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Brief an Gott

Ein Brief über Zweifel, Hoffnungen, Ängste. Darüber, wie unterschiedlich man glauben kann. Und darüber, wie schön, und gleichzeitig schwer es ist, Werk Gottes zu sein. Eine Aufforderung an jeden, sich über seine Verantwortung als Mensch bewusst zu werden.

Lieber Gott,

vielleicht bist Du überrascht, dass ich dir heute schreibe. Das habe ich eigentlich noch nie gemacht, aber jetzt ist mir irgendwie danach.

Du bist mir in den letzten Monaten in so vielen Geschichten, Gebeten, Liedern begegnet. Viel mehr, als ich es von Deutschland aus kenne, viel mehr, als ich es verstehen kann. Auf eine ganz andere Art bist Du hier präsent wie zu Hause, und wenn ich ganz ehrlich bin, dann verwirrt mich das ziemlich oft. Dann bin eingeschüchtert von dem großen Glauben und dem Vertrauen, welches die Menschen hier in Dich setzten. Manchmal auch überfordert, verängstigt, weil ich es nicht immer ganz verstehen kann.

In letzter Zeit habe ich viel über meine Beziehung zu Dir nachgedacht. Auch wenn ich nicht, wie soll ich es formulieren, ganz streng gläubig bin, so hast du doch bisher die meiste Zeit zu meinem Leben gehört: Taufe, Erstkommunion, Firmung, Messdiener.

Aber seit ich in Tansania bin, ist es nochmal alles anders. Die Menschen tragen Dich in ihren Herzen, feiern, loben und preisen Dich. Oft bist du das wichtigste, was sie in ihrem Leben haben und Du bist es, dem sie all ihre Sorgen und Ängste, Wünsche und Hoffnungen anvertrauen. Es sind immer wieder Kleinigkeiten, die mir das vor Augen führen. Ich erinnere mich an einen Abend, der Abend vor den Jahresprüfungen der vierten Klasse. Schon seit Tagen habe ich mit den Kindern dafür gelernt, so hatte ich es auch an diesem Abend vor. Doch sie wollten nicht lernen, sie wollten mit Dir reden, Dich um Unterstützung bitten. Erst war ich verwirrt, konnte es nicht so recht begreifen, aber dann habe ich auch verstanden, wie viel Mut, Selbstvertrauen und Ruhe Du ihnen für den kommenden Tag geschenkt hast.

Zu glauben, zu hoffen, zu beten scheint ganz einfach für sie zu sein. Für mich ist das nicht immer so. Manchmal habe ich das Gefühl, wir laufen auf zwei parallelen Straßen, ich kann Dich sehen, aber doch kommen wir nie an eine gemeinsame Kreuzung. Dann werde ich zum Grübler, Zweifler, frage mich ganz oft „Warum?“

Ich lasse meinen Blick schweifen über Dein Werk, und bemerke Risse, Ungereimtheiten. Ich frage mich: Warum sind Hunger und Durst ein ständiger Begleiter, ein dauerhafter Schatten über dem Leben vieler Tansanier und tausend anderer Menschen weltweit, während die meisten Menschen sich in Deutschland selten Gedanken darüber machen müssen, wie sie sich ihre nächste Mahlzeit finanzieren sollen? Wieso werden kleine Kinder geschlagen, gedemütigt, vergewaltigt? Warum ist das Leben manchmal einfach so verdammt ungerecht? Und warum bin ich es, die mehr an dir zweifelt, als die Menschen, die diese Ungerechtigkeit ertragen müssen, für die diese Ungerechtigkeit der tägliche Kampf ums Überleben bedeutet?

In meinem Inneren weiß ich, dass ich diese Fragen eigentlich nicht an Dich stelle, sondern an mich, an meine Mitmenschen, an uns, denn es sind wir, die für diese Risse und Ungereimtheiten verantwortlich sind. Die die Welt zu dem gemacht haben, wie sie jetzt ist.

Du hast uns geschaffen, als Krone der Schöpfung, als Werk deiner Liebe. Schaue ich mich um,  dann entdecke ich überall ein Stück davon: Wenn ich in die strahlenden Augen „meiner“ Kinder schaue, die seit sieben Monaten jeden einzelnen meiner Tage hier lebenswert machen, wenn ich abends auf dem noch warmen Sand liege, meine Augen schließe und den Wind auf meinem Gesicht spüre. Was gibt es schöneres, als das Werk deiner Liebe zu sein? Mensch zu sein, ist schön. Es bedeutet frei zu sein, Glück, Liebe und Zufriedenheit zu erfahren.

Mensch zu sein bedeutet aber auch, dass wir die Verantwortung haben, unsere Welt so zu gestalten, dass jeder in Würde leben kann. Dass wir nicht wegschauen, wenn wir sehen, dass andere leiden, hungern, sich zu Tode arbeiten, um das (Über)Leben ihrer Familie zu sicher.

Doch es ist nicht einfach. Oft scheitern wir daran, dass Du uns die Freiheit gegeben hast, zu machen, was wir für richtig halten. Denn wir wissen nicht immer, was das Richtige ist, oder wir wissen es, aber haben nicht den nötigen Willen, es umzusetzen. Ich frage mich manchmal, ob du traurig bist, wenn du auf uns runterschaust und was du empfindest, wenn du siehst, was wir uns und unserem Planeten antun.

Es ist unsere Aufgabe, das Leben für jeden lebenswert zu machen. Von jedem einzelnen allein, und gleichzeitig von allen zusammen. Du hast uns  die Kraft, den Willen, den Mut gegeben, zu leben, und Leben zu verändern. Dieser Weg ist schwer, steinig, voller Hindernisse und es liegt  an uns, ob wir es schaffe, ihn zu gehen. Ob wir es schaffen, unsere Welt zu verändern, jeden Tag ein bisschen mehr. Mit dir an unserer Seite.

Deine Maleen

Geschrieben von:

Maleen

Ich bin Maleen, 19 Jahre alt und habe seit diesem Sommer mein Abitur in der Tasche. Mit einem großen Koffer voller Hoffnungen, Erwartungen und Abenteuerlust geht es im August für mich „Weltwärts“

5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Luca

    Eine große große Menge Respekt von mir für diesen Artikel!!

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    So jung – so viel Verantwortungsbewusstsein – so viel Liebe.
    Ich umarme Dich!

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    Liebe Maleen,

    vielen Dank für diesen tollen Brief und dafür, dass du uns an deinen Gedanken teilhaben lässt. Beim Lesen wird wohl vielen so gehen wie mir: Ich kann deine Gedanken und Gefühle sehr gut nachvollziehen. Und ich beneide dich um deine Erfahrungen, die du in Tanzania machst. Mir fällt es im meinem schönen deutschen Alltag schwer daran zu denken, wie gut ich es habe und dass es nicht selbstverständlich ist. Ich denke viel zu selten an Gott. Und das ist schade. Danke, dass du mich daran erinnert hast!

    Liebe Grüße, Uta

  4. Avatar-Foto

    Liebe Maleen,
    vielen Dank für diesen tollen Beitrag der gleichzeitig berührt, nachdenklich stimmt und Optimismus und „Mut zu Taten“ weckt.
    Alles Gute für Deine weitere Zeit in Tansania!

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