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Brasilien: „Den glimmenden Docht nicht auslöschen“

Mit diesem Zitat aus dem Propheten Jesaja verabschiedet uns Luiz Kohara, einer der Geschäftsführer des Centro Gaspar Garcia, einem unserer Partner in Sao Paulo.

Favela in Sao PauloEr und vor allem René, der andere Geschäftsführer haben uns Misereor-Mitarbeiter fünf Tage lang Sao Paulo gezeigt. Natürlich nicht das ganze Sao Paulo, wo 11,6 Millionen Menschen in der Stadt und 19,6 in der gesamten Metropolitanregion leben. Es waren Ausschnitte, in denen wir vor allem die Schattenseiten der Stadt und ihre enormen Widersprüche erfahren durften und mussten.

Müll und Bretterbuden, wacklige Häuser an stinkenden Bächen, die als Abwasserkanäle genutzt werden, „Corticos“, besetzte Häuser oder alte Fabriken, in denen auf engstem Raum Menschen leben, vielleicht vergleichbar mit den Mietskasernen Berlins zu Zeiten der Industrialisierung, die Zille gezeichnet hat.

Wirklich schlimm war der Besuch des „Lochs des Gürteltieres“, ein wirkliches Loch. Aus einer Favela steigen wir ab an einen Bachlauf. Am Anfang noch einfache Häuser aus Stein. Irgendwann auf dem Weg nach unten beginnen die Bretterbuden und sie enden an einem Kloakenbach, wo sich Katzen und Ratten streiten, wo Kinder  deshalb draußen nicht spielen können. Es erscheint ein Loch ohne Ausweg. An einer Tür klebt der Text des Psalm 91: „Wer im Schatten des Höchsten lebt“. Welcher Schatten ist hier gemeint? Der bergende, wohltuende sicher nicht. Und doch auch hier Versuche der Situation Herr zu werden, zaghafte Selbstorganisation, immer wieder gemischt mit Verzweiflung und Resignation. Die Rede von der „neuen Mittelschicht“ in der „siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt“ wird hier unwirklich. Unsere Partner vom „Gaspar Garcia“ erinnern uns an mehreren Punkten daran, dass es zwar Verbesserungen gegeben hat, es aber auch zu Verschärfung der Widersprüche gekommen ist. Brasilien verstehen bleibt eine Herausforderung.

Auf dem Weg aus dem „Loch des Gürteltiers“ heraus besuchen wir ein Wohnprojekt, das aus einer Besetzung der „Fazenda da Juta“ mit Hilfe der Kirche entstanden ist. Es kommt die Rede auf den mittlerweile verstorbenen Bischof Luciano Mendes, der langjährige Vorsitzende der brasilianischen Bischofskonferenz, der hier als Weihbischof gewirkt hat. Bia, die Rechtsanwältin des Menschenrechtszentrums, mit der wir unterwegs sind, erinnert an die Biographie dieses Bischofs, die „Dom Luciano – ein Geschenk Gottes“ heißt. „Darin steht unsere Geschichte“, sagt sie anerkennend. Die Geschichte der Kirche, die Geschichte eines Bischofs, eingeschrieben in die Geschichte eines gläubigen, unterdrückten und ums Leben kämpfenden Volkes ist eine ermutigende Erinnerung für die Zukunft.

Und an vielen anderen Orten, mit Jugendlichen, mit Frauen, mit alten Menschen, mit Cortico- und Favelabewohnern begegnen wir der Frage: Wer gehört dazu? Wer ist Zentrum, wer ist Peripherie? Im Gaspar Garcia ist die Frage sehr präsent: Sie sagen: „Wir arbeiten mit der Peripherie im Zentrum der Stadt.“  Die Peripherie ist plötzlich nicht nur ein geographischer Begriff. Sie wird eine soziale Frage: Wer gehört dazu? Wo sind die unsichtbaren Schranken, die Menschen ausgrenzen? Wo sind die Armen willkommen? In den Shoppingmalls? In den Theatern und Kinos der Stadt? Im Bürgermeisteramt?

Die Frage nehmen wir mit nach Deutschland. Wer gehört dazu – weltweit? Wer ist ausgeschlossen? Wo gibt es in diesem Sinn Zentrum und Peripherie in Deutschland? Liegt nicht gerade hier ein Ansatz mit einem Land wie Brasilien (einem Schwellenland) neu ins Gespräch zu kommen? Neue Kooperationen auszuprobieren?

Wir werden von dieser Reise nicht nur viele Bilder, Interviews, Fakten, Geschichten mitbringen. Im Gepäck werden auch Fragen sein, die auf unsere gemeinsame Antwort warten. Die gemeinsame Fastenaktion 2016 mit den brasilianischen Kirchen wird dazu eine nächste Gelegenheit sein. Der glimmende Docht will wieder eine brennende Flamme werden.

Über den Autor: Thomas Schmidt arbeitet als Referent für die Internationale Fastenaktion 2016, die als Schwerpunktland Brasilien hat.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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