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Mit Schlafsack in der Sakristei

Man muss schon ein wenig suchen, um die Hungertuchwallfahrer aus dem Bistum Paderborn aufzuspüren. Irgendwo hinter dem pfälzischen Städtchen Deidesheim geht es über einen Feldweg durch beschauliche Weinberge aufwärts, die Aussicht wird immer schöner, und da sind sie auch: 60 Pilger aus dem Umfeld von Siegen, Olpe und Hagen warten an einem landschaftlich herrlichen Punkt, den die Einheimischen „Pfalzblick“ nennen, auf die kleine MISEREOR-Delegation: Hauptgeschäftsführer Josef Sayer, seinen Fahrer Ferdi Theissen, und mich, den Pressesprecher.

MISEREOR-Chef Josef Sayer traf die Hungertuchwallfahrer unterwegs

MISEREOR-Chef Josef Sayer traf die Hungertuchwallfahrer unterwegs

Sayer und Theissen werden mit offenen Armen und großem Hallo empfangen. Man kennt sich von früheren Wallfahrten. Und auch ich als „der Neue“ werde sehr freundlich und liebenswürdig in den Kreis der Pilger aufgenommen und fühle mich vom Fleck weg bestens integriert.

Einmal dabei – immer dabei

Eins wird sehr schnell deutlich: Wer einmal bei den Wanderungen mit dem MISEREOR-Hungertuch dabei war, der kommt oft wieder. Die Meisten machen schon seit vielen Jahren regelmäßig mit. Eine Frau hat gar davon gesprochen, dass das Ganze im positiven Sinne zur „Sucht“ werden könne. Da nimmt man auch wie Karin Blunk schon einmal gerne Diskussionen mit dem Arbeitgeber in Kauf, der sich wundert, warum sie jedes Jahr nach Karneval unbedingt ein paar Tage Urlaub nehmen will.

Testen,  was man wirklich braucht

Sie wie auch all die anderen, mit denen ich auf dem hübschen Weg durch Wald und Flur Richtung Neustadt rede, bestätigen, was so eine Hungertuchwallfahrt für den Einzelnen bedeutet. Diese Tour, die 1996 von Hermann-Josef Günther und Jochen Voß initiiert wurde, ist eine wichtige Auszeit, um zu sich selbst zu kommen, über den eigenen Alltag und die persönlichen Lebensgewohnheiten nachzudenken. Zu testen, was man in dieser  deutschen Überflussgesellschaft wirklich braucht und wie es ist, ganz einfach zu leben und sich auch mit schlichtem Komfort arrangieren zu müssen. Und die einhellige Überzeugung lautet: Man braucht nicht viel.

Unbequem? Ja aber das macht nichts!

Heute waren es 30 Kilometer.

In der Nacht zuvor hatte die Gruppe beispielsweise mit Schlafplätzen in einer Sakristei, im Beichtzimmer und sogar im Kirchenraum einer katholischen Gemeinde vorlieb nehmen müssen. Mit Schlafsack und Isomatte. Unbequem? „Ja, aber das macht nichts.“, sagt eine der Pilgerinnen. Nach langen Wanderetappen – heute legt man insgesamt 30 Kilometer zurück – schlummert man sofort selig ein. Und ist mit Wenigem zufrieden. Zumal die Wandererer aus der Diözese Paderborn in vielen Orten rührend umsorgt und bestens beköstigt werden, zum Teil mit regionalen Spezialitäten, wie der Pilger Pfarrer Karl Hans Köhle aus Siegen berichtet. In zahlreichen Gemeinden werden den Pilgern freudig die Türen geöffnet, und immer schafft man es, den 60 Wallfahrern ein Plätzchen zum Schlafen zur Verfügung zu stellen, auch wenn bisweilen improvisiert werden muss.

Begegnungen, die tiefer gehen

Die Begegnungen mit den Einheimischen, aber auch das Miteinander in der Wandergruppe bedeutet den Pilgern viel. „Jeder ist für den anderen da, es gibt viele gute Gespräche. Und ich kann mich an keinen einzigen Streit erinnern“, sagt eine der Frauen. Claudia Landmann ist zum ersten Mal dabei, und sie wirkt total zufrieden. „Diese Hungertuchwallfahrt hat mir gezeigt, dass ich viel mehr schaffen kann, als ich selber gedacht hätte“, sagt sie. Da machen ihr die paar Blasen an den Füßen nichts aus. Zumal die Organisatoren auch an solcherlei Probleme gedacht haben: Die Gruppe wird von Rettungssanitätern des Maltester Hilfsdienstes begleitet, die dafür einen Teil ihrer Freizeit einsetzen und, wenn denn keine ernsten Gesundheitsprobleme auftreten, auch für die Fußpflege bereitstehen. Zudem transportieren sie das Großgepäck der Gruppe von einer Pilgerstation zur nächsten.

Schweigezeit

In der Hauptgeschäftsstraße von Speyer fallen die Wallfahrer auf.

In der Hauptgeschäftsstraße von Speyer fallen die Wallfahrer auf.

Ganz wichtig ist allen übrigens auch, dass jeden Tag für eine gewisse Zeit nicht geredet wird während des Wanderns. Dann ist Gelegenheit zur inneren Einkehr und Reflexion. Zum Nachdenken über die inhaltlichen Impulse, die auf dieser Hungertuchwallfahrt angeboten werden. Dabei setzt sich die Gruppe insbesondere mit den Themen der MISEREOR-Fastenaktion auseinander, mit der Lage der Ärmsten in den Ländern des Südens. Nach und nach beschäftigt man sich auch mit den verschiedenen Motiven des Hungertuchs, das in seinen Bildern so viele unterschiedliche Geschichten anbietet und zum Nachdenken und Diskutieren geradezu herausfordert.

Ungewöhnliche Demo

Das Hungertuch wird übrigens abwechselnd von einzelnen Pilgern getragen und insbesondere in den durchwanderten Orten entrollt. Da sorgt die große Pilgergruppe durchaus für Aufsehen, und mancher fragt die Wandernden, was sie mit dieser „Demonstration“ denn vermitteln wollen. „Da müssen wir auch mal erklären, dass wir nicht selbst hungern, sondern die Themen MISEREORs ins Gespräch bringen möchten“, sagt eine der Pilgerinnen.

Mut ist, komische Blicke zu riskieren

MISEREOR ruft nicht zuletzt auf vielen Plakaten dazu auf, sich mit Mut für die Benachteiligten dieser Erde einzusetzen. Mein Eindruck ist, dass auch die Hungertuchwallfahrer mutig sind, wenn sie beispielsweise durch die Fußgängerzone von Neustadt an der Weinstraße ziehen und religiöse Lieder singend, das Hungertuch präsentieren. Da ernten die Wanderer dann doch manch verständnislosen Blick einiger Einkäufer vor den Geschäften. Eine der Pilgerinnen wird später sagen, dass es schön wäre, wenn zumindest der eine oder andere Passant ins Nachdenken kommt über das, was ihm da begegnet ist. Wallfahren, das bedeutet eben auch, einen langen Atem zu haben, Schwieriges auszuhalten und sich auch in kleinen Schritten einem Ziel zu nähern.

Die MISEREOR-Ehrennadel für großes Engagement

Verleihung der Ehrennadel an die Organisatoren Paderborner WallfahrerMutig und wahrhaft mit langem Atem haben Jochen Voß und Karl Hans Köhle sich um  die Paderborner Hungertuchwallfahrt verdient gemacht. Voß organisiert sie gemeinsam mit Hermann Josef Günther seit 16 Jahren und erzielt dabei gleichbleibend hohe Resonanz erzielt. Die positive Mund-zu-Mund-Propaganda über die tolle Aktion wirkt. MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Josef Sayer dankt den beiden am Abend in einem Gottesdienst für ihr großes Engagement mit der MISEREOR-Ehrennadel. Voß ist ein glänzender Organisator, der die Gruppe gekonnt von einer Station zur nächsten führt und die Aktion bestens vorbereitet hat, obwohl er als Leiter der Volkshochschule Olpe beruflich genügend zu tun hat. Sayer dankt Köhle vor allem für seine spirituellen Impulse, mit der er die Gruppe seit sechs Jahren als Pfarrer eines Siegener Gemeindeverbundes immer begeistere. Beide geben die Komplimente zurück und danken Sayer, der die Pilger mehrfach begleitet hat, mit einer Gebetskette und einer kunstvoll gestalteten Schiefertafel.

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Ralph Allgaier arbeitet als Pressesprecher bei Misereor.

5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Die facebook-Gruppe Occupy:Occupy hat mithilfe von Occupy Frankfurt eine Petition erarbeitet, die hoffentlich einen Beitrag dazu leisten wird, dass ausufernder Spekulation mit Nahrungsmitteln Einhalt geboten wird. Gestern bemühte sich bereits der Bundestag um das Thema , unser Vorschlag ist eine Alternative oder Ergänzung zu dem, was die Regierungskoalition vorschlug, nämlich Regulierungsmaßnahmen. Die Petition schlägt vor, bestimmte Wertpapiere, die auf die Nahrungsmittelpreisentwicklung schädliche Wirkung haben, einfach zu verbieten.

    Ziel ist, dass Schritte hin zu geringeren Preisausschlägen im weltweiten Nahrungsmittelmarkt gegangen werden, denn unter anderem spekulationsbedingt zu hohe Preise haben bereits zu Hungerunruhen in der Welt geführt, und genauso ist damit zu rechnen, das spekulationsbedingte Tiefpreisphasen bäuerliche Existenzen vernichten werden.

    Hungertuch-Pilger und alle anderen, denen an der Korrektur dieser Marktverhältnisse gelegen ist, bitte Unterstützen Sie die Petition.

    Wer sich erst informieren will über das Thema, dem sei die Misereor-Studie „Unschuldsmythen — Wie die Nahrungsmittelspekulation den Hunger anheizt“ empfohlen.

    Zur Petition geht’s hier lang:

    http://openpetition.de/petition/online/spekulationen-mit-nahrungsmitteln-sind-gesetzlich-zu-verbieten

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    Hallo Her Kaufmann,

    es soll wohl nach Aachen gehen. Wir freuen uns auf ein Widersehen mit Ihnen.
    Schöne Grüße an den lieben Vater.

    Johannes Wolff

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    Vielen Dank für den Artikel.
    Von „zu Hause“ werden die Hungertuchwallfahrer in jedem Jahr in Gedanken und im Gebet begleitet – und manchmal auch ein wenig um die Erfahrungen „beneidet“.
    Der Geehrten herzlichen Glückwunsch zur verdienten Auszeichnung!

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    Schöner Artikel über eine tolle Initiative und engagierte Christen! Ein bisschen Wehmut, weil wir in diesem Jahr nicht dabei waren. Aber 2013 kmmt bestimmt. Schöne Grüße an unsere „großen Brüder und Schwestern“. Und Glückwunsch zu der hochverdienten Auszeichnung. Wohin geht es denn nächstes Jahr?

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