlung für diese Knochenarbeit ist immer noch viel zu schlecht, der Kluft zwischen den Profiten bei der Zucker- und Ethanolproduktion und den Löhnen immens.“
Während sich die Expansion der Monokultur in São Paulo ein wenig verlangsamt hat, ist der Ethanolboom im Mittleren Westen in vollem Gange. Der Journalist Luiz Henrique da Silva, der für den Kleinbauernverband des Bundeslandes Goiás arbeitet, begleitet die Entwicklung seit vier Jahren intensiv. „140.000 Menschen sind in unserem Staat noch in Familienbetrieben tätig, aber die werden von der jetzigen Entwicklung regelrecht zerquetscht“, meint Luiz Henrique, der selbst aus dem Nordosten stammt. 37 Zucker- und Ethanolfabriken mit 40.000 Zuckerrohrarbeitern gebe es derzeit, bis 2014 sollen es an die 100 Fabriken sein.

Um die allgegenwärtigen Brandrodungen zu stoppen, wird die Mechanisierung gefördert.  „Aber der Clou ist: Es wird weiterhin abgebrannt, weil der Zuckergehalt bei den Pflanzen, die anschließend darauf wachsen,  größer ist“, sagt Luiz Henrique. „Und eine Erntemaschine macht 80 Zuckerrohrschneider arbeitslos, und das ist ein soziales Problem“.

Er setzt sich für eine „ganz gezielte Agrarreform“ ein. Es gäbe genug Land, das der Staat gegen Bezahlung enteignen könnte, um dort Kleinproduzenten anzusiedeln. Aber die Chancen dafür stehen schlecht, räumt er ein: „Die Agrarlobby ist übermächtig. Der Diskurs der Zuckerfarmer ist sehr attraktiv, sie sagen, wir sind der Fortschritt, wir produzieren Reichtum. Dabei hat doch die FAO erst gestern wieder erklärt „wohin das führen wird“.

Gerhard Dilger ist freier Journalist und lebt in Brasilien. Er nimmt aktuell am MISEREOR-Symposium „Klimawandel und Gerechtigkeit“ nahe Brasilia teil und berichtet darüber im MISEREOR-Blog.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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