In Buenos Aires tagt vom 5.-9. November das „Lateinamerikanische Wassertribunal“, ein alternatives Gericht, dem besonders gravierende Fälle von Verletzungen des Menschenrechts auf Wasser vorgetragen werden können.
Das Tribunal ist eine unabhängige Instanz, das sich als Alternative zu den häufig chronisch überlasteten internationalen Gerichten etabliert hat. Sein spezifischer Focus liegt auf dem dem für das 21. Jahrhundert so überaus kritischen Thema Wasser. Sitz des Tribunals ist Costa Rica. Die Anhörungen finden aber abwechselnd in verschiedenen Ländern Lateinamerikas statt. In diesem Jahr tagt das Tribunal zum sechsten Mal.
Während die Anhörungen nur wenige Tage dauern, läuft der Vorbereitungsprozess dafür schon seit über einem Jahr: die Kläger haben in einem öffentlichen Ausschreibungsverfahren eine Petition zu ihrem Fall bei dem Tribunal eingereicht. Ein Fachgremium hat geprüft, ob alle formalen Bedingungen erfüllt sind, und darüber entschieden, welche Petitionen angenommen werden. Ist eine Klage von dem Tribunal akzeptiert, müssen die Kläger sämtliche Beweise für die vorgebrachte Anklage vorlegen – das heißt: schriftliche Unterlagen, mögliche Urteile von anderen Gerichten, Fotos, Videos, Zeugenaussagen usw. Sämtliches Material muss spätestens einen Monat vor der öffentlichen Anhörung beim Tribunal vorliegen. Dann werden auch die Angeklagten über die Klage informiert und über die Anklagepunkte unterrichtet.
Wer verklagt wen?
Die Ankläger sind in den meisten Fällen Gemeinden, Basisorganisationen oder Nichtregierungsorganisationen, welche selbst unter der Verletzung des Rechts auf Wasser leiden oder dieses Anliegen im Namen der direkt Betroffenen vortragen. Die Angeklagten sind in den meisten Fällen staatliche Institutionen oder Unternehmen. Alle Parteien – Kläger und Angeklagte – werden zur öffentlichen Sitzung des Tribunals eingeladen und bekommen bei Erscheinen die gleiche Redezeit zugewiesen wie die Kläger.
Das Gericht, das nach der Anhörung über den Fall berät und ein Urteil spricht, setzt sich in diesem Jahr aus 5 renommierten Persönlichkeiten aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas zusammen, die verschiedene Fachgebiete abdecken und hohes öffentliches Ansehen genießen. Ihnen steht zur Analyse des Sachverhalts ein wissenschaftlich-technisches Komitee zur Seite. Gemeinsam erarbeiten sie das Urteil sowie die Fundierung des Urteils zu den vorgetragenen Fällen.
Beim Sechsten Lateinamerikanischen Wassertribunal werden diesmal 5 Fälle vorgetragen – zwei aus Argentinien, einer aus Chile, einer aus Mexico, einer aus Peru. Alle fünf machen deutlich, wie häufig und wie schwerwiegend das Recht auf Wasser in Lateinamerika verletzt wird und wie dramatisch sich diese Verletzungen des Rechts auf Wasser für die Betroffenen auswirken.
Unternehmen und Regierungen verletzen das Recht auf Wasser
Häufig sind es große Unternehmen, die das Wasser alleine für ihre profitträchtigen Aktivitäten beanspruchen und Bauern und der ländlichen Bevölkerung das Wasser abgraben. Aber auch Regierungen treffen Entscheidungen, die schwerwiegende Auswirkungen auf das Vorhandensein von Wasser oder die Wasserqualität haben, wie einer der argentinischen Fälle zeigt, bei dem eine argentinische Provinz, die am oberen Flusslauf des Río Atuel sitzt, der benachbarten Provinz nur noch ein trockenes Flussbett beschert, weil sie das Wasser des Flusses auf dem eigenen Gebiet aufstaut und damit eine auf intensiver Bewässerung basierende Landwirtschaft betreibt, während in der Nachbarprovinz jegliche Landwirtschaft aufgrund fehlenden Wassers unmöglich wurde und sich das Land im Lauf der vergangenen Jahre in eine Wüste verwandelt hat – mit katastrophalen Auswirkungen für die dort ansässige Bevölkerung.
Das Gericht berät sich ausgiebig zu den Fällen und formuliert schließlich ein Urteil, das zwar rechtlich keine bindende Wirkung hat, aber dennoch als qualifizierte Meinung zu dem jeweiligen Fall einen wichtigen ethisch-appellativen Charakter hat und von der Presse wie auch den interessierten Akteuren als wichtiges Referenzurteil verstanden wird.
Urteile mit Blick auf die Zukunft
Das Tribunal blickt bei der Urteilsfindung nicht allein auf die Interessen der Parteien, sondern auch auf die Interessen der nachfolgenden Generationen. Denn – so einer der Grundsätze des Tribunals – niemand hat das Recht, einem anderen Menschen sein Recht auf Wasser streitig zu machen. Und so haben die aktuellen Generationen auch die Pflicht, den zukünftigen Generationen ausreichend Wasser in sauberer Qualität zu hinterlassen.
Das Lateinamerikanische Wassertribunal wird von Misereor finanziell unterstützt. Weil wir bei Misereor überzeugt sind, dass es zur Verwirklichung des Rechts auf Wasser und zur praktischen Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens mehr von diesen interdisziplinären Gremien braucht, die über den eigenen, mit technischen Ingredienzien gespickten Tellerrand hinausblicken und sowohl in fachlicher als auch in ethischer Hinsicht als auch bezüglich des Zeithorizonts, den sie in den Blick nehmen, ein weitsichtiges Urteil treffen.
Morgen werde ich im Detail über einen der vorgetragenen Fälle berichten.