Meine Kollegen hatten mich gewarnt: im Juni, nach Indien? Dann würde ich genau während des Monsuns dort ankommen! Man muss kein Meteorologe sein, um zu wissen was das bedeutet. Bilder von Südasien zur Regenzeit kennt jeder – Wolkenbrüche, überflutete Straßen und Menschen, die durch knietiefes Wasser stapfen, um zur Arbeit zu kommen. Den letzten Samstag vor meiner Ausreise verbrachte ich also damit, mir adäquate Regenbekleidung zu besorgen – im Wesentlichen ein übergroßer Poncho: ob das reichen würde?
Vor etwa zwei Wochen bin ich in Mumbai angekommen und seitdem trage ich meinen Poncho nun immer bei mir. Morgens auf dem Weg ins Büro, und abends auf dem Rückweg genauso – allerdings bisher vollkommen umsonst. Vom legendären Dauerregen des Monsuns ist nämlich nichts zu sehen. An den Abenden bauen sich zwar immer mal wieder verheißungsvolle Wolken über der Bucht vor Mumbai auf, aber dann ziehen sie in der Regel doch unverrichteter Dinge weiter. Dies ist sicher eine der Erfahrungen, die jeder Indienreisende bestätigen kann: egal wie gut man versucht, sich vorzubereiten, der Subkontinent findet einen Weg diese Pläne zu durchkreuzen oder zumindest zu verzögern. Was für mich eine weitere Anekdote über die grundsätzliche Unmöglichkeit ist, sich auf ein Land wie Indien einzustellen, entwickelt sich für die Menschen hier zu einem echten Problem. Der indische Monsun ist eines der stabilsten Klimaphänomene unseres Planeten und im Normalfall lässt sich ziemlich genau vorhersagen, wann der Regen welche Region von Indien erreichen wird. Genauso sicher lässt sich nun allerdings auch vorhersagen, um wie viele Tage sich der Monsun schon verspätet. Schon jetzt fehlen 42% der üblichen Regenmengen, die zu diesem Zeitpunkt hätten fallen sollen.
Alle warten auf den Monsun
Derzeit gibt es daher zwei große Sorgen, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Die erste ist, dass der Regen in diesem Jahr ausbleibt und es zu einer Dürre kommt. Indiens Landwirtschaft ist seit Jahrtausenden auf den Monsun ausgerichtet. Eine starke zeitliche Verschiebung des Regens oder zu wenig Niederschläge würden verheerende Auswirkungen für die Bauern haben und auch die Lebensmittelpreise deutlich in die Höhe treiben. Gleichzeitig sind Megastädte wie Mumbai oder Delhi zwingend darauf angewiesen, in den Regenmonaten ihre Wasserreservoirs aufzufüllen. Sollte dies in diesem Jahr nicht möglich sein, werden die Städte unter Wasserknappheit leiden. Die zweite Sorge ist, dass der Regen „nachgeholt“ wird. Das würde bedeuten, dass sich der Regen auf wenige Tage oder Wochen konzentriert, statt kontinuierlich über die Sommermonate hinweg niederzuschlagen. Wie 2005 und 2006 schon könnte es dann zu massiven Überschwemmungen kommen, die damals viele Tote forderten und unzählige Menschen obdachlos machten. Ob Ernteverluste, steigende Lebensmittelpreise oder Überflutungen: die Armen werden in jedem Fall davon am stärksten betroffen sein.
Nicht genug Regen in Indiens Nordwesten
Die Vorhersagbarkeit des Monsuns hat allerdings auch Vorteile. So kann man schon sehr früh absehen, dass es wahrscheinlich nicht genug regnen wird. Für den Nordwesten des Landes stehen die Chancen bereits jetzt sehr schlecht: mit einer Wahrscheinlichkeit von 75% bis 80% wird es dort zu einer Dürre kommen. Um frühzeitig darauf reagieren zu können, wurde vom indischen Staat ein nationaler Krisenmanagement-Plan zur Unterstützung der Farmer entwickelt. Schon ende Juni wurden die einzelnen Bundesstaaten angewiesen, ausreichend finanzielle Mittel für dessen Umsetzung bereitzuhalten. Noch besteht die Chance, dass der Monsun zurück in alte Bahnen findet, sie wird aber mit jedem Tag, an dem es nicht regnet, etwas kleiner. Ansonsten bleibt zu hoffen, dass im Ernstfall die Umsetzung des Notfallplans gelingt.