Eklatante Widersprüche zwischen dem bestehenden strengen Regelwerk und laxer Genehmigungspraxis sind prägendes Merkmal deutscher Rüstungsexportpolitik. Diesen skandalösen Zustand dokumentiert eindrucksvoll der Rüstungsexportbericht 2014 der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung / GKKE.
Obwohl Artikel 26.2 des Grundgesetzes und die 2000 von der Rot-Grünen Regierungskoalition verabschiedeten politischen Grundsätzen die Bundesregierung zu einer streng restriktiven Rüstungsexportpolitik verpflichten, gehört Deutschland seit Jahren zu den weltweit führenden Exportnationen von Kriegswaffen und Rüstungsgütern mit einem Anteil von ca. 7% nach den USA und Russland.
Das diesjährige Schwerpunktthema des GKKE-Berichts greift die Proliferation, also die Verbreitung von Klein- und Leichtwaffen auf. Die Zahlen zeigen, dass sich unter den Abnehmern zahlreiche Drittstaaten befinden, deren gesellschaftliche Legitimität zweifelhaft ist oder die sich in akuten Konfliktgebieten befinden. Besonders die illegale Weitergabe von Kleinwaffen stellt ein weltweites Risiko dar. Jüngste Beispiele in Libyen zeigen, wie schwierig die Kontrolle staatlicher Waffenbestände ist und wie verheerend sich ihre unkontrollierte Verbreitung in der Sahelzone ausgewirkt hat. Unzählige Waffen aus den libyschen Beständen sind mit ehemaligen Tuareg-Söldnern nach Mali gelangt und haben dadurch zur gewaltsamen Eskalation der Konfliktsituation beigetragen. Zusätzlich enthüllten die mutmaßlichen Exporte der deutschen Waffenfirma SIG Sauer aus Eckernförde über die USA nach Kolumbien die Schwäche der deutschen Exportkontrolle.
Die Tatsache, dass die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag die strikte Beachtung des strengen Regelwerks für eine restriktive Rüstungsexportpolitik ausdrücklich bekräftigt haben, ließ Hoffnungen zu einem Kurswechsel aufkeimen. Bestärkt wurden sie durch Äußerungen des zuständigen Fachministers und Vizekanzlers Siegmar Gabriel und seiner vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gehaltenen Grundsatzrede. „(…) viele Waffen werden in die Krisenstaaten geliefert, wo sie bewaffnete Konflikte erst möglich machen, verschärfen oder verlängern“. Und weiter zitiert Wirtschaftsminister Gabriel einen zentralen Satz der politischen Grundsätze: „Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen“. Trotz allem besteht die Gefahr, betonte Prälat Martin Dutzmann, evangelischer Vorsitzender der GKKE bei der Vorstellung des Berichts in der Bundespressekonferenz „dass aus ökonomischen Erwägungen Waffenlieferungen genehmigt werden, die der politischen Klugheit und Ethik widersprechen“. Als ein Beispiel nennt der GKKE-Bericht den Verkauf von 146 Patrouillenbooten an Saudi-Arabien. Die Regierung hatte das Geschäft mit Verweis auf die hohe beschäftigungspolitische Bedeutung genehmigt und zudem mit einer staatlichen Hermes-Kreditbürgschaft abgesichert. Saudi-Arabien ist zweifellos ein Land mit einer äußerst bedenklichen Menschenrechtssituation.
Der von der GKKE in all ihren Berichten eingeforderte friedenspolitisch dringend gebotene Kurswechsel einer restriktiven Genehmigungspraxis ist jedoch nicht erkennbar. Beleg dafür ist der auf ein Rekordniveau gestiegene Anteil von 63,5% der Genehmigungen für Rüstungslieferungen an sogenannte Drittstaaten außerhalb von EU und NATO. Besorgniserregend ist die stark angestiegene Bedeutung nordafrikanischer Staaten und insbesondere von Algerien und Länder des Nahen und Mittleren Ostens wie Katar und Saudi Arabien als Abnehmer deutscher Waffenlieferungen.
Prälat Karl Jüsten, katholischer Vorsitzender der GKKE, formulierte in seiner Stellungnahme den Bewertungsmaßstab für einen Kurswechsel. „Erst wenn Lieferungen in Drittstaaten, in Konfliktregionen und in Länder mit bedenklicher Menschenrechtssituation signifikant und anhaltend zurückgehen, werden wir von einem vollzogenen Politikwechsel oder einer Kehrtwende sprechen.“
Über den Autor: Dr. Volker Kasch arbeitet als Referent im Berliner Büro von MISEREOR und ist Mitglied der GKKE-Fachgruppe „Rüstungsexporte“