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Südsudan: Je länger man wartet, desto mehr Gewalt wird es geben

Der Südsudan ist eines der ärmsten Länder weltweit. Im Dezember kam es in dem 2011 gegründeten Staat zu Kämpfen zwischen den Anhängern Präsidenten Salva Kiir Mayardit  und seines ehemaligen Stellvertreters Riek Machar, nachdem Kiir im Juli 2013 das gesamte Kabinett entlassen hatte. Auf beiden Seiten gab es Morde, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. Enrica Valentini, Direktorin des Katholischen Radio Netzwerks (CRN) im Südsudan, über die Lage im Land und die Bedeutung des Mediums Radio.

Wie ist die derzeitige Situation der Menschen im Südsudan?

Enrica Valentini

Enrica Valentini

Enrica Valentini: Es gibt Gebiete, in denen nicht gekämpft wird und wo das Leben fast normal weitergeht. Gleichzeitig gibt es Gegenden, die vollständig zerstört wurden wie die Städte Bor, Bentiu oder Malakal. Die meisten Einwohner sind geflohen. Viele haben in den Flüchtlingslagern der Hauptstadt Zuflucht gesucht. Sie leben auf engstem Raum. Es fehlt an Nahrungsmitteln und Trinkwasser. Die Unterkünfte stehen auf der bloßen Erde. Sobald es regnet, wird der Boden zu Schlamm. Die Gefahr von Krankheiten steigt. In einigen Gebieten soll bereits die Cholera ausgebrochen sein. Wenn die Menschen aufgrund der Sicherheitslage ihre Felder nicht bestellen können, droht eine Hungersnot. Die Lage wird noch einmal erschwert, weil der Beginn vieler Hilfsprogramme im Bereich ländlicher Entwicklung wegen der Kämpfe verschoben wurde.

Präsident Salva Kiir Mayardit ist Dinka, sein ehemaliger Stellvertreter Riek Machar Nuer. Welche Rolle spielt die Zugehörigkeit zu einer Ethnie?

Enrica Valentini: Eine Große. Den Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen gibt es schon lange, auch wenn er nicht immer offen ausgetragen wurde. Und nun wird er instrumentalisiert für einen politischen Kampf um Macht und Einfluss.

Was hat sich für Ihre Arbeit mit den Kämpfen verändert?

Enrica Valentini: Unsere Radiostation in Malakal wurde zerstört. Derzeit ist es noch zu gefährlich, um zurückzukehren. Deswegen wissen wir nicht, wie groß die Zerstörung ist und wann wir den Betrieb wieder aufnehmen können. Generell ist es schwierig geworden, an unabhängige Informationen heranzukommen. Schon vor den Kämpfen war es nicht einfach, weil Journalisten oft als Feinde angesehen wurden. Jetzt aber ist es schlimmer. Die Menschen haben Angst. Sie sind nicht mehr bereit, sich öffentlich zu äußern. Man erhält nur noch offizielle Verlautbarungen. Das macht es schwer, Informationen gegen zu checken und unabhängig zu berichten.

Wie haben die Sender von CRN auf den Ausbruch der Gewalt reagiert?

Enrica Valentini: Alle Sender haben sofort damit begonnen, Friedensbotschaften zu verbreiten. Wir  haben daran erinnert, dass wir ein Land, dass wir alle Südsudanesen sind; dass es keinen Grund gibt zu töten, dass man Konflikte gewaltfrei lösen muss. Wir haben auch ganz konkret dazu aufgerufen, Flüchtlingen zu helfen. Und wir haben religiöse Führer und Gemeindevorstände eingeladen, um über Frieden und die richtige Reaktion auf die Gewalt zu diskutieren.

In Ihren Sendungen geben Sie auch Ihren Hörern die Möglichkeit, sich zu äußern.

Enrica Valentini: Wir wollen nicht belehren. Wir wollen mit den Hörern ins Gespräch kommen und ihnen eine Öffentlichkeit bieten. Deswegen gibt es die Möglichkeit, per Telefon mit zu diskutieren. Das funktioniert sehr gut, weil fast jeder ein Mobiltelefon hat. Speziell zum Thema Frieden starten wir gerade ein Programm, bei dem Hörer anrufen und berichten sollen, wie sie selbst zu Friedensstiftern werden, indem sie sich durch persönliche Aktionen für Frieden einsetzen. Das ist wichtig, denn die Meinung ist weit verbreitet, dass jeweils ‚die Anderen‘ schuld sind. Durch unsere Sendungen versuchen wir, diese Perspektive zu ändern. Dafür reicht ein Radioprogramm natürlich nicht aus. Deshalb wollen wir ein breit angelegtes Versöhnungsprojekt anstoßen. Im November waren Kollegen von mir in Burundi, um sich mit anderen Organisationen auszutauschen, die bereits Erfahrung mit Versöhnungsarbeit haben. Das braucht Zeit. Aber je länger man wartet, desto mehr Gewalt wird es geben.


Mehr Informationen…

…zum Katholisches Radio Netzwerk

Die neun Stationen (acht im Südsudan, eine in den Nuba-Bergen) erreichen rund vier Millionen Menschen – über ein Drittel der Bevölkerung. Die Sendungen werden in lokalen Sprachen ausgestrahlt. Je nach Zielgruppe werden verschiedene Themen wie Gesundheit, Landwirtschaft oder Menschenrechte aufgegriffen. Es gibt Expertengespräche, Diskussionen mit Hörern, Menschen berichten im Radio von ihren eigenen Erfahrungen und Erlebnissen. Ganz gezielt richten sich die Programme auch an Bevölkerungsgruppen, die oft vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen sind: Kinder, Jugendliche und Frauen. Angesichts des Konfliktes ist zu befürchten, dass viele Radiosender in ihrer Pressefreiheit eingeschränkt werden. Umso wichtiger sind die unabhängigen Sender des Katholischen Radio Netzwerkes.

…zur Bedeutung des Radios

Rund 70 Prozent der Südsudanesen über 15 Jahre können nicht lesen und schreiben. Es gibt fast keinen Strom, also hat auch das Fernsehen nur begrenzte Reichweite. Das Radio ist die zweitwichtigste Informationsquelle – nach der mündlichen Nachrichtenübermittlung.


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Petra Kilian arbeitet im Berliner Büro von MISEREOR.

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