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3 Fragen an: Jocelyne Colas Noel – „Zugang zu Bildung ist teuer“

Als 2010 die Erde in Haiti bebt, werden tausende Schulen zerstört. Auch wenn diese fünf Jahre nach dem Beben wieder mühsam aufgebaut wurden: das Bildungssystem des Landes ist noch immer in einem desolaten Zustand. Jocelyne Colas Noel ist Direktorin der Kommission Justice & Paix in Haiti, die sich für soziale Gerechtigkeit, Sicherheit und die Rechte der Bevölkerung einsetzt. Im Interview spricht sie über die Chancen der haitianischen Kinder auf Bildung.

Jocelyne Colas Noel ist Direktorin der Kommission Justice & Paix in Haiti.

Jocelyne Colas Noel ist Direktorin der Kommission Justice & Paix in Haiti.


Wie ist der Zugang zum Bildungssystem in Haiti?

Es gibt nur rund 20 Prozent staatliche Schulen, das macht – mit Ausnahme der Hauptstadt Port-au-Prince – eine öffentliche Schule pro Kommune. Es stimmt vielleicht, dass in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Schüler gewachsen ist, aber der Zugang zu Bildung für die ärmeren Haitianer ist ein großes Problem: Privatschulen, die den Großteil der Schulen im Land ausmachen, sind sehr teuer. Viele Haitianer haben aber kein Geld, das Schulgeld für ihre Kinder zu bezahlen. Sie verdienen zu wenig oder sind arbeitslos. Viele leben von weniger als zwei US-Dollar am Tag. Außerdem sind es wenige Jugendliche, die die Universität besuchen können, denn es fehlt an Plätzen. Daher verlassen die guten Schüler Haiti um im Ausland zu studieren, sie gehen nach Amerika, Frankreich, in die Domenikanische Republik. Und kehren oft nicht zurück. Hinzu kommt das Problem der Qualität des Unterrichts.

Welche Probleme gibt es hinsichtlich der Unterrichtsqualität?

Fortbildungen für die Lehrer, Unterrichtskontrollen und Mittagsessen für die Kinder fehlen. In die wenigen öffentlichen Schulen, es gibt vielleicht 45 staatliche Oberstufen im Land, gehen durchschnittlich 60 bis 100 Kinder in nur eine Klasse. Zudem stammt die letzte Bildungsreform aus der Ära Bernard, das war 1979. Seither hat sich überhaupt nichts geändert. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Vor allem wird, so finde ich, die Landessprache Kreol noch immer nicht richtig in den französischsprachigen Unterricht integriert. Es ist doch so: Die Menschen und Kinder in Haiti reden Kreol im Alltag, sie denken und reflektieren auf Kreol. Es geht darum, dass sie Inhalte verstehen – und nicht bloß wiederholen. In Deutschland wird der Unterricht doch auch erst einmal in der Muttersprache gehalten. Die Regierung macht jedoch nicht den Anschein, als dass sie irgendetwas an diesen gravierenden Problemen ändern wolle. Es gibt all diese Erfahrungen, all diese Diskussionen schon lange, aber der Staat hört weg.

Marie Josianne Kenezo (4 Jahre) lernt bereits in den neuen Klassenräumen der Schule von Grand Boulage, Haiti; Foto: Florian Kopp

Am liebsten singt Marie Josiane, wenn sie die Vorschule besucht. Foto: Florian Kopp

Es gibt jedoch staatliche Programme, um auch den Ärmsten Unterricht zu ermöglichen…

Ja, eines ist beispielsweise die „Gratisschule“ (école gratuite), aber dieses Programm steht unter großer Kritik. Es geht dabei um Vorwürfe von Korruption, dass die Lehrer nicht ausreichend bezahlt und erst gar keine Unterrichtsmaterialien angeschafft werden. Das viele Geld, das der Staat angeblich in diese Programme steckt, kommt bei den ärmsten Kindern einfach nicht an. Natürlich haben sich nach dem Beben viele Dinger verändert, aber im Bereich Bildung, sehe ich diese noch  nicht. Die Schere zwischen arm und reich wird immer größer – und es gibt nicht wirklich staatliche Vorhaben, diese Kluft zu reduzieren. Jedes Beben, jeder Zyklon, jede Katastrophe wird diese Probleme weiter verstärken.


Nothilfe für Haiti – 16 Millionen Euro für den Wiederaufbau

Seit dem schweren Erdbeben im Januar 2010 hat das Hilfswerk Misereor den Wiederaufbau des Landes mit rund 16 Millionen Euro unterstützt. Unmittelbar nach dem Beben wurden dafür gesorgt, dass der Unterricht an den teilweise völlig zerstörten Schulen in Haiti weitergeführt werden konnte: Misereor finanzierte Lehrergehälter, schaffte Lernmaterialien an und renovierte Klassenräume. Grand Boulage ist die erste Schule, die in Eigenregie der Gemeinde und aus lokalen Materialien hergestellt werden konnte – sie soll in Zukunft als Referenzbau für weitere Schulen dienen. Zudem wurden rund 840 Häuser errichtet bzw. repariert, Handwerker ausgebildet, agrarökologische Projekte, Wiederaufforstungsprogramme und die Berufsbildung von Straßenkindern angestoßen sowie die Bereiche Friedensbildung, Konfliktlösung und Traumabewältigung seitens der Kommission Justice & Paix unterstützt.


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Schule der Zukunft – 5 Jahre nach dem Erdbeben in Haiti

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Rebecca Struck hat als persönliche Referentin von MISEREOR-Chef Pirmin Spiegel gearbeitet.

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