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Die strukturellen Migrationsursachen angehen

Die bewegenden Bilder von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer drängen uns die Frage auf, wie man Menschen in Seenot retten und ihnen ein Leben in Sicherheit und Würde garantieren kann. Die weit wichtigere Frage nach den vielschichtigen Gründen, warum sie ihre Heimat verlassen, wird dabei oft ausgeblendet.

Ein Beitrag von Pater Wolfgang Schonecke, Netzwerk Afrika Deutschland

Viele der verzweifelten Flüchtlinge entfliehen dem Horror blutiger Kriege oder dem Terror brutaler Despoten. Andere sind „Wirtschaftsflüchtlinge“. Sie wollen einem Leben in Armut und Elend entkommen, das oft mit verursacht wird durch politische Entscheidungen der Industrie- und Schwellenländer. Die traditionellen Landrechte einheimischer Bauern werden durch Investorenrechte außer Kraft gesetzt. Unfaire Handelsabkommen zerstören die Existenzgrundlage einheimischer Produzenten. Internationale Konzerne plündern die Ressourcen Afrikas ohne einen nennenswerten Nutzen für die lokale Bevölkerung.
Mehr finanzielle Entwicklungshilfe, von der die Geberländer oft mehr profitieren als die Empfänger, kann keine adäquate Antwort sein. Notwendig ist eine andere Handels- und Wirtschaftspolitik. Den Ländern Afrikas muss geholfen werden, die Produktivität der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu steigern, lokale und regionale Märkte zu entwickeln und Rohstoffe selbst zu verarbeiten.

Nur eine andere Wirtschafts- und Handelspolitik kann Flüchtlingsströme langfristig verringern

Es ist oft eine von Eigeninteressen und nicht von Menschenrechten geleitete Politik der reichen Länder, die zu krasser Ungleichheit, zu sozialen Spannungen und gewalttätigen Konflikten führt und Menschen zur Migration zwingt.

Seit den 1980er Jahren haben die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank die Entwicklungsländer gezwungen, ihre Landwirtschaft auf den Export und nicht auf die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung auszurichten. Länder verloren so ihre Ernährungssicherheit und wurden abhängig von Nahrungsmittelimporten und den Schwankungen der Weltmarktpreise.

Der Export von hoch subventionierten Agrarprodukten seitens der Industrieländer zu Dumpingpreisen ruiniert lokale Produzenten, die damit nicht konkurrieren können und vom Markt verdrängt werden.

Die Plünderung der reichen Ressourcen Afrikas, wie Mineralien, Erdöl, Gas, Holz, Fisch durch die westlichen Industriestaaten und jetzt auch die Schwellenländer bringt keine spürbare Verbesserungen für die Bevölkerung, die oft sogar ihre Lebensgrundlagen verlieren und noch ärmer werden.

Seit dem Krisenjahr 2008 wird die ländliche Bevölkerung auch noch ihrer letzten und wichtigsten Ressource beraubt, dem Land. Oft unter dem Druck von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) enteignen Regierungen die einheimischen Familienfarmer zu Gunsten ausländischer und lokaler Investoren. Die neuen Landbesitzer produzieren dann oft Viehfutter für europäische Kühe oder Biotreibstoffe für unsere Autos, während die traditionellen Nutzer in die Elendsviertel der Großstädte abwandern müssen.

Von Freihandelsabkommen, wie das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA), die afrikanischen Länder aufgezwungen werden, profitieren am Ende ausländische Investoren und lokale Eliten während die Armen ärmer werden.

Wir müssen unser Wirtschaftssystem ändern

Das erste und wichtigste Ziel einer konsequenten Entwicklungspolitik müsste sein, die oben genannten Entwicklungshemmnisse schrittweise zu beseitigen und eine andere Wirtschafts- und Handelspolitik zu verfolgen.

Wir appellieren, eine Reflexion über die wirtschaftlichen Ursachen von Migration, die langfristigen sozialen und ökologischen Folgen einer rein profit- und wachstumsorientierten Wirtschaft und die notwendige Transformation unseres Wirtschaftssystems anzustoßen.

Ein erster Schritt könnte sein, die geplanten Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) konsequent umzusetzen und zu Leitprinzipien für Politikentscheidungen auf nationaler und auf europäischer Ebene zu machen.

Wenn wir nicht kohärentere globale Rahmenbedingungen schaffen, die Entwicklungschancen für alle möglich machen, die skandalösen Ungleichheiten reduzieren und die die natürlichen Ressourcen für zukünftige Generationen bewahren, werden weitere Wellen von Flüchtlingen über das Mittelmeer nach Europa kommen.

Zum Autor:
Pater Wolfgang Schonecke ist Leiter des Berliner Büros des Netzwerk Afrika Deutschland. Den Appell zur Bekämpfung von Fluchtursachen richtete er an die Bundeskanzlerin, die Minister des Auswärtigen Amt, BMZ, BMU, BMWi und Obleute der Parteien im Ausschuss für Menschenrechte und im Ausschuss für Auswärtiges.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Glücklicherweise setzt sich langsam der Gedanke durch, dass die Form der wirtschaftlichen Entwicklung entscheidend ist und nicht ungehemmtes Wachstum!

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