Ein Käfig in der Fußgängerzone, eine brennende Kerze im Rucksack und der Kampf für eine bessere Welt: Tag 2 des Mannheimer Katholikentags war vollgepackt mit Gesprächen, Gedanken und symbolträchtigen Gegenständen.
Gar nicht so einfach, mit diesem seltsamen Gefährt über das Mannheimer Kopfsteinpflaster zu klappern. Leicht passiert es, dass man an einem Bordstein hängenbleibt. Oder an einer Straßenbahnschiene. Aber Jörg Siebert, Bildungsreferent bei MISEREOR, und eine Reihe ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer haben die Mühe auf sich genommen und schieben diesen eisernen Käfig, in dem sich zum Erstaunen vieler Passanten ein Bett befindet, durch die Fußgängerzone der Stadt, in der aktuell der Katholikentag 2012 stattfindet.
Es ist dies ein Exponat der Ausstellung über die Käfigmenschen von Hongkong, mit der MISEREOR schon seit längerer Zeit viel Aufsehen erregt. Die Schau stellt die etwa 100.000 Menschen in den Blickpunkt, die in Hongkong unterhalb der Armutsgrenze leben, keine normale Wohnung mehr finden und zu einem hohen Preis von etwa 150 Euro pro Monat einen knapp zwei Quadratmeter großen Käfig gemietet haben, in dem sie einzig noch Unterschlupf finden können.
Und nicht wenige müssen damit rechnen, auf Dauer in dieser menschenunwürdigen, absolut demütigenden und deprimierenden Unterkunft bleiben zu müssen. Und nicht zuletzt weil die MISEREOR-Partnerorganisation SoCO gegen die Ausgrenzung dieser Menschen seit 40 Jahren ankämpft, ist die Zahl der „Käfigmenschen“ in den vergangenen Jahren zurückgegangen. SoCO hat ihnen zu einer besseren Wohnung verholfen.
„Wir stehen an einem kritischen Punkt der Erdgeschichte“
Es ist ein ermutigendes Signal, dass sich auf dem Katholikentag mit derzeit etwa 60.000 Teilnehmern so viele Menschen mit schwierigen Fragen der Gegenwart beschäftigen; dass sie sich Zeit nehmen für Diskussionen und Gesprächsforen und es ihnen nicht egal ist, wie eine Welt mit immer mehr Menschen ein zukunftsfähiges und gerechtes Dasein für alle erreichen kann.
Noch sind wir von vielen dringend benötigten Lösungen massiver globaler Probleme leider meilenweit entfernt. So mahnte denn auch MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel bei einer Debatte über den Klimawandel: „Wir stehen an einem kritischen Punkt der Erdgeschichte. Entweder wir entscheiden uns für eine Welt der Nachhaltigkeit, des Ausgleichs und der sozialen Partnerschaft. Oder wir riskieren, uns selbst und die Vielfalt unseres Lebens zugrundezurichten.“ Unser gegenwärtig dominierendes Wirtschaftssystem berge das Risiko des ökologischen Kollapses. Und es sei absolut notwendig, „unseren Erdplaneten nicht länger als Ware“ anzusehen, deren Ressourcen weiter hemmungslos ausgebeutet werden dürften.
Wie schwierig es ist, den notwendigen Wandel unseres Lebensstils, unserer Konsumgewohnheiten und unseres Energieverbrauchs herbeizuführen, beschrieb die Grünen-Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn sehr anschaulich: „Der Mensch neigt dazu, kurzfristig zu denken. Da fällt der Klimaschutz meistens hinten über. Als meine Partei nach der Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre eine Energiewende forderte, flogen wir bei der nächsten Bundestagswahl aus dem Parlament.“
Nett gemeint, aber wirkungslos?
Dass eine Strategie der kleinen Schritte und Beharrlichkeit Erfolg haben kann , zeigte sich bei einer Diskussion über den Fairen Handel unter dem leicht provozierenden Titel „Nett gemeint, aber wirkungslos?“ Schnell stellte sich heraus, dass zwar noch immer im Schnitt 98 Prozent eines Supermarkt-Sortiments nicht aus fairem Handel stammt. Aber im Jahr 2010 wurden in Deutschland immerhin faire Waren im Wert von 413 Millionen Euro verkauft, was einem vier Mal so hohen Umsatz entspricht wie fünf Jahre zuvor. Ein riesiger Erfolg, wie nicht nur MISEREOR-Handelsexperte Armin Paasch, resümierte. Ein Erfolg, der zeigt, dass der Faire Handel im Bewusstsein breiter Bevölkerungskreise angekommen ist und auch bei der Qualität deutlich zugelegt hat. „Die Zeiten, in denen man beim fairen Kaffee vielfach die ganzen Leiden der Welt mitgeschmeckt hat, sind eindeutig vorbei“, schmunzelte GEPA-Geschäftsführer Thomas Speck.
Doch der Erfolg birgt auch neue Risiken. So nehme die Zahl der Plantagen wegen der gestiegenen Nachfrage auch im Fairen Handel zu, was die Gewichte zugunsten von Großunternehmern verschieben und arme Kleinbauern aus dem Markt drängen könnte, warnte Paasch. Er bemängelte zudem, dass der Faire Handel sich bisher auf den Import beschränke, es aber keine Fairness bei vielen Exportprodukten wie etwa von Hühner-und Schweinefleisch oder Milchpulver aus der EU in arme Länder gebe, die dort – von Europa stark subventioniert – die Vermarktung einheimischer Konkurrenzprodukte behinderten und damit viele Bauern in Existenznöte stürzten.
Es gibt also noch viel zu tun, und doch überwogen am Ende der Diskussion die positiven Aspekte. Sechs Millionen Menschen profitieren direkt oder indirekt vom Fairen Handel; dessen Produkte hätten schon allein durch ihre Anwesenheit im Supermarktregal politisch-erzieherische Wirkung auf den Einkäufer, wie Bernhard Emundts, der Leiter des Nell-Breuning-Instituts in Frankfurt, anmerkte.
Der Katholikentag ist traditionell ein Hort der eindrucksvollen Gesten. So steckten die Leiter der katholischen Hilfswerke bei einem gemeinsamen Auftritt in der Mannheimer Innenstadt gleich eine ganze Reihe von ausdrucksstarken Gegenständen in das aktuelle Katholikentags-Symbol, den roten Rucksack. Von Adveniat-Geschäftsführer Bernd Klaschka gab es eine Bibel, Klaus Krämer, der Missio-Präsident, spendierte als Zeichen des Aufbruchs und der Solidarität einen Stern und eine Wasserflasche. MISEREOR-Chef Spiegel entzündete eine Kerze als Zeichen eines Lichts, das Menschen leuchten möge, die im Schatten stehen und die dadurch ein wenig mehr Wärme erfahren. MISEREOR, so sagte Spiegel weiter, kämpfe für eine Welt, in der Arme erfahren könnten, „dass sie nicht in einer gottvergessenen Welt leben“.