Für Neri Montes ist es der wichtigste Termin des Tages: kurz vor sechs Uhr morgens. Dann kommt der Wasserlaster, der das blaue Plastikfass vor ihrem Haus auffüllt. „Morgens ist das Wasser noch einigermaßen sauber“, erzählt sie. Denn die Laster bringen kein aufbereitetes Wasser, sondern die oft trübe Brühe aus einem Fluss. Und dafür verlangen sie stolze Summen.
Leben zwischen Schmelzöfen und Müllhalden
Die 33-jährige Neri Montes kam als Kind nach Lomas de Carabayllo, einem Armenviertel am äußersten Rand der peruanischen Hauptstadt Lima. Hier leben über 100.000 Menschen in ärmlichen Häuschen. Zwischen den Hütten liegen Schmelzöfen, Ziegeleien und kleine Betriebe, die den Müll verwerten, den große Laster jeden Tag aufs neue in illegale Krater kippen.
Menschen, die es sich leisten können, im „offiziellen“ Lima zu leben, müssen nur ihren Wasserhahn aufdrehen. Daraus fließt Wasser von zumindest leidlich guter Qualität. Die Wassergebühren sind moderat.
Ganz anders ist das für Señora Montes. Sie ist auf die Tanklaster angewiesen, die früh morgens und oft auch nachmittags laut hupend über die staubigen Pisten brausen. Für dieses „Wasser“ gibt die Mutter von zwei Kindern eine Menge ihres kleinen Einkommens aus.
Deshalb bleibt mir auch der Mund offen stehen, als sie mich hinter ihre Hütte führt. Die hebt sich vorne kaum von der Nachbarschaft ab. Die Mauern aus Bruchziegeln der benachbarten Ziegelei, das Dach aus Maisstroh und löcheriger Plastikfolie. Aber hinter dem Häuschen stehe ich plötzlich in einem fast üppigen Garten: grüner Rasen unter meinen Füßen, Blumen, Bäume und sogar Bananenstauden finden sich hier.
Bananenstauden gegen Schwermetalle
„Meine Tochter hat zu viel Blei im Blut. Deshalb hege ich meinen Garten so. Ich hoffe die Pflanzen holen etwas Gift aus dem Boden“, erzählt mir Señora Montes. Wieviel Mühe und Aufwand muss es sie kosten, jeden Tropfen Wasser vom Fass vor dem Haus nach hinten in den Garten zu schleppen? Mein deutscher Pessimismus lässt mich denken: „Das ist doch ein aussichtsloser Kampf“. Aber Neri Montes macht einfach: Sie bewässert, zieht Setzlinge und pflanzt Stauden – so lange bis ihr Garten eine grüne Oase ist. Vielleicht kann er ihre Kinder nicht vor Blei, Kohlestaub und Cadmium schützen. Aber er ist ein schöner Ort zum Spielen. Und er zeigt ihren Kindern – mitten in einer lebensfeindlichen Umgebung – die Vision eines besseren Lebens.
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Ich lernte Neri Montes bei Treffen unser Partnerorganisation CIDAP kennen. Die MISEREOR-Partnerorganisation CIDAP unterstützt die Menschen in den Armenviertel dabei, ihre Rechte durchzusetzen. CIDAP leistet außerdem Aufklärung über Umweltgefahren, hilft mit praktischen Kursen, das Leben mit und von dem Müll besser zu bestreiten und schafft Öffentlichkeit für die Anliegen der Armen.
Das funktioniert nur, weil die Menschen in Lomas sich in Nachbarschaftsvereinen organisieren und nicht unterkriegen lassen. Neri Montes bringt es auf den Punkt: „Wir lassen uns nicht unterkriegen. Als Arme muss ich kurz vorm Sterben sein, bevor mir geholfen wird, aber CIDAP hat uns die Augen geöffnet. Ich mache weiter, bis ich umfalle.“
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„Das heilige Tal ist verseucht“ – Ein weiterer Blogbeitrag über die Menschen in Lomas de Carabayllo