Die päpstliche Enzyklika „Laudato si“ könnte sehr gut den Untertitel der Misereor-Studie tragen: „Global aber Gerecht. Klimawandel bekämpfen, Entwicklung ermöglichen“. Denn vom Prozess der gemeinsam mit dem Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Stiftung der Münchener Rückversicherung erarbeiteten Misereor-Studie sind unbestreitbar wesentliche Impulse für die Erstellung und den Inhalt von „Laudato si“ ausgegangen.
Mit dieser interessanten Information begrüßte der Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel die 60 Teilnehmer aus Wissenschaft, Ministerien und NGOs zum MISEREOR-Fachgespräch. Es fand unter dem Motto Schöpfungsverantwortung, integrale Entwicklung und Armutsbekämpfung am 1.7. 2015 in der Katholischen Akademie Berlin statt mit einer lebhafte Diskussion über die päpstliche Enzyklika „Laudato si“.
Der Prozess der internationalen Klimaverhandlungen wird seit Jahren begleitet und befeuert von zahlreichen wissenschaftlichen Studien, Stellungnahmen, Demonstrationen und politischen Forderungen der unterschiedlichsten Verbände und Institutionen der Zivilgesellschaft. Hohe Erwartungen hinsichtlich des Abschlusses eines wirksamen internationalen Klimaschutzabkommens richten sich jetzt auf die kommende Pariser Konferenz. Auch prominente Persönlichkeiten fordern die Weltgemeinschaft nachdrücklich zum Handeln auf. Der Moderator des Fachgesprächs Hans Jessen wies auf den bekannten US-Schauspieler und Regisseur Robert Redford hin, der vor wenigen Tagen einen dringenden Appell an die Vereinten Nationen gerichtet hat: „Heute können wir nicht länger Unwissen behaupten als Entschuldigung für unser Nichtstun“.
Das Klima als gemeinsames Gut
Nun greift auch Papst Franziskus in die Debatte ein mit einer wesentlich unter seiner direkten Leitung erarbeiteten Positionsbestimmung. „Ich lade dringlich zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten“ und …“unser gemeinsames Haus schützen“. Mit der Autorität des „Heiligen Vaters“ richtet er seine Enzyklika zwar in erster Linie an die katholischen Christen, aber sie ist auch eine klare Botschaft an die ganze Welt. Ganz im Sinne von Robert Redford appelliert er an die Verantwortung der Staatengemeinschaft und schließt sich dem Konsens der internationalen Klimawissenschaftler an, dass der Klimawandel menschliche Ursachen hat. Und er kommt zu der klaren und politisch ganz entscheidenden neuen Feststellung, die quasi den archimedischen Punkt der Enzyklika darstellt. „Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle“. Volle Zustimmung erhielt diese Aussage von Frau Dr. Sabine Fuss vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Dies sei ihre Lieblingspassage, antwortete sie auf die Frage des Moderators. Im Bericht des International Panel on Climate Change (IPCC) sei die Benennung des Klimas als Gemeinsames Gut nur in einer Fussnote erfolgt und daher sei sie sehr zufrieden, dass es jetzt im Haupttext der Enzyklika steht. Die Wahrung gemeinschaftlicher Güter (Gemeinwohlprinzip) ist ein wesentliches Element der katholischen Soziallehre. (…) „Die Menschheit ist aufgerufen, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um diese Erwärmung oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und verschärfen, zu bekämpfen“. Diese Mahnung ist bereits vielfach ausgesprochen worden, ohne dass sie aber ernsthaft befolgt wurde. Franziskus wird daher radikaler und anstößiger. „Damit neue Leitbilder für den Fortschritt aufkommen, müssen wir das Modell globaler Entwicklung in eine andere Richtung lenken“. Damit verbunden ist eine massive Kritik an unserem „Entwicklungsmodell“ und er fordert uns auf, den Fortschritt neu zu definieren. Diese Aussagen haben zwar einige Kritik provoziert, aber letztlich sind sie auch als ein Beitrag zu sehen zu einer seit einigen Jahren in unserer Gesellschaft und auch bei Misereor intensiv geführten Debatte „Wie wollen wir leben?“
Den Kapitalismus weiterdenken
Die Debatte über Alternativen zu unserem bestehenden Wirtschaftsmodell „Den Kapitalismus weiterdenken – Modelle für einen sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Wandel“ wird aber nicht von systemkritischen Sektierern geführt, sondern z.B. im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung (01.07.2015). „Die Experten sehen jedoch die Notwendigkeit für tiefgreifende Reformen einer kapitalistisch geprägten Weltwirtschaft. Sie richten den Blick auf eine Gesellschaft, die am Anfang eines großen Umbruchs steht und sich von alten Denkmustern befreien muss. Klimawandel, das Ende des Erdölzeitalters und die wiederkehrenden Finanzkrisen sind Herausforderungen, die mit dem Dogma aufräumen, dass sich mit Wirtschaftswachstum alle Problem lösen lassen. Die Welt stößt an ihre Wachstumsgrenzen, Rohstoffvorräte gehen zur Neige. Ressourcen wie Böden und Wasserserven werden rücksichtslos ausgebeutet, und die Kluft zwischen Arm und Reich wächst.“
Auf welches Bewusstsein und welche Bereitschaft zum Umdenken, zum anders Handeln trifft diese große Erzählung des lateinamerikanischen Papstes bei seinen eigenen Leuten, den Bischöfen, Priestern und insgesamt den Katholiken auf der ganzen Welt? Für den Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz Bischof Leonardo spielt das spirituelle Wort Beziehung eine zentrale Rolle und er fragt, wie gestalten wir die „neue Beziehung“ zu unserem gemeinsamen Haus?
Von einem Teilnehmer kam dann auch die kritische Frage „Was tut die deutsche katholische Kirche selber z.B. in Bezug auf den eigenen Energieverbrauch und die Gebäudesanierung?“ In der Änderung unseres eigenen Verhaltens liegt sicherlich eine große Baustelle, denn trotz allem Wissen fällt das Umsteuern schwer. Bei vielen Misereor-Partnern ist der Erkenntnisfortschritt aufgrund bitterer Erfahrung schon viel weiter. Darauf wies Pirmin Spiegel hin und zitierte aus einem Brief des philippinischen Bischofs Ledesma. „Die Menschen in den Philippinen leiden schon heute unter der gestiegenen Zahl zerstörerischer Taifune. Für sie ist der Klimawandel bereits Realität.“
Es ist sicherlich eine kühne Hoffnung, dass die Welt sich wundern wird, wenn die Katholiken weltweit das Tun, wozu ihr Pontifex sie auffordert.
Über den Autor: Dr. Volker Kasch arbeitet als Referent im Berliner Büro von MISEREOR.
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60 Teilnehmer aus Wissenschaft, Politik, NGOs und Ministerien diskutierten am 1.7.2015 in der Katholischen Akademie in Berlin sehr engagiert darüber, wie sich die Enzyklika politisch umsetzen lässt. Die Bedeutung von „Laudato si“ interpretierten die Experten auf dem Podium aus ihren fachlich sehr verschiedenen Blickwinkeln – theologisch, spirituell, wissenschaftlich, zivilgesellschaftlich, und schließlich sehr persönlich.
Zum Beitrag:
„Lebendige Debatte um Schöpfungsverantwortung, integrale Entwicklung und Armutsbekämpfung“