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„Es war an der Zeit, dass wir so eine Enzyklika geschenkt bekommen“

Bischof Leonardo Ulrich Steiner kennt Papst Franziskus schon sehr lange. Bereits vor zwei Jahren bekam er bei einem Gespräch in Rom mit, dass der Papst an einer Enzyklika arbeitet mit dem Titel „Laudato si“. Sie sei nicht nur an die Christen weltweit, sondern an alle Menschen gerichtet.

Bischof Leonardo Ulrich Steiner, Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz

Bischof Leonardo Ulrich Steiner, Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz

Braucht es einen Papst aus Lateinamerika, um so eine Enzyklika zu schreiben?

Ja. Wir sind stolz, dass ein Papst aus Lateinamerika diese Enzyklika geschrieben hat. Aber ich glaube, es war auch an der Zeit, dass wir eine solche Enzyklika geschenkt bekommen. Es ist die letzte Gelegenheit. Ich glaube die Befreiungstheologie hat dabei geholfen, diese Sensibilität für das Ganze zu entwickeln. Sensibilität mit den Armen, aber nicht nur mit den armen Menschen, auch mit der armen Natur, mit dem Wasser und der Luft, mit allem, was arm geworden ist und zum Rande geschoben wurde. Diese Sensibilität hat der Erzbischof von Buenos Aires und sie ist in der Enzyklika spürbar. Also wir sind stolz darauf.

Viele Berater und Wissenschaftler haben daran mitgearbeitet, aber auch Exxon hat im Vorfeld eine PowerPoint-Präsentation im Vatikan machen dürfen. Wie viel von dem Text, glauben Sie, ist geprägt durch die Handschrift von Franziskus?

Er hat ja eine ganz besondere plastische Sprache und das spürt man in dieser Enzyklika. Natürlich haben viele Leute geholfen, aber er hat am Ende alles persönlich nochmals überarbeitet und auch die Übersetzungen geprüft.

Wie wird die Enzyklika in Lateinamerika in den kirchlichen Kreisen und in der Zivilgesellschaft diskutiert?

Die erste Auflage von 10.000 war in vier Tagen vergriffen und die zweite von 20.000 ist auch schon weg. Auch in Bolivien und Mexiko sind die Leute sehr begeistert. Ich hoffe, dass wir mit diesen Worten des Heiligen Vaters noch mehr Kraft haben zu kämpfen und noch tiefer einzugreifen im Sinne der Ökologie. Und dieser Text wird in Zukunft so wichtig sein wie „Pacem in terris“ aus dem Jahr 1963 von Papst Johannes dem 23sten. Seine Enzyklika ist bis heute nicht nur in der Kirche, sondern in der ganzen Gesellschaft wichtig. Ich glaube, mit „laudatio si“ wird das auch so sein. Man spürt, dass sie sehr gut angekommen ist.

Der Papst sagt deutlich, dass der Weg der reichen Industrienationen mit ihrem Turbokapitalismus kein Weg für die armen Gesellschaften ist. Wie kommt das dort an?

Ein Ausdruck dieses Turbokapitalismus in Brasilien sind die großen Farmen mit Viehwirtschaft und Soja. Dadurch entstehen sehr viele Probleme. 10 Kilometer lang ist eine Farm, nur noch Soja, Soja, Soja – das kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Wir müssen gegen diese Farmen kämpfen und das muss sich im Zuge einer Agrarreform verändern, das steckt alles in dieser Enzyklika drin. Wir haben das immer gesagt, aber der Papst hat uns jetzt dazu aufgefordert und das wird uns sehr helfen.

Inwieweit spielt die Bewegung des „Buen Vivir“, die an die indigene Lebensweise anknüpft, eine Rolle bei der Enzyklika?

Wenn man mit den Indios zusammen ist, dann sieht man, dass sie eine tiefe Beziehung mit Land und mit Wasser haben: das ist das „Buen Vivir“ – ein Mitleben. Dass sie mit der Natur so leben können, dass sie so wenig brauchen. Die haben genug zu essen, genug zu leben und das ist ok. Man spürt, dass die Beziehung mit der Natur tiefer und freier ist.

Das habe ich auch der brasilianischen Regierung gesagt und noch mehr viele diskutieren über die Indios, aber sie selbst werden nicht einbezogen, wie werden nicht gehört, weder sie noch die Armen in den Ländern des Südens und des Nordens. Meine Erfahrung ist: wenn man abends zu Obdachlosen hingeht, ihnen Essen bringt und mit ihnen ins Gespräch kommt, dann lernt man wirklich viel, dann weiß man, warum sie da sind.

Was mögen Sie ganz besonders an dieser Enzyklika?

Den Titel! Es ist wunderschön, dass der Papst mit einem Gebet anfängt. Ich habe auch gesehen, dass in der deutschen Übersetzung der Begriff „Beziehung“ über siebzig Mal vorkommt. Das heißt, der Heilige Vater zeigt uns in dieser Enzyklika, dass „Beziehung“ die grundlegende Voraussetzung für ein neues Konzept von Ökologie ist. Wenn wir eine „neue Beziehung“ entwickeln, dann können wir vielleicht noch „unser Haus“ retten. Diese Beziehung ist, glaube ich, der tiefste Gedanke von dieser Enzyklika. Das öffnet eine kleine Tür, damit wir das Ganze sehen. Da sind wir dann alle Brüder und Schwestern und mit allem um uns herum verbunden, was wir sehen und nicht sehen können – so tief verbunden, dass wir nicht nur herrschen, nicht nur konsumieren und ausbeuten können.

Wie sehen Sie die Bedeutung der Enzyklika in 50 Jahren?

In 50 Jahren werden wir sagen: „Ja, es hat sich doch etwas verändert, die Enzyklika hat uns geholfen. Der Papst hat uns inspiriert und uns Rückenstärke gegeben.“ Da bin ich mir sicher.

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Eva Wagner war Mitarbeiterin im Berliner Büro von Misereor.

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