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Mit Rotationsfonds zu mehr finanzieller Selbsbestimmung

Bürokratische Hürden und hohe Zinsen erschweren den Kleinbauern in Argentinien noch immer den Zugang zu Krediten und Subventionen, die aber dringend gebraucht werden, um Investitionen für bessere Produktions-und Lebensbedingungen zu tätigen. Derweil gewinnen Rotationsfonds („Fondos Rotatorios“) und Mikrokredite als alternative Finanzinstrumente an Bedeutung und werden als Element der Sozialwirtschaft nach und nach für den Sektor zugänglich. In den letzten Monaten hatte ich die Gelegenheit, in Zusammenarbeit mit mehreren Kleinbauerngruppen verschiedene Fonds kennenzulernen und einen Austausch über ihre Möglichkeiten und Vielfalt mitzugestalten.

Was sind Rotationsfonds?

Rotationsfonds werden von einer Gruppe partizipativ verwaltet, um gemeinsame Ziele zu erreichen und Bedürfnisse zu decken. Wie der Name schon sagt, rotiert dieser Fond in der Gruppe: Geld wird entnommen, um eine Investition für die Gruppe zu tätigen oder Kredite an die Mitglieder zu vergeben. Nach Ablauf der vereinbarten Frist wird der Anteil an den Gemeinschaftsfond zurückgezahlt und der Kreislauf beginnt von Neuem. Somit steht der Fond langfristig als Finanzierungshilfe zur Verfügung. Für den Erfolg des Fonds spielen zwei Schlüsselwerte der Sozialwirtschaft eine grosse Rolle: Solidarität und Gerechtigkeit. Wenn sich alle Mitglieder dieser Werte bewusst sind, ist es möglich, einen gemeinsamen Fond als Gruppe zu verwalten und den Anspruch eines einzelnen abhängig von Notwendigkeit und Situation zu bestimmen. Die Verteilung ergibt sich nach dem Prinzip “jedem das, was er benötigt” und nicht “gleicher Anteil für alle”. Wer solidarisch denkt stellt sicher, dass ein Anderer ebenfalls vom Fond profitieren kann, was nur durch die Rückzahlung garantiert wird. Soweit die Theorie.

Auch wenn der Staat bereits einzelne Rotationsfonds fördert, sind es vor allem die Akteure der Sozialwirtschaft, wie zum Beispiel Stiftungen und NGOs, die auf unbürokratische Weise Mittel für Rotationsfonds bereitstellen und ihre Implementierung voranbringen.

Während des Workshops zum Thema Rotationsfonds

Während des Workshops zum Thema Rotationsfonds

Ob Ziegenzucht, Marmeladengläser oder Ökokampagne- der Rotationsfond macht’s möglich!

Beim Treffen zwischen den verschiedenen Gruppen Mitte April wird sofort klar, dass bei der Ausgestaltung der Rotationsfonds keine Grenzen gesetzt sind. Was zählt, ist zu wissen „Was sind die Hauptziele meiner Gruppe?“ und „Was brauchen wir, um diese zu erreichen?“.

Für die Marktguppen von Itatí (Provinz Corrientes) und El Colorado (Provinz Formosa) ist es besonders wichtig, ihre Marmeladen und ihr eingemachtes Fleisch und Gemüse zu einem zugänglichen Preis auf dem Wochenmarkt zu verkaufen. Dafür brauchen sie möglichst günstige Einmachgläser, Zucker, Etiketten etc., denn sie bestimmen massgeblich die Produktionskosten. Die rasante Inflation kommt als erschwerender Faktor hinzu und lässt im Einzelhandel wöchentlich die Preise steigen. Mit dem Rotationsfond ist es für die Gruppen möglich geworden, Materialien in beträchtlicher Menge beim Grossmarkt zu kaufen und so an ihre Mitglieder zu ⅓ des üblichen Preises weiterzuverkaufen. Durch den internenVerkauf wird der Gemeinschaftsfond wieder aufgefüllt, um eine neue Ladung an Gläsern etc. zu kaufen. Ohne Fond wäre dieser Grosseinkauf undenkbar, denn für die Produktoren ist eine derartige Vorauszahlung nicht möglich.

Verkäuferinnen auf dem Marktplatz von Itati

Verkäuferinnen auf dem Marktplatz von Itatí

Ganz anders sieht der Rotationsfond im Falle der Produtkorengruppe Ña Cambacha in Villa 213 (Provinz Formosa) aus. Ihnen fehlte es an einer Art Notfallkapital und einer neuen, konstanten Einkommensquelle. Klingt erstmal kompliziert, doch mithilfe von INCUPO und Caritas wurde ein Ziegen-Rotationsfond aufgebaut, der genau diese Probleme löste. Alles begann mit 7 Familien, die jeweils 4 Ziegen bekamen. Innerhalb von einem Jahr mussten sie die gleiche Anzahl an Jungtieren an neue Familien “zurückzahlen”; diese Familien machten das gleiche im nächsten Jahr. Auf diese Weise konnten 20 Familien mit der Ziegenhaltung beginnen. Während Caritas die finanziellen Mittel bereitstellte, übernahm INCUPO die technische Vorbereitung: jede Familie musste an Kursen über die Ziegenhaltung teilnehmen und daraufhin den passenden Lebensraum für die Tiere bereitstellen. Die Familien wurden auch in der Herstellung von Ziegenkäse geschult, den sie als zusätzliches Produkt auf dem Markt verkaufen. In ihrer Funktion als “Notfallkapital” half der Verkauf einzelner Ziegen in Momenten als Angehörige erkrankten und eine Behandlung nötig war oder die Schulquote der Kinder fällig wurde und keine Bargeld zur Verfügung stand- mittlerweile kann jede Familie dazu eine Geschichte erzählen! Der positive Nebeneffekt dieses Tierfonds: durch die Rückzahlung in Ziegen wurde das Inflationsproblem geschickt umgangen.

Mit Kollegin Araceli Pared zu Besuch bei Familie Ballude und ihren Ziegen

Mit Kollegin Araceli Pared zu Besuch bei Familie Allende und ihren Ziegen

Der Rotationsfond der Agrarökolgie-Gruppe“Tres Colonias“ von Bella Vista (Provinz Corrientes) hat wiederum ein ganz anderes Perfil. Diese Gruppe gehört mit ihrem agrarökologischem Ansatz zu den absoluten Vorreitern in Argentinien, wo die Agrochemie in Dünge- und Pflanzenschutzmittel die Landwirtschaft dominiert. Genauso revolutionär wie ihre Produktionsmethoden ist auch das Konzept ihres Rotationsfond: Die Gruppe nutzt ihren Gemeinschaftsfond, den sie mithilfe der Stiftung Nuevos Surcos aufbauen konnten, um Landwirten Kredite zu geben, die sich der agrarökologischen Produktion anschliessen möchten. Mit einem minimalen Zinssatz von 5 % (Banken geben Kredite zu Jahreszinsen von über 50%!) ermöglichen sie so erste Investitionen wie zum Beispiel den Bau von Wurmkompostierern, die zur ökologische Düngung verhelfen. Der Rotationsfond ist für die Gruppe somit ein wichtiges Instrument, um ihr politisches und ideologisches Ziel zu fördern und die Verbreitung der Agrarökoligie in ihrer Region voranzutreiben. Leider ist auch diese Gruppe von den Folgen der Inflation betroffen: während ihre Kredite zu Beginn der Initiative noch reichten, um Kompostierer und Schattennetze zu finanzieren, gelten sie mittlerweile nur noch als Zuschuss für eine der beiden Installationen- den Rest muss der Landwirt zusteuern.

Mitglieder der Agarökologischen Gruppe berichten mir und Kollege Freddy Fleita von ihrerm Rotationsfond

Mitglieder der Agarökologischen Gruppe berichten Kollege Fernando Fleita und mir von ihrem Rotationsfond

Rotationsfonds fördern Dialog und Zusammenhalt in der Gruppe

Nach meinen Gesprächen und Erfahrungen mit den verschiedenen Gruppen halte ich die Rotationsfonds für ein interessantes Mittel, damit Kleinbauerngruppen unabhängiger gegenüber  politischen Wechseln werden können. Mit jeder Neuwahl werden die Karten neu gemischt und niemand kann sich darauf verlassen, ob staatliche Subventionen kommen oder nicht- derzeit steckt Argentinien im Wahljahr und das Budget für die familiäre Landwirtschaft ist praktisch eingeforen. Gleichzeitig verpflichtet die gemeinschaftliche Fondverwaltung die Gruppenmitglieder dazu, dass sie im ständigen Dialog miteinander stehen und Entscheidungen über das Ziel und die Ausgestaltung des Fonds treffen. Ausserdem sind Verantwortung gegenüber der Gruppe und das Vertrauen untereinander zentrale Erfolgsfaktoren für den Rotationsfond. Beides erscheint mir wichtig, damit die Gruppen sich weiterentwickeln und wachsen können.

Geschrieben von:

Claudia

Meine Name ist Claudia, ich bin 23 und komme aus dem schönen Nöggenschwiel im Südschwarzwald. Meinen Freiwilligendienst verbringe ich im Nordosten von Argentinien bei der Organisation IN.CU.PO. Die Organisation unterstützt Kleinbauern und indigene Gruppen dabei, ihren Grundbesitz zu verteidigen und bietet ihnen Bildungsangebote. Im Juni diesen Jahres habe ich mein Studium in internationaler BWL abgeschlossen und freue mich jetzt schon sehr auf Argentinien, auf die vielseitige Kultur und vor allem auf die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort!

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Liebe Claudia! Ich hoffe du kannst deinen „letzten“ Monat in Argentinien noch geniessen!
    Ich freu mich jetzt schon, dich in Nöggi zu besuchen!!

    Viele liebe Grüsse und „hasta luego“ Ruth

  2. Avatar-Foto

    Liebe Claudia,
    wow, jetzt habe ich wirklich viel dazu gelernt, indem ich deinen Beitrag gelesen habe. Diese Fonds sind eine tolle Sache und da sieht man mal wieder, dass die meisten Sprichwörter einen wahren Kern haben, so auch folgendes: „Auch Kleinvieh macht Mist.“. Mit kleinen Dingen viel bewirken. Die Frau neben den Gläsern, deren Inhalt sehr lecker aussieht, sieht auf jeden Fall sehr stolz und zufrieden aus.
    Liebe Grüße, Uta

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