Ich heiße Lotta, bin 15 Jahre alt und gehe auf das Burgau-Gymnasium in Düren. 14 Tage lang war ich Praktikantin beim Hilfswerk Misereor. Eines wurde mir während dieser Zeit klar: Ich bin wirklich froh, dass ich in Deutschland lebe.
Vor allem ein Erlebnis hat mir gezeigt, wie gut ich es habe. An diesem Tag kamen 20 Schüler einer Aachener Schule ins Haus, um sich über ein Projekt für Straßenkinder in Brasilien zu informieren. Zwei Jahre will ihre Schule das Projekt finanziell unterstützen. Ich habe mich der Gruppe angeschlossen, da mich dieses Thema sehr interessiert. Zuerst wurden ein paar Getränke ausgeteilt, damit die Schüler nach einem kleinen Marsch durch das Haus eine Erfrischung bekommen.
Dann ging es los. Erst wurde etwas über das Land Brasilien erzählt. Dass es zum Beispiel das fünfgrößte Land der Erde ist und dass es dort verschiedene Klimazonen gibt. In Brasilien leben fast 200 Millionen Menschen, was man aber nicht genau sagen kann, da viele Bewohner, die in den Slums um die Großstädte herum leben, nicht registriert sind. Was ich zum Beispiel bis dahin gar nicht wusste ist, dass es ganz unterschiedliche Arten von Slums in Brasilien gibt. Zum einen gibt es die Favelas, in denen die wirklich Armen leben: Ihre Hütten sind aus Müll, kaputten Plastikfolien oder altem Holz zusammengebaut, es gibt weder Strom, noch fließendes Wasser. Selbst einen vernünftigen Fußboden gibt es nicht. Da es in Brasilien oft regnet und die Dächer undicht sind, kommt es oft zu Schimmel in den Favelas. Durch den Schimmel werden die Menschen oft krank, selten kann ihnen geholfen werden, da Medikamente und Arztbesuche teuer sind und überhaupt oft fehlen.
Von den eigenen Eltern auf die Straße geschickt
Zum anderen gibt es Favelas, in denen die Brasilianer leben, die zur Mittelschicht gehören. Sie sind nicht so wohlhabend, dass sie sich ein Haus in der Stadt leisten können, aber auch nicht so arm, dass sie in einem Haus aus Müllresten leben müssen. Diese Häuser in den Favelas sind meistens aus Stein, haben Strom und fließendes Wasser und können sogar mehrstöckig sein. Was mich überrascht hat: Viele der Straßenkinder, die in Brasiliens Großstädten herumschwirren, haben Familie. Sie werden von ihren Eltern auf die Straße geschickt! Als ich das hörte, war ich geschockt. Wie kann man das seinen Kindern antun? Die Antwort ist einfach: wegen des Geldes. Die Kinder werden ab einem bestimmten Alter von ihren eigenen Eltern auf die Straße geschickt, um Geld für die Familie zu verdienen, die sonst nicht überleben könnte. Doch das ist gar nicht so einfach: Es gibt in bestimmten Bezirken oder Stadtteilen Banden, die darüber bestimmen, wer – gegen Abgabe von Geld – wann, wo und auf welche Weise Geld verdienen kann. Oft werden Straßenkinder in solchen Bezirken nur als Bandenmitglied geduldet.
Da die Kinder immer etwas von ihrem Verdienst abgeben müssen, erhalten sie selbst also kaum noch etwas. Doch es gibt noch Schlimmeres – wieder war ich darauf nicht vorbereitet. Die Mädchen müssen meistens ab ihrem 12. Lebensjahr mit Prostitution Geld verdienen. Ihre Eltern verlangen das! Was habe ich selbst mit 12 Jahren gemacht? Zu erfahren, dass diese Mädchen so etwas machen müssen, war hart für mich. Das Schlimme ist, dass sie dabei wie Dreck behandelt werden. Viele von ihnen werden sogar vergewaltigt. Uns wurde auch erklärt, dass vor allem die Jungs das Geld als Drogendealer nach Hause bringen. Und auch dass viele selber Drogen nehmen würden, vor allem Klebstoff, den sie einatmen. Er macht nicht nur sorgenloser, sondern vertreibt vor allem den Hunger, den viele Kinder verspüren. Doch ich konnte kaum noch richtig zuhören – immer wieder musste ich an die Mädchen denken. Was sie fühlen mussten? Ich konnte mich so sehr in sie hineinversetzen, da ich ja selbst in ihrem Alter bin.
In Freizeitgruppen für einen Moment weg von der Straße
Das nächste, an das ich mich bei dem Vortrag wieder richtig erinnern kann, war, als man über die Straßenkinderorganisation sprach. Also auch die Straßenkinderzentren, die Misereor unterstützt. Dort können die Kinder tagsüber hingehen, sie bekommen eine freie ärztliche Versorgung, eine warme Mahlzeit, eine schulische Ausbildung und verschiedene Freizeitgruppen geboten. Für das Essen müssen die Familien entweder umgerechnet 1 Cent bezahlen oder nach den Mahlzeiten die Teller abspülen. So soll den Kindern beigebracht werden, ihr Geld nicht für Drogen, sondern für sinnvolle Dinge auszugeben. In den Freizeitgruppen werden verschiedene Dinge gemacht: Es gibt eine Trommel-, eine Bastel- und verschiedene Sportgruppen. Die Einrichtung und die Lehrer, die für die schulische Ausbildung gebraucht werden, werden durch Spenden von Misereor und anderen Hilfsorganisationen bezahlt.
Ich schätze seit diesem Vortrag mein Leben hier in Deutschland viel mehr. Dass ich eine Familie habe, in die Schule gehen kann, nicht arbeiten muss. Und so viele für mich ganz normale Dinge habe, die leider viele Menschen auf der Welt nicht besitzen!
Ein Beitrag von Lotta, die als Schülerpraktikatin über zwei Wochen die Arbeit und Projekte MISEREORs kennen gelernt hat
Weitere Informationen
Zu den MISEREOR-Projekten mit und für Straßenkinder in Brasilien finden Sie hier