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Satte Menschen hungrig machen

Im Jahr 2000 haben sich die Vereinten Nationen in ihren damals formulierten „Millenniums-Zielen“ vorgenommen, die Zahl der weltweit Hungernden innerhalb von 15 Jahren zu halbieren. Zwei Jahre, bevor Bilanz gezogen wird, ist klar, dass die Menschheit dieses Ziel meilenweit verfehlen wird. Die Zahl der Hungernden liegt immer noch bei etwa einer Milliarde.

 

 

Und was um so beunruhigender ist: Während viele Menschen in armen Ländern nicht zuletzt aufgrund steigender Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise in wachsendem Maße Probleme haben, sich ausreichend zu ernähren, sind die Konsumgewohnheiten in den wohlhabenden Nationen in einer Weise pervertiert, dass auch zuversichtliche Gemüter nur noch deprimiert sein können.

„In unseren Supermärkten lautet die Parole längst nicht mehr, hungernde Menschen satt zu machen. Sondern satte Menschen hungrig zu machen.“ Was für ein unglaublicher Satz, der die Wahrheit aber leider in bizarrer Weise auf den Punkt bringt. Zu hören ist er in der Dokumentation „Taste the Waste“ des deutschen Autors Valentin Thurn.

Der Film, der auf dem Katholikentag in Mannheim gezeigt wurde, zeigt, in welchem Ausmaß beste Lebensmittel täglich in den Industrieländern auf den Müll wandern: bis zu 50 Prozent. Und das hat viel mit überzogenen Ansprüchen und einer extrem verschwenderischen Lebenshaltung zu tun. Wozu brauchen wir 100 Joghurtsorten? Warum müssen die Regale auch kurz vor Ladenschließung immer noch voll sein? Wieso darf Gemüse nicht auch einmal eine kleine optische „Macke“ haben? Und warum werden Waren, deren Mindesthaltbarkeitsdatum in wenigen Tagen erreicht ist, kaum noch gekauft, obwohl diese Lebensmittel fast immer lange nach diesem Datum praktisch makellos sind?

Vieles bleibt auf den Äckern liegen

In der Konsumwelt der Wohlhabenden werden Bedürfnisse geweckt, die wir vorher gar nicht hatten. Hier wird das Brot, das nicht am Tag seiner Herstellung verkauft worden ist, zu großen Teilen weggeworfen. Oder als Heizpellets im Ofen bzw. als Viehfutter  weiterverwertet.
Nicht minder kurios: Beträchtliche Mengen geernteten Gemüses finden erst gar nicht den Weg ins Geschäft, sondern bleiben auf den Äckern liegen. „Weil sie nicht zu vermarkten sind“, erläutert im Film der bekannte Biolandwirt Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Seine Kartoffeln sind eben vielfach zu klein, zu groß, zu falsch geformt, um von den Verbrauchern akzeptiert zu werden. Oder auch vom Handel, der möglichst gleich aussehende Früchte bevorzugt, um diese leichter verpacken zu können.

Da wegen all dieser inakzeptablen Fakten viel mehr produziert als eigentlich benötigt wird, führt das zu einem völlig unnötigen Energieverbrauch. Und auch zu höheren Preisen, die in den Industrieländern den meisten Menschen nicht wehtun, in Entwicklungsländern aber die Konsequenz haben, dass vieles Notwendige für arme Menschen unerschwinglich wird. Weil wir so unersättlich sind.

Rollende Küche „Rampenplan“

Es ist ein langer Weg, hier umzusteuern. Einer, der schon seit vielen Jahren ein markanter Protagonist der Gegenbewegung ist, heißt Wam Kat, ein Politikaktivist aus den Niederlanden. Bekannt wurde er als Mitbegründer der rollenden vegetarischen Küche „Rampenplan“, mit der er schon in den 1980er Jahren bei Großdemonstrationen etwa gegen Atomwaffen bisweilen mehr als 10.000 Menschen versorgt hat. Auf dem Toulonplatz in Mannheim treffen wir ihn mit blutroten Händen: Der 55-Jährige schnippelt gerade kiloweise Rote Beete für einen schmackhaften Salat. Und das Tolle daran ist: Wam Kat produziert seine Massen-Verköstigung zu einem hohen Prozentsatz aus Lebensmitteln, die die Supermärkte nicht mehr haben wollen. Traurig, dass mancher die Nase rümpft, wenn er von dem sogenannten Müll-Essen des Wam Kat hört. Dabei tritt der Niederländer in beeindruckender Art den Beweis an, dass dieses Essen makellos und genauso gut schmeckt wie im Restaurant. Und auch noch vegan daherkommt; selbst die Mayonnaise hat der gewiefte Koch ohne tierische Zutaten hergestellt.

Hat er das Gefühl, dass sein Kampf für einen ethischeren und verantwortungsvolleren Umgang mit Nahrung etwas verändert? „Auf jeden Fall“, sagt Wam Kat und schnippelt sein Gemüse weiter. „Mittlerweile gibt es deutlich mehr Geschäfte, die auch Gemüse verkaufen, das nicht ganz den üblichen strengen optischen Normen entsprechen.“ Und in den Supermärkten wachse die Bereitschaft, sich mit dem Thema konstruktiv auseinanderzusetzen. „Sie geben mir viel größere Mengen nicht mehr benötigter Lebensmittel als früher.“

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Ralph Allgaier arbeitet als Pressesprecher bei Misereor.

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