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Als das Leben sinnlos geworden war

Ruanda 20 Jahre nach dem Völkermord: Eine Wander-Ausstellung erzählt die Lebensgeschichten von Überlebenden, Tätern und Mitläufern.

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Die langen Schatten des Völkermords Ruanda: Die Ausstellung „Fractured lives“ versucht das Unfassbare fassbar zu machen

Sprechen wir über Marie Mukarutabana: Als vor gut 20 Jahren in Ruanda der Genozid begann, floh sie aus der Hauptstadt Kigali in den Norden des Landes. Unterwegs sah sie tausende verstümmelte Leichen. Auch sie wurde von Milizen angegriffen, konnte ihnen aber entkommen.  Als sie später wieder nach Hause zurückkehrte, waren alle ihre Angehörigen tot.  Völlig verzweifelt stellte sie fest: „Ohne Familie ist das Leben für mich sinnlos“. Heute allerdings hat sie wieder neue Zuversicht gewonnen. Dank der Hilfe der MISEREOR-Partnerorganisation „International Alert“  schloss sie sich einem Gesprächskreis an, um das Unfassbare mit anderen aufzuarbeiten. „Die Traumaberatung, aber auch der Austausch mit anderen Betroffenen hat mir geholfen, meine Wut in den Griff zu bekommen“, sagt Marie Mukaratubana.

„Fractured lives“ – Zerbrochene Leben

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„Jeden Tag musste ich das Morden mit ansehen. Ich habe nichts getan, um das Blutvergießen zu verhindern, weil ich selbst um mein Leben fürchtete“ Chantel Zanika

Die ruandische Frau gehört zu jenen Menschen, deren Geschichte in der MISEREOR-Ausstellung  „Fractured Lives“ erzählt wird. Die Schau ist bis zum 5. Juni im Mainzer Dom zu sehen und basiert auf Recherchen der Fotografin Caroll Allen Storey, die 2012 auf Spurensuche in Ruanda unterwegs war und Überlebende des Genozids von 1994 – Opfer wie Täter – getroffen und deren Lebensgeschichten in Zitaten und Fotografien dokumentiert hat.

So lernen wir auch Hesron Kashia kennen, der berichtet, dass er von Behörden gezwungen worden sei, beim Morden mitzumachen. Anderenfalls werde er selbst umgebracht.  So gehörte er zu den Akteuren jener unheilvollen 100 Tage, in denen schätzungsweise eine Million Menschen in Ruanda ermordet wurden. Als diese Tage des Schreckens zu Ende waren, floh Kashia in den Kongo, versteckte sich im Urwald, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen. Gefasst wurde er dennoch, es folgten zwölf Jahre Haft. Als er seine Strafe abgesessen hatte, fürchtete er die Rache von Tutsis. Auch er ging in die Dialog-Foren von „International Alert“, um das Unbegreifliche verarbeiten zu können.

Wie kann Versöhnung gelingen?

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Opfer und Täter müssen oft im selben Dorf weiterleben.

Esperance Niyoyitu  erlebte, wie Hutu-Rebellen ihr Haus überfielen und ihrem Neffen befahlen, seine Mutter umzubringen. Als er sich weigerte, wurde der Neffe auf furchtbare Weise gequält und getötet, die Mutter ebenfalls in grausamer Weise umgebracht. Claudine Muteqwasale musste mit ansehen, wie Milizen ihre gesamte Familie töteten. Nur sie ließen sie am Leben, vergewaltigten sie aber immer wieder. Auch sie stellte fest: „Es gab nichts mehr, für das zu leben es sich gelohnt hätte“.

Die Wunden von damals sind längst nicht verheilt, der Prozess der Versöhnung und der Suche nach einem neuen Miteinander wird noch lange weitergehen müssen. Doch in der Begegnung zwischen Opfern und Tätern wird oft deutlich, dass alle ähnliche Probleme haben, dass Hilfe möglich ist, um mit dem Verlust der nächsten Angehörigen umzugehen und den eigenen Zorn überwinden zu können.

Es ist nicht leicht, sich in der Ausstellung im Mainzer Dom mit immer neuen Details dieser unfassbaren Verbrechen im Runda des Jahres 1994 auseinanderzusetzen. Der britische Künstler Tom Morgan hat die auf Stoff applizierten Bilder und Texte in einer Weise arrangiert, die eine Vorstellung von der Beklemmung und Verzweiflung vermittelt, die der Genozid ausgelöst hat. Man kann sich zwischen den fragilen, beweglichen Exponaten leicht verlieren, kann sich in die Enge getrieben fühlen, der Weg durch die Ausstellung ist nicht klar vorgegeben, man muss sich auf Orientierungssuche begeben. Vielleicht lässt all das erahnen, was der Völkermord für das ruandische Volk bedeutet haben mag.

Aus Fehlern der Vergangenheit lernen?

„Angesichts aktueller Entwicklungen in verschiedenen Ländern mahnt uns die Ausstellung auch, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen und rechtzeitig zu handeln“, sagte Maria Klatte, Leiterin der Abteilung Afrika und Naher Osten bei MISEREOR, bei der Eröffnung der Schau im Beisein von Karl Kardinal Lehmann und dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz. „Die Ereignisse der letzten Wochen in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan und im Sudan rufen die internationale Gemeinschaft in exemplarischer Weise dazu auf, gerade in fragilen Kontexten rechtzeitig aktiv zu werden, um kriegerische Auseinandersetzungen, Flucht und Töten zu verhindern“, betonte Klatte. Niemals soll wieder eine Situation wie 1994 im Fall Ruanda eintreten, dass die Welt einem Völkermord weitgehend tatenlos zusieht.

Mehr Informationen zur Ausstellung

Mehr lesen über Konzept & Ausleihe der Ausstellung „Fractured lives“ auf www.misereor.de

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Ralph Allgaier arbeitet als Pressesprecher bei Misereor.

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