Papst Franziskus hat zu einem heiligen Jahr der Barmherzigkeit aufgerufen – genau 50 Jahre nach Ende des 2. Vatikanischen Konzils. Doch was bedeutet das eigentlich – Barmherzigkeit? Man wisse nicht recht etwas damit anzufangen, waren sich viele Kommentatoren schnell einig.
Die Spezialisten sehen das differenzierter – solche, die die Grenzsituationen der menschlichen Existenz aus der Nähe kennen, dort, wo Barmherzigkeit buchstäblich spürbar werden kann. Aber wird sie das auch? Und was sagen andere bedeutende Religionen wie Islam oder Buddhismus?
In loser Reihenfolge stellen wir in den kommenden Wochen Menschen vor, die sich mit dem Thema „Barmherzigkeit“ auseinandergesetzt haben und diese aktiv in ihrem Alltag (er)leben.
„Bei unseren Jugendlichen hier im Kiez ist die Sache eindeutig: Schwäche zu zeigen kommt nicht in Frage. Wer schwach ist, ist ‚Opfer‘, wie sie das nennen. Das will keiner sein. Das heißt umgekehrt: wer hier nach jemandem die Hand ausstreckt, der kriegt sie oft ‚weggebissen‘. Barmherzigkeit wird hier eher kleingeschrieben. Ich habe im Laufe der Jahre erst mühsam lernen müssen, dass die Grenze zwischen Barmherzigkeit und ‚sich ausnutzen lassen‘ sehr schmal ist. Was hier viel mehr zählt als Barmherzigkeit ist ‚Respekt‘. Den musst Du Dir mühsam erarbeiten. Wenn Du nur ‚barmherzig‘ bist, wirst Du sofort ausgenutzt. Es dankt Dir keiner. Im Gegenteil, Du wirst regelrecht verarscht und alle machen sich lustig über Dich. Nur wenn Du auch ‚Nein‘ sagen und Grenzen setzen kannst, wirst Du respektiert. Erst dann kannst Du mit den Jugendlichen produktiv arbeiten.“
Über den Autor: Gilles Duhem, geboren 1967, ist Geschäftsführer des Vereins MORUS 14 im Rollbergviertel in Berlin-Neukölln, einem sogenannten „sozialen Brennpunkt“ mit hohem Migrantenanteil, mangelnder Bildung und Arbeitslosigkeit.