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Was brauchen Flüchtlinge und ihre Helfer?

„Refugees welcome“ – unter diesem Motto fand am Mittwoch in Berlin eine Expertendiskussion statt. Eine hochaktuelle Veranstaltung für eine Stadt, in der täglich 250-400 Flüchtlinge eintreffen. Allein in den ersten dreiundzwanzig Septembertagen waren es 9000 Menschen, 2015 werden es nach europäischem Verteilungsschlüssel 31.000 sein. Die Verwaltung der Hauptstadt ist mit der Unterbringung und Registrierung der Flüchtlinge mehr als gefordert.

Ohne ein Netz an Tausenden von Ehrenamtlichen geht es nicht. Es gibt Schwierigkeiten, die Flüchtlinge und ihre Familien zu versorgen und vor allem unterzubringen. Zahlreiche von ihnen sind völlig erschöpft, schwer traumatisiert und müssen trotzdem tage- und wochenlange Wartezeiten auf sich nehmen, um registriert zu werden. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt, dass Ehrenamtliche auch in eine „Sucht des Helfens“ geraten können und sich regelrecht auspowern. Vor diesem aktuellen Hintergrund saßen gestern Experten aus der Praxis auf dem Podium, um dem zahlreich erschienen Publikum zu antworten auf die übergreifende Frage: „Was brauchen Flüchtlinge und ihre Helfer?“ Der Katholische Deutsche Frauenbund Berlin, der Berliner Diözesanrat und MISEREOR hat dazu eingeladen mit dem Gedanken: „Auf dem Weg zu einer Kultur der Begegnung“.


Salah Ahmad, Kinder und Jugendlichenpsychotherapeut

Salah Ahmad, Kinder und Jugendlichenpsychotherapeut

Salah Ahmad, Kinder und Jugendlichenpsychotherapeut

„Wir leiten in dem kurdischen Gebiet des Nordiraks acht Zentren für Traumatherapie. Träger ist die von mir gegründete Organisation „Jiyan Foundation for Human Rights“, die seit vielen Jahren von MISEREOR unterstützt wird. Die Patientenzahlen insbesondere bei den Frauen und Kindern sind sehr hoch, so dass unsere Kapazitäten nicht ausreichen. Sie haben Schreckliches erlebt. Gräueltaten, die an ihnen oder an ihren Angehörigen verübt wurden, vor allem von Tätern des sogenannten IS. Manche können wochenlang nicht sprechen. Für unsere Therapien nutzen wir auch Tiere und einen Garten, den die Leute selbst anlegen, und wir können Erfolge aufweisen. Aber wir brauchen dringend Unterstützung. So viele Menschen sind stark traumatisiert und an der Not in den Flüchtlingslagern hat sich wenig geändert.
Mit Unterstützung von MISEREOR haben wir beispielsweise kurzfristig im Hochsommer für 3.000 Menschen Kühlgeräte in die Zelte gebracht, denn die Hitze war nicht mehr erträglich. Jetzt steht der Winter bevor. Wenn wir die Leute dort nicht unterstützen, dass sie zurechtkommen, dann werden wir hier neue Wellen von Flüchtlingen erleben. Das wird uns viel mehr kosten als vor Ort zu helfen.
So viele der Flüchtlinge, die hier ankommen, sind stark traumatisiert. Wir sollten sie aber möglichst normal behandeln, wenn wir in Kontakt kommen. Das ist sehr wichtig für sie.“


Reinhard Nauman, Berliner Bezirksbürgermeister von Charlottenburg Wilmersdorf

Reinhard Nauman, Berliner Bezirksbürgermeister von Charlottenburg Wilmersdorf

Reinhard Nauman, Berliner Bezirksbürgermeister von Charlottenburg Wilmersdorf

„Wir erleben in Berlin eine Willkommenskultur, die tagtäglich zu sehen und großartig ist. Wir haben hier in einer kurzfristigen Aktion das leerstehende „Rathaus Wilmersdorf“ zur Notunterkunft umgestaltet. Viele Ehrenamtliche und Mitarbeiter aus der Verwaltung haben mit angepackt. Ohne die Hilfe so vieler Menschen hätten wir die erste Versorgung der Flüchtlinge in der Stadt, insbesondere rund um das Landesamt für Soziales und Gesundheit nicht geschafft. Doch ich sehe den medialen Hype rund um die deutsche Hilfsbereitschaft auch kritisch. Die Flüchtlinge brauchen Wohnraum, soziale Unterstützung, Arbeit. Wir müssen bei allem immer auf die richtige Balance zu Gesamtbevölkerung achten, damit die Hilfe auch nachhaltig ist und sich verstetigt. Dafür ist das richtige Augenmaß sehr wichtig. Wir können den Menschen das geben, was sie brauchen, wenn wir ihnen mit Mitmenschlichkeit, Empathie und Wärme begegnen, wenn wir den Dialog anbieten, wenn wir einfach „da sind“ und wenn wir klare Aussagen machen. Sie sind wirklich „Hoffnungsträger“ – sie tragen viel Hoffnung in sich, wenn sie hier ankommen. Das ist auch ein großes Potential.“


Sr. Margit Forster, SOLWODI-Fachberatungsstelle Berlin, „solidarity with women in distress – Solidarität mit Frauen in Not“

Sr. Margit Forster, SOLWODI-Fachberatungsstelle Berlin, „solidarity with women in distress – Solidarität mit Frauen in Not"

Sr. Margit Forster, SOLWODI-Fachberatungsstelle Berlin, „solidarity with women in distress – Solidarität mit Frauen in Not“

„Die Frauen, die wir beraten, kommen nach Deutschland in der Hoffnung, der Armut zu entfliehen. Insofern sind sie „Hoffnungsträgerinnen“ – ein schöner Begriff des Bezirksbürgermeisters Naumann. Die meisten sind aus Afrika geflohen, aus Kriegsgebieten, aufgrund von frauenspezifischen Verfolgungen, aus Gewaltsituationen, aus Prostitution. Auf der Flucht und auch in Deutschland begegnen ihnen immer wieder Menschen, die helfen. Letztens wurde eine hochschwangere Frau, die kurz vor der Entbindung stand, mehrmals beim Landesamt für Gesundheit und Soziales abgelehnt. Sie musste sich immer wieder in die lange Schlange einreihen. Dann traf sie auf eine ehrenamtliche Hebamme, die die Hochschwangere mit zu sich nach Hause nahm. Das sind die Engel, die den Unterschied im Leben der Menschen machen. Das ist womöglich einfach eine Begegnung, ein Mensch, der ihnen zuhört, der hilft. Sie bewirken etwas, das verändert.“


Christian Thomes, Leitung Gesundheits-und Sozialpolitik beim Caritasverband für das Erzbistum Berlin

Christian Thomes, Leitung Gesundheits-und Sozialpolitik beim Caritasverband für das Erzbistum Berlin

Christian Thomes, Leitung Gesundheits-und Sozialpolitik beim Caritasverband für das Erzbistum Berlin

„Ich habe die Zustände rund um das Landesamt für Gesundheit und Soziales direkt miterlebt, wo sich die Flüchtlinge registrieren lassen müssen. Manche warten 10-20 Tage und bekommen die Papiere immer noch nicht. Die Berliner Verwaltung leistet Großartiges, aber die Prozesse sind fehlgesteuert und unorganisiert. In meiner Arbeit stoße ich auf Flüchtlinge in Notsituationen, die sich nicht lösen lassen, solange es keine Härtefallregelung gibt. Viele Menschen sind geschwächt, körperlich krank, hochschwanger, traumatisiert, bewegungsunfähig. Doch ohne Registrierung haben sie keine Krankenversicherung und können nicht adäquat versorgt werden. Da habe ich furchtbare Situationen erlebt. Darum brauchen wir jetzt Menschen, die mutig sind und sich auch mal über Regeln und Auflagen hinwegsetzen, weil sie den Menschen und seine Not in den Mittelpunkt stellen.“

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Eva Wagner war Mitarbeiterin im Berliner Büro von Misereor.

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